Verwandte Lügen. Dawn Brower

Verwandte Lügen - Dawn Brower


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Mutter.“ Sie versuchte, die Gereiztheit in ihrer Stimme zu unterdrücken, was ihr misslang. Warum musste ein Gespräch mit Mutter so eine lästige Pflicht sein?

      „Schatz, wo treibst du dich denn zurzeit herum?”, drang die schrille Stimme von Lyoness an ihr Ohr.

      Was? Warum wollte sie ihren aktuellen Aufenthaltsort wissen? Das war schon wieder ein schlechtes Zeichen, wie sollte sie darauf reagieren? Hm … naja, sie konnte genauso gut ehrlich sein. Richtig? Was schadete es denn? Noch kein Grund zur Panik. Sie bekam Herzklopfen. Jetzt war es etwas zu spät für den Versuch, Ruhe zu bewahren, da ihr bereits alle möglichen Schreckensszenarien durch den Kopf wirbelten. „Ich bin in einem verschlafenen Dorf in Michigan, es heißt North Point.“ Sie versuchte, locker zu klingen und war sich nicht sicher, ob ihr das gelang. „Warum fragst du, Mutter?“

      Lyoness ignorierte ihre Frage völlig und fragte: „Liegt das an einem See? Ich liebe die Großen Seen.“

      Amethyst hatte Lust, zu schreien, aber sie ließ es sein. Wenn man es mit ihrer Mutter zu tun hatte, blieb man am besten so ruhig wie möglich. Stattdessen versuchte sie, das Thema zu wechseln und fragte ihre Mutter nach ihrer letzten Affäre.

      „Wie geht’s Saul?“

      Sie konnte fast bildlich sehen, wie ihre Mutter wegwerfende Handbewegungen machte, als sie erwiderte: „Ach, dieser Idiot. Wir haben letzte Woche Schluss gemacht. Zeit für eine Veränderung. Du weißt doch, wie das ist. Jetzt erzähl mir mal von diesem verschlafenen kleinen Dorf. An welchem See liegt es denn?“

      Sie hätte sich denken können, dass Mutter und Saul Schluss gemacht hatten. Amethyst hätte nichts dagegen gehabt, wenn man die Liebhaber ihrer Mutter an einer Hand hätte abzählen können, aber das wäre gelogen. Nein, sie brauchte dazu wahrscheinlich einen Taschenrechner oder irgendeine Buchführungs-Software, um den Überblick zu behalten. Jawohl, so umfangreich und durchgeknallt war das. Ihre Mutter und Saul hatten Schluss gemacht. Es war lediglich überraschend, wie schnell es geendet hatte. Das war sogar für ihre Mutter ein Rekord.

      Seufzend hielt sie das Handy von sich weg und sich selbst den Mund zu, damit sie nicht zu schreien anfing. Sie riss sich zusammen und erwiderte: „Am Michigansee.“

      Amethyst hörte einen lauten, schrillen Freudenschrei am anderen Ende.

      „Oh, das ist ja absolut perfekt. Wo bist du untergekommen? Ich bin morgen da. Wir können miteinander Zeit verbringen, nur wir Mädels unter uns. Arbeitest du an einer neuen Story? Ich bin sicher, die wird so toll wie alle anderen. Ich kann dir bei deinen Recherchen helfen. Das wird soooo ein Riesenspaß. Ich kann es kaum erwarten, bis ich bei dir bin, Schatz.“ Ihre Mutter plapperte weiter und gab Amethyst keine Chance, sie zu unterbrechen. Was sie sowieso nicht getan hätte. Sie hatte geistig abgeschaltet, sobald ihre Mutter sagte, dass sie herkommen würde.

      Genau wie sie befürchtet hatte, wollte Mutter sie besuchen. Besser gesagt, sie zum Wahnsinn treiben. Es war völlig unmöglich, ihr diesen Besuch in North Point auszureden. Lyoness hatte bereits vor ihrem Anruf bei Amethyst Reisepläne geschmiedet. Lyoness Keane machte was sie wollte und wann immer sie wollte. Das einzige, was sie selber tun konnte war, zu grinsen und das Ganze zu ertragen. Bevor sie jedoch endgültig aufgab, versuchte Amethyst noch, ihre Mutter zu überreden, in Florida zu bleiben.

      „Ich weiß nicht so recht, Mutter. Willst du dir wirklich die ganze Strecke zumuten? Es ist ziemlich weit weg vom Flughafen. Außerdem bist du in Miami. Da ist es doch wunderschön.“

      „Ich habe Florida satt. Ich brauche mal etwas Anderes. Es ist Jahre her, seit ich in Michigan war. Ich glaube, es wird Zeit, dass ich wieder hinfahre. Wie heißt die Pension, in der du wohnst?“

      Ein vergeblicher Versuch, sie hatte es gleich gewusst. Also biss sie die Zähne zusammen, bevor sie etwas sagte, was sie bereuen würde. Ihre Mutter konnte ab und zu so fordernd wie eine Zweijährige sein. Wenn sich Lyoness Keane etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte allein der Vorschlag, etwas anders zu machen in einen lautstarken Streit ausarten. Daher gab ihr Amethyst widerstrebend den Namen der Pension: „Trenton-Hill Inn.“

      Jetzt hatte sie alle Informationen, was ja der Grund ihres Anrufs gewesen war. Lyoness rief noch euphorisch: „Prima, Liebling. Bis morgen dann. Küsschen!“, bevor sie das Gespräch abbrach.

      Amethyst starrte verblüfft ihr Handy an; ihre Mutter hatte einfach aufgelegt. Nach ein paar Minuten platzierte sie es wieder in den Beutel, drehte sich um und wanderte ziellos in Richtung Pension. Es sah so aus, als müsste sie die morgige Ankunft ihrer Mutter vorbereiten. Sollte sie Cooper warnen? Es wäre ein Grund für ein Gespräch mit ihm. Unsicher, ob das eine gute Idee war, entschloss sie sich dagegen. Andererseits sollte sie die Pension informieren, dass ein zweiter Gast in ihrem Zimmer übernachten würde. Auf keinen Fall würde Mutter ein eigenes Zimmer buchen. Wahrscheinlich war sie kurz davor, völlig abgebrannt zu sein und sie hatte keinerlei persönliche Rücklagen. Das war einer der Gründe, warum sie sich nach dem Ende einer Beziehung bei Amethyst meldete. Die Liebhaber ihrer Mutter bezahlten stets ihre Ausgaben, und wenn eine Beziehung zu Ende war, saß sie auf dem Trockenen.

      Sie blickte auf und merkte, dass sie wieder vor der Pension stand. Amethyst ging hinein, seufzte und fand sich mit der Situation ab. Im Stillen bedankte sie sich beim Schicksal, dass sie eine geräumige Suite mit Ausziehsofa hatte. Als sie in der Pension stand merkte sie, dass Cooper nicht mehr am Empfang war. Eine junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren, violetten Augen und einem sonnigen Lächeln empfing sie. „Hallo, ich bin Olivia. Wie kann ich Ihnen helfen?“

      Amethyst brauchte eine Minute, um ihre Enttäuschung zu überwinden, dass nicht Cooper da war, um ihr zu helfen. Es war an sich egal, aber es half nichts, sie fand ihn anziehend. Sie freute sich auf ein weiteres Gespräch mit ihm.

      „Oh, ich dachte, Cooper hätte Dienst.“

      Olivia nickte und lächelte weiter. „Oh, er hat … oder besser, er hatte. Es war irgendetwas Dringendes mit seinem Vater, deswegen hat er mich angerufen, ob ich übernehme. Sind Sie ein Gast?“

      „Oh, tut mir leid, ja. Ich bin Amethyst Keane in Zimmer dreizehn. Ich wollte ihm sagen, dass meine Mutter, Lyoness Keane, morgen kommt. Wenn ich bei ihrer Ankunft weg sein sollte, könnten Sie dann bitte dafür sorgen, dass sie einen Schlüssel zu meinem Zimmer bekommt?“

      „Klar, kein Problem, ich klebe mir eine Notiz an unseren Computer. Brauchen Sie sonst noch etwas?“ Olivia notierte sich die Information auf einen gelben Zettel und klebte ihn an den Bildschirm.

      Sie wollte wirklich wissen, was mit Cooper und seinem Vater los war, also platzte sie heraus: „Ist alles in Ordnung mit Coopers Vater? Tut mir leid, ich weiß, das ist wohl eine zu persönliche Frage.“ Sie sollte nicht in Coopers Angelegenheiten herumschnüffeln. „Ich bin halt von Natur aus neugierig, manchmal bricht das durch.“

      Olivia machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, Herrn Marchant geht es bestimmt gut. Er hat sich vor einem Jahr zur Ruhe gesetzt, als Coopers Mutter gestorben ist. Er lebt draußen bei Ghost Peak alleine in einem Haus. Ich denke mal, er sitzt auf seinem Dach fest und der Wind hat die Leiter umgeweht oder sowas ähnliches. Gott sei Dank war das Handy in seiner Tasche und er hat angerufen, damit Cooper ihm zu Hilfe kommt.“

      Ghost Peak? Der Platz klang interessant, daher fragte Amethyst: „Das ist ja ein faszinierender Name. Warum Ghost Peak?“

      „Es gibt ein Gerücht, dass dort Easton Hill Marianne Trenton um ihre Hand gebeten hat. Außer in der Pension, so die Sage, spukt er jedes Jahr dort herum und zwar an dem Tag, als er ihr den Antrag machte.“

      Amethyst spürte, wie sie in Aufregung geriet. Sie hatte ein paar Gespenstergeschichten über das Dorf gehört. Das war einer der Gründe, warum sie es für ihren nächsten Reisebeitrag ausgesucht hatte. Sie hätte Olivia gerne genauer ausgefragt, aber sie hielt sich zurück. „Toll, wirklich? Glauben Sie, dass Herr Marchant einverstanden ist, wenn ich hingehe?“

      Olivia nickte zustimmend. „Ich kann mir nicht denken, warum nicht. Er mag Gesellschaft, vor allem seit er die meiste Zeit alleine ist. Außer Cooper wohnen da nur er und sein Golden Retriever Molly. Wahrscheinlich ist er begeistert,


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