Gegenwindschiff. Jaan Kross

Gegenwindschiff - Jaan Kross


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der Andamanensee und der Straße von Malakka im Sturm schaukelten.

      Wir reisten möglichst preiswert, weswegen sich unsere Kajüten auf dem untersten Deck befanden. Das heißt direkt über den Frachträumen, in denen die zweiundfünfzig eisenbeschlagenen Kisten mit unserer Expeditionsausrüstung ruhten. Das war im Übrigen ein derartiger Ballast, dass ich mir die ganze Zeit Sorgen darüber machte, wie wir damit in Manila und auf Cebu fertigwerden würden. Gewiss, in den Häfen wird es Träger geben, fragt sich bloß, wie vorsichtig die sind, aber wir werden ein Auge auf sie haben, und es wird schon klappen. Aber an unserem Bestimmungsort werden wir kaum sofort Hilfskräfte zur Hand haben. Wie wir dann in unserer Dreiviertel-Orang-Utan-Zusammensetzung zurande kommen …, nun, das wird sich zeigen.

      Jedenfalls befanden sich unsere Kajüten an Steuerbord so niedrig über der Wasserlinie, dass bei Südsturm die Wellen beinahe regelmäßig über mein Bullauge schwappten. So war es in meiner Kajüte abwechselnd halbdunkel und hell, halbdunkel und hell, halbdunkel und hell. Das Halbdunkel dauerte ungefähr sieben Sekunden, die Helligkeit ungefähr fünf Sekunden. Der senkrecht auf die Schiffsseiten aufschlagende Wind war so stark, dass die Wassertropfen auf dem Glas des nassen Bullauges, sobald es auftauchte, auseinanderflossen und für einen Augenblick am Innenrand des Fensterrahmens eine Art Verdickung des Fensterglases bildeten, ehe sie in der Luft verschwanden. Währenddessen schien sich das Glas des Bullauges zu einem gewissen Grade Richtung Kajüte zu wölben. In Wirklichkeit bewegte sich das fünfundzwanzig Millimeter dicke Glas natürlich kein bisschen. Jedenfalls schoss mir plötzlich ins Bewusstsein, welche Form eine Korrekturlinse haben müsste, die den größten Nachteil eines Teleskops beheben würde – seine sphärische Aberration. Ich sagte, es schoss mir in den Kopf. Zufällig. Nun, natürlich nicht völlig zufällig, denn ich hatte schließlich monatelang darüber nachgedacht. Jeden Tag in den Stunden, in denen ich am frischsten war, vor den laufenden Arbeiten. Sowie während der laufenden Arbeiten. Und nachts, wenn ich schlief, sowieso, entsprechend dem tagsüber erteilten Auftrag. So gesehen hätte jedes kreisförmige Glas meinen Gedanken den notwendigen Anstoß geben können. Ich begriff natürlich sofort, dass die Linse, die ich brauchte, deutlich dünner sein müsste als das Glas meines Bullauges, aber mir war plötzlich klar geworden, wie das Profil seiner spiegelseitigen Oberfläche beschaffen sein müsste. Du kannst dir denken, du kannst dir aus eigener Erfahrung denken, dass ich wie auf glühenden Kohlen saß, bis ich die Möglichkeit erhielt, meine Idee zu überprüfen. Denn das war vor meiner Rückkehr nach Hamburg vollkommen unmöglich. Ich musste also gute Miene zu einem höchst widerwärtigen und zermürbenden Spiel machen und weiter Richtung Manila tuckern und mir Baade anhören, der mir erklärte, sobald er von seiner Seekrankheit genesen war, wie sehr er sich um seine halbfertigen Arbeiten Sorgen mache, und wie großartig ich gegen derartige Sorgen durch mein estnisches Phlegma gefeit sei.

      Am Morgen des 28. März trafen wir in Manila ein.

      Der große Ozeanhafen liegt an einer großartigen Bucht und gleichzeitig in der Mündung des Pasig sowie wundersamerweise mitten im Zentrum dieser zu einem Viertel europäischen und zu drei Vierteln asiatischen Stadt. Jedenfalls reicht der Wirrwarr der Läden, Autos, Rikschas und Fahrräder bis an die Füße der immensen Hafenkräne. Ein paar Herrschaften vom deutschen Konsulat und einige Herren der Wetterstation von Manila holten uns am Hafen ab. Es stellte sich heraus, dass unsere Ausrüstung auf einen Küstendampfer umgeladen werden musste, der ebenfalls in der Mündung des Pasig lag, aber im zwei Kilometer entfernten Südhafen, der über die Landungsbrücken zu erreichen war. Die Leute vom Konsulat und die Herren von der Wetterstation wollten uns zunächst ins Hotel bringen. Sie hielten es für normal, dass wir uns erst mal ein paar Tage die Stadt anschauen würden und so weiter. Denn bis zur Sonnenfinsternis sei ihrer Meinung nach noch so viel Zeit. Kurzum, sie schlugen uns vor, unsere Ausrüstung im Hafen einzulagern und erst in einer Woche nach Cebu weiterzureisen. Dann würde das kleine Dampfschiff »Mactan« seine nächste Linienfahrt dorthin unternehmen. Nun würde es bereits übermorgen ablegen, und das würden wir ohnehin nicht schaffen.

      Baade war einverstanden mit diesem Vorschlag, aber ich protestierte. Ich bildete mir ein, meine Wartezeit bis zur Rückkehr nach Hamburg abkürzen zu können, wenn wir uns beeilten. Ich argumentierte Baade gegenüber – und das übrigens direkt an Ort und Stelle im Beisein der örtlichen Herrschaften (was, wie mir später schien, nicht gerade taktvoll war) –, dass er sich gar keine Vorstellung davon mache, in was für einem Land wir seien und was für unerwartete Verzögerungen auf dem Wege sowie was für zeitraubende und unvorhersehbare Arbeiten am Zielpunkt beim Aufbau unserer Apparatur auftreten könnten. Sodass am Ende alle nachgaben. Wir beschlossen, auf dem Schiff zu übernachten. Die Herren vom meteorologischen Dienst besorgten einen Lastwagen. Aus dem Nichts tauchten Packer auf, nette tagalische Jungen mit gelben Gesichtern und blitzenden Augen, die Winden fingen an zu knirschen, und unsere Kisten wurden teils auf den Kai, teils direkt aufs Auto gewuchtet. Ich weiß nicht, wie viel Baade für den Transport zahlen musste, denn ich hatte darum gebeten, mich mit Geldangelegenheiten zu verschonen. Damit befasse ich mich nur, wenn es unumgänglich ist, also wenn es meine eigenen Geldangelegenheiten sind.

      Jedenfalls fuhr ich am gleichen Tag mit diesem Auto dreimal, am folgenden Tag sechsmal über die Uferkais und Straßen einen Kilometer hinauf und über die von den Spaniern gebaute Steinbrücke und über das Nordufer zum Landungshafen, wo unsere »Mactan« lag. Das Auto war ein Renault aus dem Weltkrieg mit steinharten Vollgummireifen und donnerte wie ein Wildschwein über den hubbeligen Asphalt. Bei der »Mactan« wurden unsere Kisten mit der Winde an Deck gehievt, und nachdem ich die Packer auf Englisch, Deutsch, Schwedisch, Russisch und Estnisch ordentlich herumkommandiert hatte, konnte man hoffen, dass unser Zeug mehr oder weniger heil an Bord war.

      Am Nachmittag spazierte ich ein wenig durch die Stadt. Ich war auf der spanischen und auf der chinesischen Seite. In diesen Stadtteilen kann man ganz klar sehen, wie der neue, um sich greifende amerikanische Stil beide vollkommen durchdringt und überwuchert. Wenn dann noch genug vom Genius Loci dazukommt, bildet sich, wer weiß, vielleicht so etwas heraus, was künftig als philippinischer Stil bezeichnet wird. Natürlich war so ein eiliger Spaziergang kaum informativer als etwa das Durchblättern eines Bildbandes mit Stadtansichten. Ich gebe also gerne zu: Sollte ich Anwandlungen bekommen, etwas Geistreiches über die Philippinen von mir zu geben, so geschieht das gegen meinen inneren Willen. Denn ich weiß nichts über sie. Auf solch Journalistenwissen, bei dem leeres Stroh gedroschen wird, kann man verzichten. Wenn ich überhaupt von irgendeinem Land etwas weiß, dann von Deutschland, wo ich über zwanzig Jahre beinahe ununterbrochen gelebt habe. Und von Naissaar natürlich. Dessen Produkt ich in chemischer wie in traditioneller Hinsicht bin. Was aber die Philippinen betrifft, so muss ich sagen, dass ich durch die paar Bücher, die ich mir vor unserer Reise in Hamburg durchgelesen hatte, mehr gelernt habe als an Ort und Stelle von den dunkelgrauen Mauern der spanischen Altstadt und dem Bratölgeruch der winzigen Speisehütten auf der chinesischen Seite.

      1898 jagten die Philippiner unter Ausnutzung des wegen Kuba ausgebrochenen Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien die Spanier mit amerikanischer Hilfe davon. Das bedeutete das Ende einer vierhundertjährigen Kolonialherrschaft. Aber sofort stellte sich heraus, dass die Yankees den Philippinern keinesfalls wegen ihrer schönen schwarzen Augen geholfen hatten. Die Vereinigten Staaten benötigten in diesem Teil des Ozeans Flottenstützpunkte und pflanzten sich nun anstelle der Spanier den Philippinern – wie Onkel Frans auf Naissaar es ausdrücken würde – mit dem Arsch ins Gesicht. Vor der Weltöffentlichkeit wirkte das überdies beinahe normal: Schließlich waren die Filipinos bislang immer unter jemandes Herrschaft gewesen (ihre ein paar Wochen währende Republik von 1898 war ja nicht der Rede wert), sie würden gewiss auch in Zukunft jemanden brauchen, der sie anstelle ihrer selbst beherrschte. Gleichzeitig trat das von den Vereinigten Staaten besiegte Spanien die Inselgruppe in einem Friedensvertrag explizit an die Sieger ab.

      Selbstverständlich fanden die Amerikaner unter dem einheimischen Bürgertum Anhänger. Wie Geld es immer tut. Trotz aller Aufstände blieben sie da. Bis heute. Obwohl sie ihre neue Kolonialherrschaft mit einer Beinahe-Autonomie verschleiert haben. Sodass, wie Herr Heckermann von der hiesigen Wetterstation versicherte, der Herr Senatspräsident Manuel Quezón von den Amerikanern sogar die baldige Ernennung zum Staatspräsidenten erwarten konnte. Warum auch nicht. Mitarbeiter einer Wetterstation sind schließlich Spezialisten in Vorhersagen.

      Am


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