Einführung in die Systemische Soziale Arbeit. Wilfried Hosemann

Einführung in die Systemische Soziale Arbeit - Wilfried Hosemann


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haben auch in benachbarten Wissenschaften Anerkennung gefunden (z. B. Soziologie, Psychologie, Pädagogik) und korrespondieren zu Auffassungen in den Fachgesellschaften Systemische Gesellschaft (SG), Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF), Gesellschaft für systemische Pädagogik (DGsP).Wissenschaftliche GrundlagenWelche Schwerpunkte kennzeichnen das hier vorgelegte Theorieangebot? Der Ansatz ermöglicht, ökologische Perspektiven, wie die Beziehungen zur Natur, dem Klimawandel und zu sozial-ökologischen Prozessen, einzubeziehen, ohne einen grundsätzlich anderen Theoriezusammenhang heranziehen zu müssen. Die weiteren Merkmale betreffen die Rolle der Selbstreflexion als Ausgangspunkt des theoretischen und praktischen Vorgehens sowie den Zusammenhang von systemtheoretischer und systemischer Perspektive.Es hat Konsequenzen, die theoretischen Überlegungen beim Beobachter beginnen zu lassen. Systemische Konzepte, wie sie hier vertreten werden, lehnen sich nicht an die Vorstellung einer möglichst genauen Abbildung von ,objektiver Realität‘ an, auf denen dann aufgebaut werden kann. Sie beziehen den Prozess der Beobachtung viel mehr mit ein und verlangen eine Präzisierung von Beobachtung. Wichtig sind dabei vor allem die folgenden Fragen:Beobachtung als Startpunkt●Welche Unterscheidung liegt einer Beobachtung zugrunde?●Welche Konsequenzen sind mit dieser Beobachtung verbunden?●Wer legt welche Beschreibung von sozialer Wirklichkeit mit welchen Folgen zugrunde?Wesentlich ist uns, diesen Gedankengang auf Organisationen zu übertragen, da auch diese auf Beobachtungen und Unterscheidungen ihrer sozialen Umwelt aufbauen. Organisationen z. B. entscheiden, ob sie sich für Hilfeleistungen zuständig erklären oder nicht. Soziale Arbeit steht in der Verantwortung, ihre Unterscheidungen und Beobachtungen zu reflektieren, die ihrer Praxis zugrunde liegen.Eine der grundlegenden Herausforderungen in der Praxis besteht darin, Soziales zu gestalten, ohne letztlich sicher sein zu können, wie etwas ist bzw. wirklich war. Ein Beobachter unterliegt keiner zwingenden Notwendigkeit, jeweils genau so und nicht anders zu beobachten. Denn soziale Systeme (ebenso wie soziale Situationen, soziales Handeln) lassen sich nicht voraussetzungslos erkennen, sondern ,nur‘ durch einen aktiven Akt entwerfen – und der kann nicht losgelöst von seinen Bedingungen verstanden werden.imageJeder Beobachtung liegt eine Unterscheidung zugrunde, die begrifflich gefasst werden kann (z. B. arm/reich, jung/alt, vorher/nachher, gut/böse oder normal/abweichend). Wer ,schön‘ sagt, muss eine Vorstellung von ‚hässlich‘ haben – unabhängig davon, ob er die Vorstellung explizit benennt oder nicht. Begriffe führen Unterscheidungen ein und führen die unbenannte Seite als aktualisierbare Möglichkeit der Bezeichnung mit. Die jeweiligen Wirklichkeitskonstruktionen sind nicht beliebig oder gar willkürlich, sondern voller Voraussetzungen und Auswirkungen. Die Autonomie und die Abhängigkeiten des Beobachters sind Teil der Theorie und bilden den Hintergrund für die Reflexion von Verantwortung.Bedeutsamkeit von Unterscheidungen„Was ein Beobachter sieht und beschreibt, hängt nicht nur von seiner Theorie, sondern auch von seinem Beobachtungsstandort, seiner gesellschaftlichen Rollendefinition und dem institutionellen Rahmen der Beobachtung ab.“ (Simon 1993, 284)Im Interaktionsgeschehen werden die Voraussetzungen ständig durch das Handeln anderer Personen und Organisationen beeinflusst. Diese erkenntnistheoretische Grundausrichtung ist wichtig, damit der Ansatz sozusagen nicht „frei in der Luft hängt“, ohne die eigenen Entscheidungen mit zu berücksichtigen (siehe Kap. 2.1).Das zweite besondere Merkmal unseres Ansatzes liegt darin, dass er sich sowohl auf systemtheoretische Erkenntnisse als auch auf systemische Konzepte aus dem therapeutischen und beraterischen Umfeld bezieht. Wir plädieren dafür, die beiden unterschiedlichen Perspektiven aufeinander zu beziehen (Merten 1997; Kosellek 2009) und daraus Gewinne für die Soziale Arbeit zu entwickeln. Die These lautet: Je intensiver und differenzierter der Austausch von praktischen Erfahrungen und theoretischen Reflexionen – und umgekehrt – sein wird, umso deutlicher und schneller werden sich professionelle Erfolge für die Soziale Arbeit zeigen.Vorteil von ZusammenschauEs wird deshalb eine Auswahl systemtheoretischer Begriffe, Konzepte und Theorien präsentiert, die dieses Vorhaben unterstützen. Der vorliegende Entwurf Systemischer Sozialer Arbeit bietet die Möglichkeit, die Arbeitskonzepte und praktischen Vollzüge von beiden Seiten her zu entwickeln und zu reflektieren und ihre Integration auf den Prüfstand zu stellen. Die vorgestellten Begriffe erlauben es, Gelingen als auch Misserfolg zum Ausgangspunkt professioneller Reflexion und Theoriebildung zu nehmen.So kann ein Beitrag zur Einheit der Sozialen Arbeit geleistet werden, da der Zusammenhang von Vollzug, Grenzbeobachtung (z. B. Erfolge oder Scheitern) und Theoriebildung analysierbar wird.Zusammenfassung●Systemtheoretisches Denken zeichnet sich als Denken in Relationen, mit Respekt vor Eigensinn und dem Blick auf Wirkungszusammenhänge aus.●Systeme existieren, sind wirksam und können beobachtet werden. Welche Systeme wie beobachtet und beschrieben werden, ist aber von Personen oder Systemen abhängig.●Systemisch-konstruktivistisches Denken hilft, Komplexität zu ordnen und die dabei vorgenommenen Beobachtungen und Entscheidungen der Reflexion zugänglich zu machen.●Systemtheoretische Ansätze sind in der personenorientierten Praxis (z. B. in der Beratung von Einzelnen, Familien und Organisationen), in der Reflexion der Praxis und in der Weiterentwicklung ihrer Theorien erfolgreich einsetzbar.
Wir wollen die systemische Herangehensweise so beschreiben, dass Raum für unterschiedliche Arbeitsfelder, methodische Konzepte und Ebenen der Intervention zur Verfügung steht. Für uns ist es systemische Praxis, wenn sich Soziale Arbeit auf eine Sicht- und Vorgehensweise stützt, dieDefinitionen
●sich auf Systeme bezieht, d. h. die Systemgeschichte einbezieht,
●Systeme in ihrem Eigensinn und ihren wechselseitigen Abhängigkeiten betrachtet,
●systemische Grundsätze des Vorgehens als Orientierung in der Praxis nutzt,
●sich selbst in die Beobachtung einbezieht und mit verschiedenen Systemen verbunden betrachtet und
●Systeme unter den Aspekten von sozialer Teilhabe beobachtet.
Die Frage nach typischen Merkmalen für eine Systemische Soziale Arbeit wird in diesem Text über die in Tab. 1 aufgeführten inhaltlichen Kriterien beantwortet.Merkmale und Inhalte
In den folgenden Textpassagen werden die analytischen Darstellungen mit inhaltlichen Hinweisen gefüllt, um Antworten auf die Fragen zu geben, wie sich eine Systemische Soziale Arbeit zugleich theoretisch und empirisch bestimmen lässt.
Tab. 1: Inhalte, Grundsätze und Ethik Systemischer Sozialer Arbeit
Inhalt Systemischer Sozialer ArbeitSystemische Grundsätze des VorgehensSystemische Ethik•Gegenstandsbestimmung der Sozialen Arbeit•Ort der Leistung•Art der Leistung•Theorieentwicklung und Reflexion•Forschung•Respekt und Bescheidenheit•Zirkularität und Vernetztheit•Leitdifferenz soziale Teilhabe•Ressourcen- und Lösungsorientierung•Kontextsensibilität•Reflexivität•Menschenbild•Wertschätzung•Soziale Gerechtigkeit•Nachhaltigkeit
Gegenstandsbestimmung
Soziale Arbeit beobachtet und beeinflusst soziale Situationen unter Bezugnahme verschiedener sozialer Entwicklungen und Systeme, umDimensionen Sozialer Arbeit
●den Handlungsraum der Adressaten und Klienten zu erweitern,
●auf der Ebene von Bund, Ländern und Kommunen soziale Leistungen zu erbringen und
●sich an der Entwicklung der Gesamtgesellschaft über Innovationen, Konflikte und Gesetze zu beteiligen.
Über den Gegenstand Soziale Arbeit verdichtet sich die fachliche Diskussion und es kommt zunehmend zur Klärung theoretischer und methodischer Positionen in der Wissenschaft der Sozialen Arbeit. Die Dimensionen, anhand derer Soziale Arbeit ihre Bezüge in der Praxis beobachtet und gestaltet, lassen sich systematisieren hinsichtlich
●Adressaten und Klienten (wie Lehrer oder Jugendliche),●Organisationen (wie Stadtwerke, Allgemeiner Sozialdienst),●soziale Räume (wie Stadtteilbezug oder soziale Netzwerke im Internet),●Funktionssysteme (wie Medizin, Recht, Politik) und●der Gesellschaft (wie Beiträge zur Sozialpolitik).
Bei
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