Hypnose und Achtsamkeit in der Psychoonkologie. Michael E. Harrer

Hypnose und Achtsamkeit in der Psychoonkologie - Michael E. Harrer


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Hoffnung darauf, dass die Infusionen auch die letzte Krebszelle, die bei der Gewebeentnahme »entkommen« sein könnte, erreichen und vernichten – auch wenn es dafür keine Garantie gibt.

      Nichts ist ihr wichtiger, als möglichst bald in der Lage zu sein, sich um ihr Kind zu kümmern, das bisher vom Ehemann und ihren Eltern zu Hause liebevoll versorgt wird. Als Gegengewicht zu den in den letzten Monaten vorherrschenden Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit macht sie in Hypnose und Selbsthypnose wohltuende und stärkende Erfahrungen.

      Erste Hypnose: Nach wenigen Suggestionen, es sich auf ihrem gepolsterten Stuhl mit einer hohen Lehne möglichst bequem zu machen, sich zurückzulehnen und ihr Körpergewicht als angenehme Schwere zu genießen, lehnt Frau S. ihren Kopf zurück – und ihre Augen schließen sich.

      »Einerseits wissen Sie, dass Sie hier und heute [Datum] in meiner Praxis sitzen, angenehm schwer auf diesem bequemen Stuhl, andererseits können Sie den Wunsch verspüren, dass Sie viel lieber ganz woanders wären, wo es Ihnen richtig gut geht, wo auch immer das sein mag – an einem Ort oder besser in einem intensiven Erleben oder einer Erfahrung, die Ihnen helfen kann. Eine Erfahrung, die Ihnen erlaubt, all das, was wir vorher auf der bewussten Ebene an Schwierigem und Herausforderndem ausführlich besprochen haben, für eine Weile weit hinter sich zu lassen, um endlich zur Ruhe zu kommen und Kraft zu schöpfen – insbesondere im Hinblick auf die demnächst anstehende zweite Chemotherapie.«

      Ihr Gesicht wirkt entspannt. Frau S. atmet ruhig und regelmäßig.

      »Wenn Sie nun immer tiefer eintauchen in ein Gefühl des Wohlbefindens und der Sicherheit nach diesen anstrengenden und herausfordernden Wochen, ja Monaten, können Sie jetzt – gespeist aus Ihren guten Erinnerungen – mit allen Sinnesqualitäten, mit dem, was Sie jetzt spüren, sehen und hören, vielleicht sogar riechen und schmecken, erleben, dass es Ihnen richtig gut geht. Je tiefer Sie eintauchen können in dieses intensive und gute Erleben, umso leichter könnte sich eine der beiden Hände anfühlen, während die andere sich immer schwerer, angenehm schwer, anfühlen wird.«

      Beide Hände sind auf den Oberschenkeln bequem abgelegt. Die rechte Hand bewegt sich nun ein wenig, rutscht ein paar Millimeter zurück, am ehesten infolge der muskulären Entspannung in den Oberarmen und Schultern.

      »Vielleicht kann die rechte Hand sich sogar so leicht anfühlen, dass sie zu schweben beginnt – ganz von allein, ohne Ihr aktives Zutun – als Zeichen dafür, dass Sie immer tiefer eintauchen in Ihr erholsames, gutes Erleben. Ein Erleben, das Ihnen erlaubt, nicht nur jetzt und hier und heute zur Ruhe zu kommen, sondern Ihnen auch gute Dienste erweisen kann, wenn Sie demnächst Ihre nächste Infusion bekommen und dann auf einer bequemen Liege liegen werden und sich ganz auf das konzentrieren können, was Ihnen guttut.«

      Die Hand hebt sich ganz allmählich und ruckartig, wie durch ein Zahnrad angetrieben, einige Zentimeter nach oben und schwebt nun über dem Stoff der Hose.

      »Solange Ihre rechte Hand mir zeigt, dass Sie innerlich gut unterwegs sind, werde ich nur noch wenige Vorschläge machen. Genießen Sie es.«

      Um der Patientin zu signalisieren, dass ich weiter für sie und mit ihr da bin und um sie meiner Präsenz zu versichern, kommentiere ich etwa zehn Minuten lang nur ab und zu etwas, etwa einen tiefen Atemzug, mit »sehr gut« und verbinde das Geschehen mit Vertiefungssuggestionen. Aufgrund der anhaltenden Handlevitation – die Hand hebt sich allmählich immer weiter –, gehe ich davon aus, dass sie in einer optimalen Szenerie gelandet ist, auch wenn ich nicht weiß, in welcher.

      Als ihre Hand beginnt, allmählich wieder zahnradartig abzusinken, fordere ich Frau S. auf, sich genügend Zeit zu nehmen für die Rückkehr ihrer Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt. Ich schlage vor, von dieser aktuellen, intensiven und guten Erfahrung all das zu erinnern, was wert ist, erinnert zu werden. Zugleich könne sie all das erst mal einem inneren »Archiv des Vergessens« überlassen, was dort besser aufgehoben ist, um sich ganz auf die Herausforderungen der kommenden Chemotherapie konzentrieren zu können. Nach einer kurzen angesagten Pause leite ich in normaler Stimmlage die Reorientierung ein:

      »Und nun zählen Sie bitte selbst innerlich rückwärts von zehn bis null, ohne die Zahlen auszusprechen. Über neun, acht, sieben und so weiter … bis Sie … bei den mittleren Zahlen angekommen … bemerken, wie Sie sitzen … dass z. B. der Kopf ein wenig zur Seite geneigt ist und Sie ihn leicht bewegen können, um wieder ganz aufrecht zu sitzen … und spätestens bei den kleinen Zahlen atmen Sie mal tief durch … genau so … um sich dann zu recken und zu strecken wie nach einem erholsamen Schlaf … um bei eins die Augen zu öffnen und bei null wieder ganz da zu sein.«

      Nachdem Frau S. ihre Augen geöffnet hat und mich anblickt, begrüße ich sie mit einem freundlichen Lächeln. Dann besprechen wir ausführlich ihre Erfahrungen in der Hypnose. Es habe sich angefühlt wie eine aktuelle, sehr lebendige Hier-und-Jetzt-Erfahrung. Sie berichtet, sie habe intensiv die Anstrengung und die Kraft erlebt, die sie von früheren sportlichen Aktivitäten, vom Laufen und vom Schwimmen, kenne. Anschließend habe sie sich – total erschöpft – ausgeruht.

      Nach all dem, was die Patientin durchmachen musste, wobei sie ihre Kräfte verausgabt hatte, kann sie ihre nachvollziehbare, bis dahin als negativ empfundene Erschöpfung auf eine ganz selbstverständliche und natürliche Weise umdeuten, als positiv erlebten Ausgangspunkt, als Beginn von Erholung und Wiederauftanken. Dieses Erleben wird zu einem Wendepunkt und leitet einen Perspektivenwechsel ein: weg von der Vermeidung der unerträglichen Nebenwirkungen der Chemotherapie, hin zu ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten, sich stattdessen auf eine positive Imagination zu konzentrieren.

      Ausgehend von dieser Hypnoseerfahrung entwickelt Frau S. ihr maßgeschneidertes, persönliches Selbsthypnoseritual: Während der Chemotherapie-Infusionen konzentriert sie sich auf die Vorstellung und das damit verbundene Erleben, dass sie »mit aller Kraft flussaufwärts schwimmt«. Ihr Einfall, diese Vorstellung zu nutzen, ist insofern genial, als »die starke Strömung, die körperabwärts vom Scheitel bis zu den Zehen deutlich zu spüren ist, das gleichzeitige Aufsteigen von Übelkeit oder gar Erbrechen unmöglich macht«. In ihrer Vorstellung sinkt sie am Ende dieser Anstrengung, »endlich am Ufer, an einem warmen Sandstrand angekommen, vor Erschöpfung in einen tiefen und erholsamen Schlaf«.

      Zusätzlich unterstützend wirkt sich vermutlich aus, dass die Chemotherapie ambulant in der Praxis eines niedergelassenen Onkologen verabreicht wird. Das erspart ihr den erneuten Kontakt mit der Klinik, mit der die monatelangen Ängste, der Schrecken der Diagnose und die operativen Maßnahmen assoziiert sind.

      Frau S. verträgt mithilfe dieser und ähnlicher Imaginationen den zweiten Zyklus der Chemotherapie wesentlich besser als den ersten. Dass sie den dritten Zyklus noch viel besser verträgt als den zweiten, erlebt sie als persönlichen Erfolg. Sie verbucht ihn als besonders groß, da sie die gleiche Medikation gegen die Übelkeit erhalten hat und ihre Erfahrungen der im Rahmen der Aufklärung gehörten Information widersprechen, die Nebenwirkungen würden mit jedem Zyklus zunehmen. Aus hypnotherapeutischer Sicht gelten derartige Informationen als potenzielle Negativsuggestionen (Nocebo, Abschn. 5.6.3).

      Frau S. erringt diesen persönlichen Sieg mithilfe einer Bewältigungsstrategie, die auf ihren ureigenen Fähigkeiten beruht. Zugang zu diesen Fähigkeiten findet sie mit professioneller psychoonkologischer Unterstützung und angeleitet in Hypnose. Deren Umsetzung und Anwendung erfolgt dann autonom mittels Selbsthypnose.

      Zum weiteren Verlauf: Auf die psychoonkologische Krisenintervention zu Beginn und auf die dargestellte Unterstützung bei der Bewältigung der Herausforderungen der Chemotherapie mit Hypnose und Selbsthypnose folgt noch eine weitere Phase der Begleitung. Im Zeitraum von etwa einem Jahr bearbeitet Frau S. in einer psychotherapeutischen Zusammenarbeit im eigentlichen Sinne verschiedene Therapieziele und Themen.

      Diese Schilderung des hypnotherapeutischen Vorgehens am Beispiel von Frau S. erfolgt aus der Perspektive des mitbehandelnden ärztlichen Psychotherapeuten (HE), der sie psychoonkologisch »ein Stück ihres Weges« begleitet. Im Zentrum dieser Begleitung stand die von beiden anerkannte Notwendigkeit der medizinisch indizierten Krebstherapie.

      Im persönlichen intersubjektiven Austausch


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