Kinder im Kreuzfeuer. Eia Asen

Kinder im Kreuzfeuer - Eia Asen


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völlige Unabhängigkeit des Kindes von den Eltern. Welche Position in diesem Spektrum für die Beziehung eines Kindes zu einem Elternteil optimal ist, hängt von vielen Faktoren ab, beispielsweise vom realen Alter, vom Entwicklungsstadium, von den geltenden gesellschaftlichen Normen sowie von den situativen, sozialen und kulturellen Umständen, unter denen die Familie lebt. Wird ein Kind von seinen Eltern in eine Triangulierung hineingezogen, ist seine Nähe zu dem Elternteil, bei dem es lebt, oft größer und die zum anderen Elternteil geringer, als es für eine gesunde psychosoziale Entwicklung optimal wäre.

      Ist ein Kind tatsächlich von einem Elternteil erheblich misshandelt oder vernachlässigt worden, macht das eine gewisse physische oder emotionale Distanzierung von diesem Elternteil nicht nur verständlich, sondern liegt gewöhnlich auch im wohlverstandenen Interesse des Kindes – insbesondere wenn weiterhin die reale Gefahr der erneuten emotionalen oder physischen Schädigung des Kindes besteht. Diese Dynamik unterscheidet sich von der als »Triangulierung« bezeichneten Verstrickung in die elterlichen Konflikte, weil wir von »Triangulierungsprozessen« nur sprechen, wenn sich ein Kind von einem Elternteil emotional und/oder physisch distanziert, da die Beziehung durch den anderen Elternteil unterminiert wird und/oder da das Kind dem Konflikt zwischen den Eltern ausgesetzt ist – es also nicht um einen Schaden geht, den das Kind in der Obhut des distanzierteren Elternteils erlebt hat.

      Die entstehenden Dynamiken und Prozesse lassen sich vielleicht am besten erörtern und entflechten, wenn man die Sichtweisen und Haltungen aller an dem Dreieck Beteiligten zu verstehen versucht: die des Elternteils, mit dem das Kind die meiste Zeit verbringt (den wir von nun an den »näheren Elternteil« nennen werden); die des Elternteils, bei dem das Kind weniger oder keine Zeit verbringt (den wir von nun an als den »distanzierteren Elternteil« bezeichnen werden); und die des betroffenen Kindes.

      Der nähere Elternteil kann zu den Triangulierungsprozessen beispielsweise beitragen, indem er sich kritisch bzw. übermäßig kritisch dazu äußert, wie der distanziertere Elternteil das Kind behandelt oder behandelt hat. Dies kann zur Folge haben, dass der dem Kind nähere Elternteil aufrichtig und ohne jede böse Absicht glaubt, die Beziehung zwischen dem Kind und dem distanzierteren Elternteil müsse eingeschränkt oder völlig unterbunden werden, um das Kind vor inadäquater oder gar schädlicher elterlicher Betreuung zu bewahren. Solche Sorgen können verstärkt werden, wenn es Eltern schwerfällt, ihre eigenen Gedanken und Gefühlszustände (beispielsweise Wut oder Angst) von denjenigen ihres Kindes zu unterscheiden. In Ermangelung dieser Fähigkeit kann der betreffende Elternteil es als sehr schwierig empfinden, die Beziehung des Kindes zum Expartner zu unterstützen, was die Distanz zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil noch vergrößert. Eine weitere Dynamik, die zum Triangulierungsprozess beitragen kann, besteht darin, dass sich der nähere Elternteil immer stärker auf die emotionale Unterstützung und Gesellschaft des Kindes verlässt – wodurch das Kind in die »Sache« des näheren Elternteils hineingezogen wird und dessen negativen Gefühlen dem früheren Partner gegenüber ausgesetzt ist. So wird das Kind indirekt mit dem elterlichen Konflikt konfrontiert: Es sieht die Wirkung dieses Konflikts auf den ihm näheren Elternteil und distanziert sich aus Loyalität und um seine Beziehung zu schützen weiter von dem anderen Elternteil.

      Manche Eltern äußern sich zwar nicht negativ über den Expartner, doch aufgrund ihrer eigenen negativen und belastenden Gefühle oder aufgrund ihrer Wut ihm gegenüber fällt es ihnen leichter, gar nicht über ihn zu sprechen. Es kann ihnen auch widerstreben, sich mit Fotos oder Gegenständen, die an den Abwesenden erinnern, zu befassen. Dies ist der Beziehung des Kindes zum distanzierteren Elternteil eher abträglich, weil es ihm die Reaktivierung positiver Erinnerungen erschwert und zudem die physische und emotionale Distanz zwischen ihm und dem anderen Elternteil vergrößert. In extremeren Fällen kommt es vor, dass sich der dem Kind nähere Elternteil gekränkt fühlt und es deshalb für gerechtfertigt hält, direkt und wiederholt die Beziehung des Kindes zum Expartner zu unterminieren. Der nähere Elternteil kann das Kind auch direkt in den weiterhin akuten elterlichen Konflikt hineinziehen, beispielsweise indem er an wirkliche oder angebliche Vorfälle häuslicher Gewalt erinnert, für die er den distanzierteren Elternteil verantwortlich macht. Manchmal statten Eltern ihre Kinder für den Umgangskontakt mit dem distanzierten Elternteil sogar mit verborgenen Aufnahmegeräten aus, um »Beweise« für dessen Elternunfähigkeit zu liefern. Kinder können auch instruiert oder »gecoacht« werden, selbst Anschuldigungen gegen den anderen Elternteil vorzubringen. Auch Mitglieder des engeren Kreises der Ursprungsfamilie eines Elternteils und loyale Freunde können zu Triangulierungsprozessen beitragen, indem sie durch parteiische Äußerungen negative Informationen verstärken.

      Der distanziertere Elternteil kann durch seine Reaktion auf das Gefühl, vom näherstehenden Elternteil und von dessen Netzwerk kritisiert zu werden, den Triangulierungsprozess verstärken. Dies kann zur Folge haben, dass er sich niedergeschlagen fühlt und sich aus der Beziehung zum Kind zurückzieht, das dann mit Wut oder mit Schuldgefühlen und Ablehnung reagiert. Der distanziertere Elternteil kann aber auch selbst mit Kritik und Feindseligkeit reagieren, ohne das Kind von diesen starken negativen Gefühlen gegenüber dem näherstehenden Elternteil und anderen Mitgliedern von dessen Ursprungsfamilie abzuschirmen, und das Kind dadurch indirekt seinem eigenen Konflikt mit dem Expartner aussetzen. Die Folge kann sein, dass sich das Kind noch stärker vom distanzierteren Elternteil abwendet, und sei es nur, um seine eigene positive Sicht auf den ihm näheren Elternteil aufrechterhalten zu können.

      Eine weitere Dynamik, die zu Triangulierungsprozessen beitragen kann, sind die oft aggressiven oder deprimierten Reaktionen des distanzierteren Elternteils auf den offensichtlichen Rückzug des Kindes aus der Beziehung zu ihm. Dies wiederum kann beim Kind schmerzhafte Gefühle hervorrufen, wie Angst vor oder Enttäuschung über augenscheinliche Missbilligung und Abfuhr, auch Schuldgefühle, die Kinder oft herunterzuspielen oder zu vermeiden versuchen, indem sie sich noch stärker vom betroffenen Elternteil distanzieren. Manchmal streitet der distanziertere Elternteil ab, dass er seine elterlichen Aufgaben schlecht oder nachlässig erfülle, oder er leugnet tatsächlich begangene körperliche Misshandlungen oder andere inadäquate oder schädliche Verhaltensweisen dem Kind gegenüber. Ist dokumentiert und belegt, dass solche Vorfälle vorgekommen sind, entwertet deren Leugnung die vorangegangene Darstellung des Kindes, was die bereits bestehende Distanzierung wahrscheinlich erneut verstärkt. Werden die Fakten, die das Verhalten des distanzierteren Elternteils betreffen, bestritten, bringt weiteres Abstreiten das Kind in die schwierige Lage, zwischen zwei möglichen »Wahrheiten« wählen und somit entscheiden zu müssen, welcher Elternteil »richtig-« und welcher »falschliegt«.

      Das betroffene Kind kann einen Elternteil aus vielen Gründen bevorzugen und nach der Trennung der Eltern abgeneigt oder widerwillig sein, den Kontakt zu dem distanzierteren Elternteil aufrechtzuerhalten. Kinder nehmen die Ängste des ihnen näher stehenden Elternteils angesichts eines bevorstehenden Umgangskontakts mit dem distanzierteren Elternteil wahr und entwickeln so selbst von Angst getriebene Reaktionen. Manchmal entsteht bei ihnen sogar eine irrationale Furcht oder Aversion dem ihnen ferneren Elternteil gegenüber, die an eine phobische Reaktion erinnert. Dies kann einander verstärkende Zyklen von Angst, Panik und Vermeidungsverhalten hervorrufen, wenn der dem Kind nähere Elternteil auf dessen Angst und Aufgebrachtheit reagiert, indem er sich noch schützender und gereizter verhält. Der nähere Elternteil ist somit nicht in der Lage, das Kind zu beruhigen oder ihm zu helfen, seine Angst zu überwinden und adäquate Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Es registriert die Voreingenommenheiten und Reaktionen des ihm näheren Elternteils, womit sein Gefühl verstärkt wird, bei dem distanzierteren Elternteil »nicht sicher« zu sein. Das vermeidende Verhalten des Kindes wird dann leicht zu einer fest verwurzelten und erlernten Reaktion (Fidler et al. 2013; Judge a. Deutsch 2017).

      Weitere Gründe, warum Kinder ihre Beziehung zu einem Elternteil einschränken oder völlig unterbinden wollen, können frühere unbefriedigende oder üble Erlebnisse unter der Obhut des betreffenden Elternteils sein; es kann sich auch um Erinnerungen an Erlebnisse handeln, die die psychische Gesundheit eines Elternteils oder dessen Substanzmissbrauch betreffen und die im Geist des Kindes eine übertriebene Bedeutung erlangen, wenn der ihm


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