Handbuch für Outdoor Guides. Hans-Peter Hufenus
der Wildnis.
Die Outdoor Unternehmung als Freizeitvergnügen wurde hingegen erst in den letzten zweihundert Jahren populär. Als die ersten Engländer in die Alpen kamen, mit dem alleinigen Ziel, die höchsten und steilsten Berge zu besteigen, schüttelten die Bergbauern und Hirten verständnislos den Kopf und betrachteten diese ersten Abenteuertouristen als völlige Spinner. Vermutlich schüttelt der Bergbauer auch noch heute den Kopf, wenn er die jungen Burschen aus der Bergbahn »bungeejumpen« sieht oder Mitarbeiter eines Chemiekonzerns zwecks Teambuilding durch seinen Wald stapfen. Gerade dieses letzte Beispiel, das sogenannte Outdoor-Training, ist zwar weit herum bekannt, doch viele Menschen können damit nichts anderes verbinden als Erinnerungen an die Zeiten im Militär oder bei den Pfadfindern. Das hat auch seine Gründe, denn gerade militärische Übungen sind ja Outdoor-Übungen im klassischen Sinne. Auch der absolute Outdoor-Klassiker, die weltweite Pfadfinderbewegung, hat seine Wurzelnim Militärischen. Der britische Oberst Baden-Powell setzteim südafrikanischen Burenkrieg Jugendliche als Scouts (Pfadfinder) ein. Dies brachte ihn schliesslich auf die Idee des freizeitpädagogischen Konzepts der Boy Scouts, die sich zur weltweiten Pfadfinderbewegung ausweitete. In dieser Zeit, das heisst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entstanden gleichzeitig viele Bewegungen, die in die selbe Richtung gingen: Abenteuer und Erlebnis als Freizeitangebot mit dem Anspruch auf Korrektur erzieherischer Defizite.
Es war die Zeit der sogenannten Reformpädagogik, in der auch die heutige Erlebnispädagogik ihre Wurzeln hat. Neben der Pfadfinderbewegung waren es insbesondere der YMCA (Christlicher Verein junger Männer) und die Outward Bound Bewegung, die Naturerfahrungen und Natursport ins Zentrum ihrer Aktivitäten rückten.
Neben dem Bergsteigen und dem normalen Wandern erhielten Freizeitaktivitäten im Outdoor zu jener Zeit bei den Erwachsenen noch keine grosse Aufmerksamkeit. Dies änderte sich erst vor einigen Jahrzehnten. Zwischen 1970 und 1980 entdeckten die Menschen aus den westlichen Industrienationen das Trekking. Anbieter von Abenteuerreisen schossen wie Pilze aus dem Boden. Organisierte Reisegruppen, begleitet von Trägern oder Tragtieren, wie auch weniger betuchte Individualtouristen mit schweren Rucksäcken, begannen den Himalaja und die Anden zu durchstreifen. Als besonderer Kick für Zivilisationsmüde wurde später das Survival-Training Mode, eine ursprünglich militärische Überlebensschulung. Die Sozialpädagogik entdeckte die exotische Abenteuerreise als Erziehungsmassnahme. Ab 1980 nahm die Zahl erlebnispädagogischer Angebote in Form von Segelschiffprojekten, Wildnisaufenthalten und Fernreisen sprunghaft zu. Etwas später folgte die Wirtschaft, die das Outdoor-Training in die betriebliche Weiterbildung einbezog, vorab zur Stärkung von Teams und zur Verbesserung der sozialen Kompetenz von Führungskräften.
So entwickelte sich einerseits eine eigene Profession, welche Outdoor-Erfahrungen zur Persönlichkeitsentwicklung einsetzt. Andererseits fand im Freizeitbereich vor allem bei der Jugend eine Abkehr von der romantischen Naturerfahrung hin zum reinen »Fun and Action« statt. Riverrafting, Bungeejumping, Canyoning beleben das Geschäft mit dem Abenteuer.
Outdoor Guide, ein Profil
Der Boom mit den Abenteueraktivitäten ist nach wie vor ungebrochen. Unzählige Anbieter konkurrieren auf dem Markt und Kunden können aus einem riesigen Angebot wählen. Das bedeutet gleichzeitig, dass die Qualitätsanforderungen an Programmgestalter und Leitungspersonen enorm sind. Es reicht nicht, wenn Leiter und Leiterinnen über technisches und geographisches Know-how verfügen. Wichtig sind »weiche« Kompetenzen wie Führungsqualifikation und emotionale Intelligenz. Und was im Outdoor ganz speziell gefordert ist, ist die Gewährung von Sicherheit.
Am 28. Juli 1999 kamen im Berner Oberland 20 Menschen bei einem Canyoning-Unfall ums Leben. Eine ganze Woche lang beschäftigten sich die Medien ausführlich mit dem Vorfall. Dass in diesem Zeitraum auf den Schweizer Strassen wahrscheinlich ebenso viele Menschen gestorben sind, kümmerte – ausser die unmittelbar Betroffenen – niemanden besonders. Der Grund liegt darin, dass Tote und Verletzte im Strassenverkehr sozusagen zum Alltag gehören, während Outdoor-Aktivitäten etwas Besonderes sind, somit besondere Aufmerksamkeit und Medienwirksamkeit geniessen. Die Medienberichte über den Unfall haben aber auch mit aller Deutlichkeit gezeigt, wie das Abenteuer-Geschäft funktioniert. Die Kunden verlangen einen möglichst hohen Abenteuerwert, der zum gebuchten Zeitpunkt und mit dem versprochenen Thrill einzutreten hat. Und die Öffentlichkeit verlangt, dass die Anbieter dafür garantieren, dass keine Unfälle geschehen. Gab es vor 50 Jahren praktisch nur einen Abenteuersport, nämlich das Bergsteigen, das überdies als schräges Hobby von ein paar Sonderlingen galt, sind Abenteuer heute zum eigentlichen Breitensport geworden. Überall sieht man Plakate und Zeitschriften, wo Fotos von Menschen mit zum Schrei aufgerissenen Mäulern für Riverraftings, Bungeejumpings, Canyonings und ähnliches werben. Dass an die Leiter hohe Anforderungen betreffend Sicherheit gestellt werden, ist selbstverständlich. Sie müssen, während sie ein Maximum an »fun and action« bieten, MeisterDompteure des kontrollierten Risikos sein.
Victorino kannte die Anden Perus wie seine Hosentasche. Er wurde vom Gründer des ersten Trekkingunternehmens der Schweiz vor bald 30 Jahren »entdeckt« und als lokaler Leiter von Trekking und Bergsteigergruppen eingesetzt. Er machte seine Sache gut, hat viele Menschen über die Pässe der Anden und oft auch auf deren höchste Berggipfel geführt. Dann kamen ein paar Schweizer Bergführer – nachdem sie das Business »Trekking« auch entdeckt hatten – auf die Idee, junge Peruaner als Bergführer auszubilden und mit einem Zertifikat auszurüsten. Auf politischer Ebene wurde dafür gesorgt, dass nur noch so zertifizierte Leiter Trekking- und Bergsteigergruppen in den peruanischen Anden führen durften. Victorino, der über kein solches Zertifikat verfügt, wurde in der Folge offiziell untersagt, weiterhin Bergtouren zu leiten.
Diese beiden Blickwinkel zeigen, wie doppelbödig der scheinbar objektive Ruf nach Sicherheit ist. Zum Profil eines verantwortungsvollen Outdoor Guides gehört nach unserer Meinung ein vielschichtiges Verständnis von Sicherheit. Es wird an verschiedensten Stellen des Handbuchs davon die Rede sein. Davon abgesehen beziehen sich alle weiteren Informationen und Anregungen auf folgende Definitionen:
Ein Outdoor Guide
kann sich selbstverständlich und sicher in der Natur bewegen.
kann in der Natur leben, am Feuer kochen, geschützte Schlaf- und Lagerplätze einrichten.
kann anderen Menschen das Leben in der Natur nahe bringen, sie darin sicher begleiten.
Zu den klassischen Outdoor Guide-Bereichen gehören:
Trekking bzw. Wildnis-Reise
Freizeit- und Lagergestaltung
Kanuwandern, Seakajakreisen
Schneeschuhlaufen
Nicht in das hier gezeichnete Outdoor Guide Profil gehören Extremsportarten oder
Disziplinen, die ein hochschwelliges Spezialwissen erfordern.
Philosophische Aspekte
Wir stellen in diesem Buch unter anderem vier Fortbewegungsarten vor: das Trekking, das Schneeschuhlaufen, das Kanadierfahren und das Seakajakfahren. Was haben diese vier miteinander zu tun? Es handelt sich um vier archaische Fortbewegungsarten jener nomadischen Völker, die als Jäger, Sammler, Fischer oder Hirten über Land oder auf dem Wasser dahinzogen. Das Unterwegssein, das Dahinziehen ist ihr zentrales Merkmal, das sich vom gängigen Charakter von Natursportarten wie Bergsteigen, Wildwasserkajak, Riverrafting und Canyoning merklich unterscheidet.
Wenn wir genauer hinschauen, entdecken wir bei jenen Sportarten eine recht kriegerische Sprache: Man kämpft sich durch, bezwingt, siegt. Die Helden sind die, die es immer höher, immer weiter, immer schneller schaffen.
Dem Trend zum Martialischen können sich allerdings auch die »sanften« Outdoor-Formen nicht ganz entziehen. Es werden Atlantiküberquerungen im Seakajak gemacht, extreme Wildwasser mit dem Spezialkanadier befahren, die Antarktis zu Fuss durchquert. Auch die Schneeschuhläufer werden zunehmend für Rekorde mobilisiert: Ein Guinessbucheintrag für die längste Schneeschuhläuferkette ist schon erreicht, Schneeschuhrennen werden noch und noch organisiert. Das darf ja auch sein und kann überdies Spass machen. Schade ist nur, wenn Verbissenheit und Materialschlachten das Feld beherrschen.
Nun,