Sisis schöne Leichen. Thomas Brezina

Sisis schöne Leichen - Thomas Brezina


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      Elisabeth verglich ihn im Stillen mit einem Wiesel, weil er sich so schnell vor- und zurückbewegen konnte. Es war ihm verboten, sie zu belehren. Er durfte nur ihre Fragen zu Schritten und Armbewegungen beantworten.

      Der Übungskampf dauerte fast eine Stunde. Elisabeth genoss Pierres Ermüdungserscheinungen. Sie gönnte sich selbst und ihm keine Pausen. Nach einem Treffer ging es sofort weiter.

      An diesem Morgen war Elisabeth nicht ganz bei der Sache. Ihre Gedanken schweiften zu Ida und Latour, von denen sie in Kürze Bericht erhalten würde. Aus diesem Grund verlief die Stunde für sie nicht so erfolgreich wie sonst. Auch wenn sie nicht zählten, wusste sie, dass Pierre sie diesmal haushoch geschlagen hatte.

      Schließlich nickte sie ihm zu und verließ den Saal. Im Appartement im oberen Stockwerk stand schon eine Wanne mit eiskaltem Wasser für sie bereit. Sie wurde jeden Tag in das Toilettezimmer gebracht, wo Elisabeth ihre Körperpflege verrichtete. Die Kleiderzofen zeigten ihr verschiedene Kleider und die Kaiserin entschied sich für eines aus dunkelgrünem, gekrepptem Stoff mit beigen Spitzen und langer Schleppe.

      Später würde sie eine Irrenanstalt besuchen. Ihr war angekündigt worden, dass sie dort eine Vorführung von Hypnose bekommen sollte, die neuerdings zur Heilung der Geisteskranken eingesetzt wurde.

      Das Frühstück wurde Elisabeth auf einem Silbertablett in den Salon serviert und bestand aus einem Glas Orangensaft. Sie blieb allein, da der Kaiser schon gefrühstückt hatte. Elisabeth sah ihm derzeit nicht gerne zu, wenn er drei Stück Gugelhupf mit Milchkaffee zu sich nahm. Sie hatte Gusto auf Mehlspeisen, aber die Waage zeigte noch immer mehr als 51 Kilogramm. Sie fühlte sich zu schwer und wollte weiter fasten.

      Von draußen waren die sieben Schläge der Kirchturmuhr zu hören, als Ida nach kurzem Anklopfen eintrat. Argwöhnisch fiel ihr Blick auf Fanny Feifalik, die Elisabeths Haare bürstete und hochsteckte. Doch die Kaiserin machte keine Anstalten, die Friseuse hinauszuschicken.

      »Was hast du in Erfahrung gebracht?«, wollte Elisabeth wissen. Sie bemerkte Idas Zögern.

      »Die Fanny kann ruhig mithören«, sagte Elisabeth. So ganz schien das Ida nicht zu gefallen, doch Elisabeth kümmerte sich nicht darum. »Erzähle vom Treffen mit der Photographin.«

      Hinter sich spürte Elisabeth, wie Fanny gekonnt die Finger durch ihre Haare gleiten ließ, sie anhob und senke. Sie spielte mit ihnen, als wären sie Wasser, und massierte dabei sanft die Kopfhaut. Ida redete langsam, weil sie kein Detail auslassen wollte.

      Während Ida berichtete, begann Fanny mit den Bürstenstrichen, die zuerst vom Scheitel bis in den Nacken gingen. Dann vom Scheitel bis auf die Höhe der Schulterblätter. Schließlich zog sie die Bürste vom Kopf bis zu den Haarspitzen, die auf dem Boden lagen. Sie musste dazu jedes Mal in die Knie gehen. Auf Elisabeth wirkte es, als würde Fanny hinter ihrem Rücken Turnübungen machen.

      Als Ida von dem Gift erzählte, das Amalie erwähnt hatte, gebot die Kaiserin der Friseuse mit einer energischen Handbewegung, das Bürsten zu unterbrechen. »Gift, das man weder riecht, noch schmeckt, das tötet und das den Tod natürlich aussehen lässt?« Elisabeth hatte davon noch nie gehört.

      »So ist es, Majestät.«

      »Kannst du glauben, dass Oberland ermordet wurde?«

      »Es scheint keinen Grund zu geben, wieso ein Lehrer und Bibliothekar ermordet wird. Wäre da nicht das Päckchen, das er euch geben wollte…«

      »Hat Latour in Erfahrung bringen können, was es enthalten hat? Wo bleibt er überhaupt?«

      Ida wusste es nicht.

      Fanny Feifalik hüstelte.

      »Was ist denn?«, fragte Elisabeth ungehaltener als beabsichtigt. »Ich meine, was gibt es denn, Fanny?«

      »Darf ich das Bürsten fortsetzen, Majestät? Die Kutsche wartet um elf Uhr. Ich habe für den heutigen Besuch eine besondere Frisur im Sinn, die ihre Zeit braucht.«

      »Mach weiter.« Elisabeth wandte sich wieder Ida zu. »Mir will nicht aus dem Sinn, dass Oberland dachte, nur ich könnte den Inhalt des Päckchens beschützen. Wieso hat er es nicht Latour anvertraut? Er ist sein Vorgesetzter, sehr vertrauenswürdig und ein Oberst.«

      »Der Inhalt muss von besonderem Wert sein.«

      »Was soll ein Mann wie Oberland besitzen? Er verdient weniger als Fanny. Die hat das Gehalt eines Universitätsprofessors.«

      Elisabeth wusste das so genau, weil sie der Kaiser mehrfach in anklagendem Tonfall daran erinnert hatte. Aber Elisabeth hatte Fanny unbedingt vom Burgtheater abwerben wollen, wo ihr die kunstvollen Frisuren der Hauptdarstellerin aufgefallen waren. Sie mochte Fanny von der ersten Begegnung an. Nicht nur ihr Talent war Grund dafür. Fanny wies auch eine ausgesprochene Ähnlichkeit zu Elisabeth auf. Sie besaß so langes Haar wie die Kaiserin, die gleiche Größe und eine Taille, so schmal wie ihre.

      »Fanny, was ist das Kostbarste, das du dir jemals geleistet hast?«, wollte Elisabeth wissen.

      Nach kurzem Nachdenken nannte Fanny eine Haarspange mit drei kleinen Rubinen, die sie nur an hohen Feiertagen trug.

      »Was konnte Oberland Kostbares besessen haben?« Elisabeth ließ den letzten Rest Orangensaft im Glas kreisen. »Wenn es nur irgendwie gelänge, dieses Päckchen zu finden.«

      »Oberland hat es leider wieder mitgenommen«, sagte Ida mit Bedauern.

      Fanny hüstelte erneut.

      »Was jetzt?« Die Kaiserin wurde an diesem Tag immer gereizter.

      »Darf ich wissen, um welches Päckchen es sich handelt?«

      Elisabeth deutete Ida, es zu beschreiben.

      »Es hatte die Größe eines kleinen Buches und war in graues Papier eingewickelt. Zugebunden war es mit Spagat.«

      Fanny unterbrach das Bürsten und ließ die Arme sinken.

      »Mach weiter«, drängte Elisabeth.

      »Hatte das Päckchen ein Siegel? Ein grünliches Siegel, um die Verschnürung zu fixieren?«

      »Ja«, sagte Ida, die sich nun, da Fanny es erwähnte, daran erinnerte. »So ein Siegel konnte ich erkennen.«

      Elisabeth drehte sich ruckartig um. »Wo ist es?«, wollte sie wissen.

      »Am Tag, an dem Majestät Migräne hatte, bin ich am Nachmittag in das Gartenappartement gekommen, um zu sehen, ob die Zöpfe auch hoch genug gelagert waren.«

      »Und da hast du das Päckchen gesehen?«

      »Ich bin recht sicher. Etwas lag auf dem Tisch neben der Tür zum Salon. Ich erinnere mich auch an eine Karte, die unter die Schnur gesteckt worden war. Was darauf stand, konnte ich nur im Vorbeigehen lesen.«

      »Was war es?«, fragte Ida.

      »Etwas von …zu Ihren Handen!«

      »Zu meinen Handen?«, wiederholte Elisabeth. »Oberland muss das Päckchen zurückgebracht und auf die Etagere gelegt haben.«

      Ida raffte die Schleppe ihres Rocks und eilte durch die Räume von Elisabeths Appartement ins Schreibzimmer. Sie bevorzugte die breiten Treppen des Schlosses, die viel besser für diese Kleider geeignet waren, aber der Weg über die Wendeltreppe zum Gartenappartement war kürzer.

      Die Etagere war ein Halbmondtisch aus grünem Marmor mit einem vergoldeten Fuß, der zwei Delfine darstellte. Ihre Schnauzen stützten den Tisch.

      Der Tisch war leer. Ida suchte den gesamten Vorraum ab, blickte unter die Kommode und hinter den Sessel beim Eingang. Sie suchte auch im Salon an allen Orten, wo das Päckchen vielleicht von einem Bediensteten hingelegt worden sein konnte. Doch das Paket blieb verschwunden.

      Hatte sich die Feifalik geirrt?

      Ida kehrte mit leeren Händen nach oben zurück.

      »Ich erinnere mich genau«, sagte Fanny entschuldigend. »Aber etwas kam mir seltsam vor… Als ich im Vorraum gestanden


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