Psychologie. Hans P. Langfeldt
Gergen zeigt an zwei Bereichen dessen, was wir gemeinhin zum Kernbereich unserer Individualität zählen, wie stark diese Bereiche durch die Beziehungsmuster, in denen wir leben, durchdrungen sind: individuelle Biographie und Gefühlswelt.
Biographie
Wir begreifen uns traditionell als mit einer persönlichen Geschichte ausgestattet (Biographie) und verstehen uns so, dass diese Geschichte mit all ihren Erinnerungen an Besonderheiten, Ereignisse, Empfindungen, mit Berufungen, Karriere und Schicksal unsere Individualität wesentlich ausmacht. Jeder Mensch – so sagt man – hat seine individuelle Geschichte. Aber man bildet sich seine Geschichte auf der Grundlage gesellschaftlich verbreiteter Erzählweisen, auf der Grundlage von Mustern wie (Miss-)Erfolgsgeschichte, Heldenepos, Tragödie, und die Inhalte unserer Biographie werden in Kommunikationsprozessen mit relevanten Anderen (Familie, Therapeut) entwickelt, formuliert, ausgehandelt, bestätigt oder verworfen.
Gefühlswelt
Wir begreifen uns traditionell (romantisch) am persönlichsten, privatesten und natürlichsten in unserer Gefühlswelt – aber was wir als natürliche Gefühle empfinden, ist geprägt von den gesellschaftlich vorgegebenen Emotionsmustern, mit denen wir Zustände physiologischer Erregung situativ angemessen deuten und etikettieren.
Individualität als Collage
Auf der Grundlage dieser Überlegungen nimmt für Gergen Individualität die Gestalt einer Collage an – eine Komposition unzusammenhängender, widersprüchlicher, konkurrierender, vorgefertigter Versatzstücke des kommunikativen Lebens eines Menschen. Gergen hebt drei Aspekte dieser Collage hervor (Gergen 1996, S. 289ff.):
Konsequenzen
Gergen ist sich bewusst, dass seine Auffassung Konsequenzen für das Selbstverständnis von Menschen haben kann, die beunruhigend und bedrohlich erscheinen. »An diesem Punkt der Analyse erscheinen die Alltagsverhältnisse der postmodernen Welt sehr problematisch. Tiefe Beziehungen sind am Aussterben, das Individuum ist wegen des Aufgebots an Teilbeziehungen gespalten, und man lebt sein Leben als eine Serie unzusammenhängender Posen. Da der konstruierte Charakter der Ersatzidentitäten immer offensichtlicher wird, verliert das Selbst sowohl für den Darsteller als auch für das Publikum seine Glaubwürdigkeit. Das Alltagsleben scheint sich in ein Spiel oberflächlicher Heuchelei zu verwandeln, in ein Scherzo der Trivialität« (Gergen 1996, S. 300 f.). Er entwickelt aus seinen Betrachtungen aber auch Konsequenzen, die ein anderes Bild zeichnen:
Die Überlegungen Gergens stellen sehr grundlegende Vorstellungen über das autonome Individuum in Frage und skizzieren ein Bild des Menschen, das möglicherweise fremd erscheint. An dieser Stelle ist vielleicht der Hinweis auf andere Kulturen angebracht: in östlichen oder afrikanischen Kulturen z. B. ist die Vorstellung, dass der einzelne Mensch sich wesentlich als Teil einer größeren sozialen Einheit, z. B. der Familie oder der Firma, begreift, selbstverständlich. In diesen Kulturen ist die Vorstellung einer autonomen Individualität dagegen nur schwer verständlich.
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