Identitätskonzepte in der Literatur. Группа авторов
Zeugnisse in ihre Gestalt- und Zeichenhaftigkeit erkannt werden, z.B. gibt die Veränderung des Loreley-Mythos bis in die Kompilation von Loreley und Germania ein ausdifferenziertes Spektrum von Beschreibungsmöglichkeiten. Der Wechsel der Bildsprache etwa, die an die Stelle des üppigen Blondhaares eine Pickelhaube setzt, die sinnliche Nacktheit der mythischen Figur, die durch einen rüstungsstarren Panzer ersetzt wird, lassen Erkenntnisse über die Entwicklungen der regionalen und die impliziten Überschreibungen mit der nationalen Identität zu.
4 Die memoria gibt die Logik und Praxis der Erinnerungskultur ab, denn schon die Alten wussten, dass das Gedächtnis ein vorstrukturierter, ebenso anthropologisch übergreifender Kulturträger ist, dem man nicht entgegen arbeiten kann. So wird die Memorierung der Rede sich an deren Struktur anbinden, wie umgekehrt die Verfertigung der Rede nicht ohne die Beachtung ihrer Vermittlungsregeln sinnvoll möglich ist. So ließe sich die Fülle inszenierter memoria einmal durch eine Feldforschung zur Vernetzung der in jeweiligen Zeiten mit der entsprechenden Kompetenz ausgezeichneten Sammler kultureller Erinnerung – Archive – und der heutigen Struktur regionaler Erinnerungsträger – Archive und Forschung – weiterführen.
5 Die pronunciatio motiviert zu einem Blick auf die Adressaten der kulturellen Produktion bis hin zu den Systemen, derer sie zur Vermittlung bedarf und die sie nutzt. Hier bedarf es einer Fülle von Einzeluntersuchungen, die einfließen in eine Analyse der Medien und Institutionen, die für die Ankunft von Botschaften sensibilisieren – alle Sozialisationsinstanzen von der Wiege bis zur Bahre –, die den Transfer tragen oder unterwandern – von den Zeitungen, Büchern, Rundfunk- und Fernsehanstalten bis zur grauen Literatur, von den großen und kleinen, scheinbar bedeutenden bis unscheinbaren Gruppen, die Abnehmer von Sprache und Zeichen sind.
Die Übertragung bzw. Anwendung der Bearbeitungsphasen, der partes oratoris ließen sich auf der Produktionsseite ebenso verfolgen wie auf der der Rezeption und zwar bis in die Strukturierung von Aussagen, z.B. den Texten und der Bildsprache eines Denkmals oder einer Münze. Sie lassen sich darüber hinaus mit dem System der Tugenden sprachlicher Darstellung, den virtutes elocutionis, kritisch prüfen.
Auch die Aufgaben des Redners können der Entschlüsselung seiner Absichten, aber auch seiner Kompetenz dienen: Als officia oratoris ist in ihnen Logik, Ethos und Pathos zu sichten, somit die intellektuellen und affektiven Muster wahrzunehmen. Auch hier bietet sich ein immenses Anwendungsfeld, beispielsweise in der Ausarbeitung der Gestaltung von Ausstellungen, wie bereits ein flüchtiger Blick auf eine Ausstellung wie die über „entartete Kunst“, mit denen sich die Nationalsozialisten öffentlich machten, beweist.
Diese analytische, in der Weiterschreibung und Aktualisierung der Rhetorik fundierte Praxis einer Erforschung von Region/Landschaft hätte nach dem Prinzip der Evidenz einige Chancen, nicht nur die Stereotype quantitativ und qualitativ herausstellbar zu machen, sondern auch die progressiven Muster, politische Zielvorstellungen und die ihnen zutiefst zugrunde liegenden und eingeschriebenen Humanitätsmuster zu zeigen.
Vor allem ist die Rhetorik überaus neugierig. Eine wunderbare, wissenschaftsträchtige Fundierung: Sie macht aus Prinzip neugierig, unsere Regionen zu befragen und sie zu einer komparatistischen Rhetorik von Region und Landschaft weiterführen, Kultur als Gestus ernst zu nehmen.
Literaturbegriffe und Literaturwissenschaften im Kontext von Kulturtopographien – Mit einem Fokus auf die Matrix des An-Instituts „Moderne im Rheinland“
Jasmin Grande, Düsseldorf
2019 und 2020 jährte sich die Gründung der „Moderne im Rheinland“ als Arbeitskreis ebenso wie als An-Institut zum 30. bzw. 20. Mal.1 Ausgangspunkt für den ministeriellen Gründungsappell zum Arbeitskreis Ende der 1980er Jahre war der Mangel an interdisziplinärer Forschung zur Region. Mit der Anbindung zunächst an die Aachener Germanistik über den damaligen Lehrstuhlinhaber Dieter Breuer und seit 2001 an die Düsseldorfer Germanistik über Gertrude Cepl-Kaufmann, steht die home base der „Moderne im Rheinland“ in der Germanistik. Ausgehend von einem komparatistischen Wissenschaftsbegriff arbeitet das An-Institut über Regionen und Modernen, insbesondere das Rheinland und dessen Moderne. Über Jürgen Wiener als zweitem Vorsitzenden des Arbeitskreises hat in den letzten Jahren verstärkt eine Anbindung an das Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf stattgefunden.
Die Moderne im Rheinland hat in der Vergangenheit, mit ihrer Befragung der Rhetorik der Region, der Gedächtnistopographien im Vergleich sowie der Arbeit an einer Kulturtopographie der Bonner Republik Schwerpunkte gesetzt, die auf die Relevanz von Ausstellungen für die Region,2 den Kirchenbau in der Moderne,3 den Transfer von Avantgarde im Wissensbegriff4 oder auch das Spannungsfeld einer regionalen Moderne zwischen Kunst, Literatur, Engagement und Diskurs aufmerksam gemacht. Mit dem Forschungsschwerpunkt der „Bonner Republik“ gerät insbesondere im Vergleich zur frühen Moderne ein Zeitraum in den Blick, in dem sich die Literatur an ihrem raumbeschreibenden Potential in der Erkundung eines bundesrepublikanischen Profils erprobt hat. Sei es in Form von Schriftstellervereinigungen wie der Dortmunder Gruppe 61,5 der eine vergleichbar enge Kooperation mit Künstler:innen, wie es 1919 z.B. im „Jungen Rheinland“ oder im Aktivistenbund stattfand, nicht nahe lag. Sei es in Form von poetologischen Strategien, wie Rolf-Dieter Brinkmanns Auseinandersetzung mit Köln oder Karin Strucks Texten aus den 1970er Jahren,6 die in ihrer Arbeit an Unmittelbarkeit und Authentizität einen mentalitätsgeschichtlichen, von der Region her gedachten literarischen Raum der BRD entwerfen.7 Wo die Anfänge der Moderne ein Plädoyer für das Miteinander der Künste führen, versucht die deutschsprachige Postmoderne die Befragung von Bild und Text über den Text zu lösen.
Nicht zuletzt die Position zwischen den Disziplinen und der daraus motivierten Blickwechsel haben die literatur- und kulturtheoretischen Reflexionen des eigenen Forschungszugriffs motiviert, in die auch wissenschaftstheoretische Fragen hineinspielen. Dementsprechend ist das Nachdenken darüber, wann die Forschungsobjekte der Kunst und wann sie der Literatur zugehören, inwiefern dies die Perspektiven auf die Region verändert ebenso wie der Vergleich der theoretischen Positionen der Disziplinen und der divergenten Forschungspraktiken Teil des Diskurses im Institut. Denn bekanntermaßen hat die Ausdifferenzierung der Disziplinen zu Verständigungshürden zwischen den Vertreter:innen der einzelnen Fächer geführt, z.B. in Form divergierender Moderne-Begriffe in der Kunstgeschichte, der Geschichte und der Germanistik.8 Und während im 19. Jahrhundert die „historische Betrachtungsweise“ als verbindendes Element, „um die kaum noch existierende, aber dringend benötigte Geschichte einer Kulturnation zu rekonstruieren“,9 eine gemeinsame Wissensidentität für die Fächer der Philosophischen Fakultäten ermöglicht hat, so haben bereits die Autor:innen, Theoretiker:innen, Künstler:innen etc. der Moderne auf die Probleme einer historiographischen Systematik hingewiesen: „Es ist notwendig, das Gedankenwerk einer einheitlichen Historie zu zerstören. Jede Zeit schafft sich ihre Geschichte, durch die ihr gemäße Auswahl.“10 In der Literatur- und Kulturhistoriographie der Moderne spielen also neben Fragen nach den disziplinär motivierten Perspektiven eine ebenso große Rolle wie die Frage, wie die Vergangenheitsnarrative angeordnet und konstruiert sind und welchen Erkenntniswert der Anteil der Geschichte darin einnehmen kann.
Wie also funktioniert regionale Literaturgeschichtsschreibung im Kontext der Moderne? Eine Antwort auf diese Frage haben unlängst Britta Caspers, Dirk Hallenberger, Werner Jung und Rolf Parr publiziert. Sie arbeiten darin mit dem Konzept der Kulminations-/Knotenpunke:
Auf regionale Literaturgeschichtsschreibung übertragen bedeutet dies, das Handlungssystem Literatur (auf das die bisherigen Arbeiten zur regionalen Literaturgeschichtsschreibung hauptsächlich abheben) mit dem Symbolsystem Literatur (und damit der konkreten Ästhetik der einzelnen Texte) kurzzuschließen.11
Die Grundlage des Ansatzes bildet ein „interdiskurstheoretischer Zugriff“, der „nach denjenigen diskursiven Elementen [fragt], die Texte und Regionen gleichermaßen zugesprochen werden, […]. Damit aber können Regionen und Regionalitäten […] als ‚Kulturraumverdichtungen‘ begriffen werden […].“12
Dem Begriff der Kulturraumverdichtung ähnlich, allerdings stärker im medialen Arbeitsfeld der Kulturwissenschaften angesiedelt, ist der Begriff der Kulturtopographie, den