Liccle Bit. Der Kleine aus Crongton. Alex Wheatle
auf das Schachbrett. Zwei Eiswürfel klapperten im Glas. Dann zog sie einen Zehner aus ihrem Kleid und legte ihn neben meinen Saft. Ich nahm mein Glas und trank drei Viertel davon. Dann steckte ich das Geld ein. Das Mädchen setzte sich neben mich. Mein Herz wummerte wie ein irrer Grimetrack.
»Unser Mann sagt, du bist korrekt«, sagte sie. »Jetzt ab nach Hause und vergiss, dass du hier warst.«
Ich nickte.
»Rede auf keinen Fall mit deinen Schulfreunden darüber und kein Sterbenswort zu Elaine. Hast du kapiert?«
»Klar … woher kennst du Elaine?«
Kaum hatte ich das gesagt, wusste ich, wie blöd die Frage war. Das Mädchen lachte. »Alle kennen Elaine«, sagte sie.
Ich fragte mich, wie sie das meinte. Gehörte Elaine zu Manjaros Crew? Nein, vielleicht denkt die, meine Schwester ist eine von Manjaros Frauen. Ich trank aus und stand auf.
»Unser Mann hat gesagt, ich soll dir was zu trinken und zu essen geben, wenn du willst. Ich hab Huhn und Reis, kann ich in die Mikrowelle schieben, wenn du willst …«
»Nein, danke«, unterbrach ich sie. »Ich muss los.«
»Wie du meinst.« Sie grinste. »Unser Mann dankt dir für den Gefallen. Jetzt gehörst du zu uns.«
Ich ging durch den Flur und der Riese machte mir wieder die Tür auf. So wie er guckte, würde er auch mit keiner Wimper zucken, wenn ein Raumschiff mitten in Crongton landen würde, wäre keine große Sache für ihn.
Das Mädchen hatte gesagt, dass ich jetzt zu ihnen gehörte, aber wenn’s nach mir gegangen wäre, lieber nicht. Ich wollte ja nur ein bisschen Geld verdienen, um mir die Haare schneiden zu lassen oder auf neue Sneaker zu sparen. Ich latschte los und war zehn Minuten später bei McKay.
McKay machte auf, futterte dabei Chips aus einer Riesentüte. Er führte mich ins Wohnzimmer, wo er eine Ultimate-Fighting-DVD guckte – ein tätowierter Weißer verkloppte einen anderen tätowierten Weißen.
In McKays Wohnzimmer stand ein L-förmiges Sofa mit Fußhocker, und darauf ließ ich mich nieder. Er trug ein weißes Unterhemd und eine Trainingshose und schaute mich gequält an. An seinem Mund hingen Krümel. »Was willst du in meinem Allerheiligsten nach neun am Mittwochabend? Du hast doch nicht aus Versehen deinen kleinen Neffen um die Ecke gebracht?«
»Ist dein Dad da?«, fragte ich.
»Gerade weg zur Arbeit!«
»Und dein Bruder?«
»Hat was mit einem Mädchen laufen. Weiß ich, weil er die ganze Bude mit seinem Deo vollgestänkert hat. Wenn ich das Mädchen wäre, würde ich bei einem Mann mit so viel Axe misstrauisch werden. Warte mal! Wieso fragst du überhaupt?«
»Will nur wissen, ob du alleine bist.«
»Und wieso? Hör mal, Bro, ich hoffe, du fällst nicht um diese Uhrzeit bei mir ein, um mir zu sagen, dass du schwul bist und es einfach jemandem sagen musstest, weil deine Eltern kein Verständnis für dich haben. Tu mir das nicht an, Bro! Sollte es sich so verhalten, musst du wissen, dass du hier nicht andocken kannst! Niemals!«
»McKay, selbst wenn ich schwul wäre und du der letzte Mensch auf Erden, würde ich es lieber mit einem Igel machen als mit dir. Hast du gehört?«
»Eiskalt, Bro. Aber behalt deine abgefahrenen Tiersex-Fantasien lieber für dich! Und stell sie nicht auf YouTube, Bro. Aber egal, was willst du hier?«
»Weiß nicht, ob ich’s dir sagen soll.«
»Wenn du das nicht mal weißt, wieso musste ich dann überhaupt die Zugbrücke für dich runterlassen?«
McKays Frage besaß eine gewisse Logik. Ich wusste, dass das Mädchen im Remington House gesagt hatte, ich sollte mit niemandem drüber sprechen, aber wozu machte man so was Aufregendes, wenn man niemandem davon erzählen durfte? Jonah konnte ich’s nicht sagen, seine Klappe war breiter als der Broadway.
»Manjaro hat mich um einen Gefallen gebeten«, eröffnete ich.
»Was? Wollte er schon wieder ein Eis am Stiel und du musstest es ihm aus dem Laden holen?«, fragte McKay und futterte weiter Chips.»Tolle Sache! Ist es nicht schon ein bisschen spät für Eis?«
»Nein, nein … er wollte, dass ich in der Crongton Lane ein Päckchen für ihn abhole.«
McKay hörte auf zu futtern. Sah mich lange an. Neigte den Kopf.
»Und ich hab zwanzig Pfund dafür bekommen«, ergänzte ich.
»In der Crongton Lane?«, wiederholte McKay.
»Genau.«
»Da wohnen Banker, Anwälte und Fußballerfrauen.«
»Sag bloß! Da standen sauteure Schlitten die ganze Straße lang.«
»Und wer hat da gewohnt, wo du was abgeholt hast?«
»So eine Weiße«, meinte ich. »Keine Ahnung, ob die da wohnt, jedenfalls kam sie an die Tür. Hat mich nicht reingelassen und mir das Päckchen gegeben.«
McKay verengte die Augen, fuhr seine Denkmaschine hoch, stellte dabei die DVD auf Pause und schob sich näher an mich ran. »Das klingt nicht gut, Bro«, sagte er. »Wo hast du das Päckchen hingebracht?«
»Remington House 9.«
»Und du weißt nicht, was drin ist?«
»Nein, haben die mir nicht gesagt. Aber ich hab zwanzig Pfund verdient.«
»Lemar, du bist mein Bruder, also sei nicht beleidigt, wenn ich dir Folgendes sage, okay?«
»Was soll das heißen, sei nicht beleidigt? Sag schon, was du sagen willst.«
»Deine Festplatte funktioniert fehlerhaft! Hast du den Verstand verloren? Was hab ich vor ein paar Tagen im Park zu dir gesagt? Ich hab den Kopf geschüttelt, dir gesagt, du sollst Manjaro keinen Gefallen tun. Aber hast du auf mich gehört? Hast du aufgepasst? Nein! Du hast nur ans Geld gedacht!«
Ich wollte es nicht zugeben, aber McKay hatte nicht unrecht. Ich war gar nicht auf die Idee gekommen, zu fragen, was in dem Päckchen war. Oder doch, aber ich hatte mich nicht getraut. Jetzt kam ich mir bescheuert vor, wollte es mir gegenüber McKay aber nicht anmerken lassen.» Ob ich den Verstand verloren hab? Immerhin hab ich zwanzig Pfund in der Tasche und du hast einen Scheiß …«
»Denk nach, Bro! Was glaubst du, was in dem Päckchen war?«
»Weiß nicht … mir egal.«
»Ist dir egal? Deine Festplatte ist total im Arsch. Hör mir zu. Nightlife, einer von Manjaros engsten Brüdern, wurde ermordet. Was soll das? Fünf Tage später bittet er dich, was in der Crongton Lane abzuholen. Kannst du mir folgen, oder muss ich’s langsamer erklären? Dich in den Kindergarten schicken, damit du das Alphabet noch mal übst? Oder wollen wir’s bei Sky News über den gelben Nachrichtenticker laufen lassen?«
Verdammt! Als könnte McKay meine Gedanken lesen. Eigentlich hatte ich nicht darüber nachdenken wollen, was in dem Päckchen war, aber jetzt konnte ich nicht anders. Manjaro würde sich doch nicht Waffen von mir besorgen lassen, oder? Das würde der mir gar nicht zutrauen. Der kennt mich doch kaum. Nein, er würde einen von seinen Brüdern schicken. »Ich weiß, was du denkst, McKay, aber Manjaro würde mich nicht bitten, eine Pistole für ihn zu transportieren. Das macht keinen Sinn.«
Ich war nicht sicher, ob das überzeugend war. Überzeugte mich ja kaum selbst.
»Würde er nicht? Wen werden die Bullen wohl im Auge behalten? Einen kleinen Wichser wie dich bestimmt nicht!«
»Wer ist hier ein kleiner Wichser, du fetter Salathasser! Du bist bloß neidisch, weil Manjaro dich nicht gefragt hat.«
»Neidisch? Lemar, du brauchst einen Neustart im Gehirn, Bro. Das ist nicht gut. Manjaro ist toxisch, kannst du glauben. Der hat was auf dem Kasten – der ist echt schlau. Vielleicht benutzt er dich, um