Natürlich waschen!. James Hamblin
Jahren dienlich sein wird.
I. MAKELLOS
Der Aufzug hält im siebten Stock, ich betrete luxuriöse, sonnendurchflutete Geschäftsräume, hoch über dem Bryant Park in Manhattan. In diesem Herbst 2018 ist es drei Jahre her, dass ich mein Gesicht zum letzten Mal gewaschen habe. Hier soll nun nachgeschaut werden, welche Folgen das hat.
Bodenvasen mit mannshohen Blumenarrangements zieren das Fischgrätparkett. Ein großer Kamin ganz in Weiß, ätherische Flötenmusik erfüllt den Raum. Unter einem Kronleuchter wartet ein Bett mit schneeweißen Laken. Ich befinde mich im Hauptsitz von Peach and Lily, einem rasant aufstrebenden Unternehmen, das auf koreanische Traditionen der Hautpflege und ihre westliche Ausprägung, K-Beauty, setzt, ein Ritual mit häufig zehn oder mehr Pflegeschritten, Reinigung, Gesichtswasser, Feuchtigkeitsspender, Sheet-Masken …
Die Unternehmensgründerin Alicia Yoon studierte in Harvard BWL, ist gelernte Kosmetikerin und wurde vor allem durch Hautbehandlungen mit Schneckensekret bekannt. In nur zwei Jahren mauserte sich die kleine Onlineboutique Peach and Lily zu einem Anbieter mit einer umfangreichen Produktlinie, die in Läden wie Urban Outfitters oder CVS verkauft wird. Eine gigantische Welle trug das Unternehmen nach oben. Der Marktbereich K-Beauty wuchs in Südkorea, wo er eine lange Tradition hat, explosionsartig auf 13 Milliarden US-Dollar. Und dank seiner Popularität konnte das Hautpflegesegment in der US-Schönheitsindustrie sogar das Make-up-Segment überflügeln. Hochwertige Hautpflegeprodukte legten allein 2018 um 13 Prozent zu und damit stärker als das BIP.
Als ich den Aufzug verlasse, begrüßt mich eine fröhliche Assistentin, ich solle mich bitte entkleiden. Ich erkläre, dass ich eigentlich für eine Gesichtsbehandlung hier sei. Sie lacht, das wisse sie, reicht mir einen Bademantel und einen Fragebogen zu meiner täglichen Hautpflege. Dann lässt sie mich zum Umziehen allein.
Ich wende mich dem Fragebogen zu. Er ähnelt denen, die man beim Arzt ausfüllen muss. Es gibt Fragen zu Allergien, zur Ernährung und jede Menge zu meiner Haut: Was für ein Peeling benutze ich? Welche Feuchtigkeitslotionen? Welche Seren? Welche Reinigungslotionen? Wie oft, in welcher Reihenfolge und Kombination?
Die Fragen sind schnell erledigt, ich benutze nichts. Yoon kommt und begrüßt mich freundlich, aber als sie den überwiegend leeren Fragebogen sieht und ich ihr sage, dass ich nicht vergessen habe, ihn auszufüllen, verändert sich ihr Ton. »Oje«, sagt sie. »Sind Sie sicher, dass Sie überhaupt eine Gesichtsbehandlung vertragen?«
»Natürlich. Moment, wieso nicht?« Bislang war mir nicht in den Sinn gekommen, dass es Risiken geben könnte. Jetzt mache ich mir Sorgen. »Ich weiß es nicht. Was könnte denn passieren?«
»Vermutlich ist es kein Problem. Ich hab das nur noch nie bei jemandem … so jemandem gemacht«, wiegelt sie betrübt oder enttäuscht oder beides ab.
Ich lege mich also hin, und sie richtet eine grelle Lampe auf mein Gesicht. Mit den Fingerspitzen betastet sie erst leicht, dann fester meine Wangen. Zögernd sagt sie: »Haben Sie Ihr Gesicht schon mal befühlt?«
Seltsam, dass sie mich gerade das fragt.
Denn ich achte sorgsam darauf, mein Gesicht nicht zu berühren. Als Teenager hatte ich »schlechte Haut« und dachte, was heute als überholt gilt, dass man sein Gesicht bei Akne vor allem richtig und aggressiv genug reinigen müsse. Manchmal hatte ich sogar am Augenlid Akne, und es schwoll so stark an, dass ich das Auge kaum öffnen konnte. Weil es bei Gesprächen alle Aufmerksamkeit auf sich zog, wurde jede soziale Interaktion unmöglich. Und obwohl sich die Akne besserte, als ich auf dem College war, behielt ich die Angewohnheit bei, meine Hände mit all den Bakterien und Viren, die sich auf ihnen tummelten, vom Gesicht fernzuhalten.
Weil ich Yoon die lange Vorgeschichte nicht erzählen will, sage ich, ich würde es »ganz normal berühren«, und sie fängt an.
»Problem«-Haut ist auch Yoon nicht fremd. Sie kämpfte lange mit einer schweren Neurodermitis. Manchmal war ihre entzündete Haut so aufgekratzt, dass es keine Haut mehr zum Kratzen gab. »Ich habe alles versucht, sogar Bleichbäder«, erzählt sie. Durch die dubiosen Bäder sollte noch die letzte Mikrobe abgetötet werden.
Als sie dann in Korea Kosmetikerin lernte, versuchte sie, die Entzündung mit neuen Hautpflegemethoden zu beruhigen. Sanfte, feuchtigkeitsspendende Produkte und der neue Ansatz, den sie ihren Kundinnen und Kunden heute nahelegt, waren der, wie sie es nennt, »Wendepunkt in meiner Hautpflege«.
Yoon behandelt meine Gesichtshaut mit Peach and Lily »Glass Skin Refining Serum« (neben »Peptiden« verspricht das Etikett einen »transparenten + leuchtenden« Teint), »Pure Beam Luxe Oil« (»nährend« + »ausgleichend« mit Jojobaöl), einer »Super Reboot Resurfacing Mask« mit blauer Agave und einer »Matcha Pudding Antioxidant Cream«. Für zu Hause empfiehlt sie mir noch die »Original Glow Sheet Mask« mit Hyaluronsäure.
Da Hyaluronsäure Wasser bindet, verleiht sie der Epidermis mehr Volumen. Babyhaut wirkt auch darum so glatt, fest und prall, weil sie reichlich Hyaluronsäure enthält. Aber ob die Säure beim Auftragen auf die Haut dieselbe Wirkung entfaltet, ist fraglich. Benzin auf das Auto zu schmieren oder Dachziegel ins Haus zu legen, ist ja auch keine gute Idee. Manche Säuren können zwar, wie mir Dermatolog*innen erklärten, tatsächlich in die Haut eindringen, aber nur bei geringem Molekulargewicht. Die Maske von Peach and Lily macht keine Angaben dazu, ob ihre Wirkstoffe in die Haut eindringen können, verspricht jedoch einen »Anti-Aging«-Effekt.
Ich denke, die Hautpflege boomt nicht zufällig gerade jetzt, in einer Zeit, in der immer mehr Menschen – oft aus guten Gründen – das Vertrauen in Wissenschaft und Medizin verlieren. Hautärzt*innen sind wie andere Ärzt*innen knapp. Ein Besuch ist teuer, und außerdem, so der Eindruck vieler, nützt er nichts. Sofern sich überhaupt sagen lässt, ob eine Haut »gut« oder »schlecht« ist, ist unsere Haut allgemein wohl schlechter geworden und fühlt sich häufiger unangenehm trocken, gereizt, juckend, schmerzhaft oder sonst wie unbehaglich an. Immer mehr Menschen leiden unter Neurodermitis, einer entzündlichen Hauterkrankung. Im Jahr 2008 waren laut Weltgesundheitsorganisation doppelt so viele Menschen davon betroffen wie noch 1979. Und in den prägenden Jahren ihrer sozialen Entwicklung leiden bis heute viele unter Akne. Und wie die Forschung sagt, nimmt sie besonders bei Mädchen zu.
Es gibt für diese Entwicklung viele Ursachen, und sie haben bei Weitem nicht nur mit der Haut zu tun. Einer Metastudie zur klinischen, kosmetischen und forschenden Dermatologie von 2018 zufolge könnte beispielsweise die Zunahme von Akne bei Frauen an einem hormonellen Ungleichgewicht liegen, das mit dem »metabolischen Syndrom« assoziiert wird, das heißt mit einer Kombination aus Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankung und Fettleibigkeit. So kann durch einen hohen Insulinspiegel etwa Östrogen in Testosteron verwandelt werden. Als Folge werden Wachstumssignale an die Haut gesendet, mehr Fette abgesondert, Bakterienstämme verändert und Entzündungskreisläufe in Gang gesetzt, die am Ende die Pusteln hervorrufen.
Wenn das Erscheinungsbild der Haut von solch komplexen Prozessen bestimmt wird, verwundert es nicht, dass Akne und andere verbreitete Hautauffälligkeiten durch die alleinige lokale Behandlung der Symptome nicht vollständig oder zuverlässig geheilt werden können. Aber auch die Wirkung systemischer Behandlungen ist oft sehr unsicher. Manchmal werden beispielsweise orale Empfängnisverhütungsmittel verschrieben, um ein vermutetes hormonelles Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen. Da Menschen jedoch unterschiedlich darauf reagieren, kann das Ergebnis lebensverändernd oder gleich null sein, aber auf jeden Fall wird als Nebenwirkung der eigentlichen Hautbehandlung der gesamte chemische Haushalt des Körpers verändert. Selbst Antibiotika helfen nur unzuverlässig, und äußerst wirksame Medikamente wie Accutane können zu Geburtsfehlern und, wie vielfach berichtet, zu starken Depressionen führen. Manche, die an Neurodermitis oder Schuppenflechte leiden, versuchen es ihr Leben lang immer wieder mit Steroidbehandlungen, ohne jemals endgültig geheilt zu werden oder zu wissen, wann und warum es zu einem Ausbruch kommt. Bei so viel Herumdoktern ist es kein Wunder, dass manch einer die Sache irgendwann lieber selbst in die Hand nimmt.
Viele Betroffene wünschen sich vorbeugende Behandlungen auch deshalb, weil sie endlich Kontrolle und Sicherheit wollen, aber solche Ansätze werden vom Gesundheitssystem