The New Jim Crow. Michelle Alexander

The New Jim Crow - Michelle Alexander


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umfassendes und gut verschleiertes System rassistischer Gesellschaftskontrolle ist, das verblüffend ähnlich wie Jim Crow funktioniert.

      Meiner Erfahrung nach sehen Menschen, die einmal im Gefängnis gesessen haben, meist schnell die Parallelen zwischen diesen Systemen sozialer Kontrolle. Nach ihrer Entlassung wird ihnen oft das Wahlrecht verweigert, sie dürfen nicht als Geschworene tätig sein und werden auf eine segregierte und entwürdigende Existenz reduziert. Durch ein ganzes Dickicht von Gesetzen, Vorschriften und informellen Regeln, die allesamt durch ein soziales Stigma enorm verstärkt werden, werden sie an den Rand der Gesellschaft verwiesen und aus der Arbeitswelt ausgeschlossen. Per Gesetz wird ihnen das Recht auf Arbeit, eine Wohnung und öffentliche Fürsorge versagt – so, wie Afroamerikaner in der Ära von Jim Crow einst durch Rassentrennung zu Bürgern zweiter Klasse degradiert wurden.

      Wer aus bequemer Distanz auf diese Welt blickt – und zugleich Mitgefühl mit der sogenannten Unterschicht empfindet –, interpretiert die Erfahrungen der in die Mühlen der Strafjustiz geratenen Menschen meist vorwiegend durch die Brille einer popularisierten Sozialwissenschaft und schreibt den erschreckenden Anstieg der Inhaftierungsraten unter den People of Color den vorhersehbaren, wenn auch bedauerlichen Folgen von Armut, Rassentrennung, ungleichen Bildungschancen und dem Drogenmarkt zu, wie man ihn sich eben vorstellt, nämlich als einen, in dem die meisten Drogenhändler schwarzer oder brauner Hautfarbe seien. Gelegentlich höre ich bei meiner Arbeit, dass der Krieg gegen die Drogen womöglich ein rassistischer Plan sei, die Schwarzen auf ihren Platz zu verweisen. Solche Bemerkungen waren meist von einem Augenzwinkern begleitet, das den Eindruck vermitteln sollte, dieser Gedanke sei einem zwar tatsächlich schon mal in den Sinn gekommen, doch das nehme man wie jeder vernünftige Mensch natürlich nicht ernst.

      Die meisten glauben, der Krieg gegen die Drogen sei die Reaktion auf den Niedergang der Innenstädte durch die Ausbreitung von Crack. Aus dieser Sicht betrachtet spiegeln die rassisch bedingten Unterschiede bei den Verurteilungen und Strafen wegen Drogendelikten sowie die explosionsartige Zunahme der Gefängnispopulation nur die übereifrigen – aber wohlgemeinten – Bemühungen des Staates wider, der grassierenden Drogenkriminalität in den armen Minderheitenvierteln Herr zu werden. Angesichts der sensationslüsternen Medienberichte über Crack in den 1980er und 1990er Jahren ist diese Ansicht vielleicht verständlich, aber sie ist schlichtweg falsch.

      Es stimmt zwar, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für Crack zu einer drastischen Steigerung der Ausgaben für den Krieg gegen die Drogen (und für die Strafmaßnahmen, die die Unterschiede bei den Inhaftierungsraten verschärft haben) geführt haben, es stimmt aber nicht, dass dieser Krieg eine Antwort auf die Crack-Problematik ist. Präsident Ronald Reagan verkündete den bis heute geführten Krieg gegen die Drogen im Jahr 1982, das heißt, bevor Crack zum Thema in den Medien wurde beziehungsweise in armen schwarzen Communitys zu katastrophalen Verhältnissen führte. Ein paar Jahre später breitete sich Crack rasch in den armen schwarzen Communitys von Los Angeles und später in allen Städten des Landes aus.2 Im Rahmen ihrer Strategie, von der Öffentlichkeit und der Legislative Unterstützung für den Krieg zu erhalten, stellte die Regierung Reagan 1985 dann zusätzliches Personal ein, das öffentlich über das Auftauchen der neuen Droge Crack berichten sollte.3 Die Medienkampagne war außerordentlich erfolgreich.

      Fast über Nacht waren die Zeitungen und Fernsehsender angefüllt mit Bildern von schwarzen »Crack-Huren«, »Crack-Dealern« und »Crack-Babys« – von Bildern, die die schlimmsten rassistischen Klischees über die armen Innenstadtbewohner zu bestätigen schienen. Der Medienhype um die »neue Teufelsdroge« trug dazu bei, dass aus einem ambitionierten Bundesprojekt zur Drogenbekämpfung ein echter Krieg wurde.

      Der Zeitpunkt der Crack-Kampagne nährte Verschwörungstheorien und allgemeine Spekulationen, der Krieg gegen die Drogen sei womöglich Teil eines Plans der Regierung, den schwarzen Bevölkerungsteil in den Vereinigten Staaten auszulöschen. Von Beginn an kursierten auf den Straßen Gerüchte, Crack und andere Drogen würden von der CIA in die schwarzen Communitys eingeschleust. Schließlich nahm sogar die Urban League die Völkermordvorwürfe ernst. So hieß es 1990 in ihrem Bericht »The State of Black America«: »Es gibt einen Begriff, dem man sich nicht verschließen kann, wenn man den alles durchdringenden und heimtückischen Charakter des Drogenproblems für die Afroamerikaner zur Kenntnis nehmen will. So schwer es zu akzeptieren ist, es handelt sich um den Begriff des Völkermords.«4 Wie sich herausstellen sollte, waren die zunächst als abwegig verworfenen Verschwörungstheorien dann doch nicht völlig falsch. Im Jahr 1998 räumte die CIA ein, dass von ihr unterstützte nicaraguanische Guerilla-Armeen Drogen in die USA schmuggelten – Drogen, die dann auf den Straßen der innerstädtischen Viertel in Gestalt von Crack landeten. Des Weiteren bekannte die CIA mitten im Krieg gegen die Drogen, Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden gegen Drogennetzwerke behindert zu haben, die ihren verdeckten Krieg in Nicaragua mitfinanzierten.5

      Die CIA gab, das muss betont werden, nie zu (und es wurde auch nie bewiesen), dass sie die Zerstörung der schwarzen Communitys beabsichtigte, indem sie Drogen in die Vereinigten Staaten schmuggeln ließ. Trotzdem ist der kühne Völkermordvorwurf von Verschwörungstheoretikern gewiss verzeihlich, bedenkt man die verheerenden Folgen des Crack-Konsums und des Kriegs gegen die Drogen sowie den seltsamen Zufall, dass es unter den Afroamerikanern plötzlich zu einem schwerwiegenden Crack-Problem kam, nachdem – nicht bevor – dieser Krieg verkündet worden war. Er begann sogar zu einer Zeit, als der Drogenkonsum zurückging,6 und führte zu einer sprunghaften Zunahme von Verhaftungen und Strafurteilen wegen Drogendelikten vor allem für People of Color.

      Die Folgen des Kriegs gegen die Drogen sind schockierend. In weniger als dreißig Jahren stieg die Gefängnispopulation in den USA von etwa 300.000 auf über zwei Millionen, woran Verurteilungen wegen Drogendelikten den größten Anteil hatten.7 Inzwischen haben die Vereinigten Staaten die höchste Inhaftierungsrate der Welt und stellen damit die fast aller anderen entwickelten Länder in den Schatten, sogar die in äußerst repressiven Regimen wie dem russischen, chinesischen und iranischen. In Deutschland kommen auf 100.000 Einwohner, Erwachsene und Kinder, 93 Häftlinge, in den Vereinigten Staaten ist die Rate mit 750 pro 100.000 etwa achtmal so hoch.8

      Der Aspekt der Hautfarbe bei der Masseninhaftierung ist besonders augenfällig. Kein anderes Land der Welt steckt einen so hohen Anteil seiner Minderheiten ins Gefängnis. In Washington, der Hauptstadt unseres Landes, landen Schätzungen zufolge drei von vier jungen schwarzen Männern (und fast 100 Prozent in den ärmsten Vierteln) irgendwann einmal im Gefängnis.9 Ähnliche Inhaftierungsraten verzeichnen die schwarzen Communitys in ganz Amerika.

      Diese unübersehbare Einseitigkeit lässt sich nicht mit der Zahl der Drogendelikte erklären. Studien zeigen, dass Menschen aller Hautfarben im selben Maß Drogen konsumieren und dealen.10 Wenn in Stu dien ein signifikanter Unterschiede erkennbar ist, dann der, dass Weiße, insbesondere weiße Jugendliche, eher Drogendelikte begehen als People of Color.11 Allerdings würde das keiner vermuten, der eins unserer Gefängnisse besucht, denn sie sind voll von schwarzen und braunen Drogendelinquenten. In manchen Bundesstaaten ist die Zahl schwarzer Männer, die wegen Drogenvorwürfen ins Gefängnis gesteckt werden, 20-bis 25-mal so hoch wie die weißer Männer.12 Und in vom Krieg gegen die Drogen zerstörten Großstädten haben heute 80 Prozent der jungen Afroamerikaner Vorstrafen und sind deshalb für den Rest ihres Lebens einer durch das Gesetz legitimierten Diskriminierung ausgesetzt.13 Diese jungen Männer sind Teil einer wachsenden Unterkaste, die dauerhaft eingeschlossen und aus der Gesellschaft ausgeschlossen ist.

      Manch einer mag überrascht sein, dass die Drogenkriminalität ab- und nicht zunahm, als den Drogen der Krieg erklärt wurde. Historisch betrachtet ist es nichts Neues, wenn zwischen Verbrechen und Strafe keinerlei Korrelation besteht. Soziologen stellen immer wieder fest, dass der Staat Bestrafung vorwiegend als Mittel der sozialen Kontrolle benutzt und daher Ausmaß und Schwere der Bestrafung mit den tatsächlich begangenen Verbrechen nichts zu tun haben.14 So erklärt beispielsweise Michael Tony in seinem Buch Thinking About Crime: »Regierungen entscheiden, wie viel Strafe sie wünschen, und diese Entscheidungen stehen in keinem einfachen Zusammenhang mit den Kriminalitätsraten.«15 Dies, so betont er, wird am deutlichsten sichtbar, wenn man internationale Vergleiche anstellt. Obwohl die


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