Die Rosa-Hellblau-Falle. Almut Schnerring
Jungen und Blau für das Mädchen. Das liegt daran, dass Pink stärker ist, während Blau feiner und eleganter ist.«27 Erst als nach dem Ersten Weltkrieg die Marineuniform und der Blaumann die Farbe Blau zum Symbol der Männerwelt machten, bekamen Jungen blaue Matrosenanzüge, und für die Mädchen galt fortan Rosa als traditioneller Kontrast.
Rosa ist also kein Grundbedürfnis fünfjähriger Mädchen, das erfüllt werden müsste, weil sonst seelische Schäden zu befürchten sind. Rosa ist eine Mode, die Eltern unterstützen können wie Ohrringe bei Zweijährigen oder Tattoos bei Zwölfjährigen. Oder auch nicht. Sie können Nein sagen, wie bei Schokolade nach dem Zähneputzen oder beim Wunsch nach einem Bernhardiner-Welpen. Luca will noch ein Eis, obwohl das erste noch an ihrer Hand klebt. Sonntagmorgens möchte sie in die Bücherei, und als der Film nach 90 Minuten zu Ende ist, will sie noch einen sehen. Kinder haben jeden Tag viele, viele Wünsche, niemals können Eltern alle erfüllen. Warum sollten wir ihr gerade den nach einem pinkfarbenen Tüllkleid erfüllen? Das Argument »Aber alle anderen haben auch …« ist zwar weit verbreitet, und trotzdem ist es die Entscheidung der Eltern, auf welche Wünsche sie eingehen, worin sie ihre Kinder bestärken, worauf sie weniger reagieren. Säuglinge verlangen nicht nach rosa oder hellblauen Schnullern, Stramplern oder Kinderwägen. Sieht aber süß aus, ist doch nur eine Farbe? Es ist eine Entscheidung der Eltern, wie wichtig es ihnen ist, der Umwelt das Geschlecht ihres Kindes mitzuteilen, und wie wichtig es ihnen ist, dass ein Kind in Aussehen und Verhalten dem entspricht, was sich Erwachsene oder ältere Kinder unter einem Mädchen oder einem Jungen vorstellen.
Ein Mädchen ohne rosa Attribute läuft nicht Gefahr, ausgegrenzt zu werden, deshalb können Eltern die Botschaften der Kleidungs- und Spielzeughersteller*innen getrost ignorieren. Aber es wäre nur eine Umkehrung des Problems, würden Eltern nun alles Pinke bei Mädchen verbieten und bei Jungen feiern. Damit wäre nichts gewonnen. Leider ist in vielen Produktbereichen die Trennung in rosa und hellblaue Bereiche so weit fortgeschritten, dass es tatsächlich einfacher ist, auf der jeweiligen Welle mitzureiten; vor allem spart es jede Menge Zeit, die sonst bei der Suche nach Alternativen draufginge. Und grundsätzlich spricht ja auch nichts gegen die Farbe. Aus psychologischer Sicht steht Rosa für Schutz und Sanftheit. Bonbonfarbene Wände im Farbton ›Baker-Miller-Pink‹ oder ›Cool Down Pink‹28 sollen sogar gewalttätige Gefängnisinsassen beruhigen, und angeblich weinen Säuglinge in einem Zimmer mit rosa Wänden weniger. Wenn die Farbe also gefällt und womöglich sogar positive Effekte hat, warum steht sie dann nicht als Lieblingsfarbe für Mädchen und Jungen gleichermaßen zur Verfügung? Ein Mädchen ohne rosa Attribute hat ganz einfach andere Lieblingsfarben, eine Wertung bleibt hier aus. Doch ein Junge in rosa Regenjacke und rosa Gummistiefeln ist … ja, was? Komisch? Nicht normal? So offen wird die Irritation selten geäußert, sie kommt lachend und positiv verpackt daher. Ein Vater, der Lucas Kindergartengruppe auf einem Regenausflug begleitete, drückte es mit großer Belustigung so aus: »Der Jonas, schon lustig, was? Hatte keine Jacke dabei, musste er eben ’ne Mädchenjacke leihen. Und jetzt schau ihn dir an, haben wir doch glatt ’ne neue Prinzessin in der Runde.« Jonas stand weit genug weg, und das war gut so, denn auch mit gutem Willen ließ sich kein Kompliment zwischen den Zeilen erkennen. Jungen in Rosa provozieren Kommentare, die selten Anerkennung und Respekt vermitteln. Durch solche Erfahrungen verunsichert, haben manche Eltern eigene Threads in Internetforen eröffnet, um in der Anonymität die Frage zu klären, ob sie dem Wunsch eines Jungen nach rosa Gummistiefeln nachgeben dürfen. Alle, die »Nein, auf keinen Fall!« schreien, erklären das ausnahmslos mit der Intoleranz und dem Unverständnis der anderen: »Er ist ein Junge, und man sollte es auch sehen. Denk doch, wie gehässig Kinder sein können, wie sie ablästern würden. Ich denke, man tut seinem Jungen keinen Gefallen damit.« Wir wären also alle gern tolerant, aber die Nachbarn lassen es nicht zu?
Die deutsche Bezeichnung für die Farbe Rosa ist abgeleitet aus dem lateinischen Blumennamen ›rosa‹ und ist mit den Eigenschaften zart, hübsch und sanft verbunden. Deshalb wenden sich die Mitglieder des Vereins »Pinkstinks« gegen die geschlechtliche Zuordnung der Farbe und gegen die Warenindustrie, die Mädchen auf Rosa festlegt. Rosa enge Mädchen ein auf ein süßes, niedliches Dasein. In Großbritannien 2008 gegründet, gibt es seit 2012 auch einen deutschen Ableger der Initiative. Die Gründerin Stevie Schmiedel sagt: »Rosa kann nicht stinken, Rosa ist ja nur eine Farbe. Es geht uns um das, was die Spielwarenwelt in den letzten Jahren mit der Farbe Rosa gemacht hat. Heute steht rosa für niedlich und für 50er-Jahre-Ideale wie Backen, Kochen, sich um Puppen kümmern und vor allen Dingen, sehr schön aussehen.«29 Verteidiger der rosa Welle halten dagegen, Rosa stehe längst nicht mehr für harmlos und niedlich, das kräftigere Pink strahle Selbstbewusstsein und Stärke aus. Ines Imdahl, Psychologin und Inhaberin einer Marktforschungsagentur, behauptet sogar, »dass auch Jungen die Farbe attraktiv finden und selbstbewusst äußern: ›Es gibt keine Mädchenfarben.‹ Farben sind Farben – und als solche erst einmal nicht ›geschlechtlich‹. Das verstehen Kinder oft besser als Erwachsene.«30 Doch die erwachsenen Marketingstrateg*innen verstehen das sehr wohl, sind sie es doch, die die geschlechtliche Zuordnung fördern und verstärken und sie zugleich als wertfreie Farbspielerei verharmlosen. Auch für den Disney-Konzern ist Rosa eine Mädchenfarbe, er lässt in China und Bangladesch Merchandising-Artikel rund um Prinzessinnen, Feen und Aschenputtels herstellen, die sich bevorzugt in Rosa- und Violetttöne kleiden. In den Disney-Filmen, Büchern und Heftchen sowie auf den Internetseiten werden ihnen dann genau die Charaktereigenschaften zugewiesen, die die Pink-Unterstützer abstreiten: Schneewittchen sei unschuldig, naiv und liebenswürdig mit großem Herz, Dornröschen anmutig und bezaubernd, romantisch und verträumt. Und auch Aschenputtel sei zart, bescheiden und liebenswürdig, immerhin auch humorvoll und intelligent. Aber »trotz der vielen Arbeit und Demütigungen kann sie nicht aufhören zu träumen«. Auch wenn es hübsch sein mag, mit Rosa versuchen Hersteller*innen den Eindruck von Exklusivität zu vermitteln: der pinke Werkzeugkoffer, das rosa Feen-Pflaster, rosa Pullover, rosa Überraschungseier vermitteln Kindern, sie wären nur für Mädchen geeignet, für Jungen dagegen tabu. Deshalb schließt Rosa Jungen aus, und zugleich engt es Mädchen ein.
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