Zufrieden alt werden. Volker Fintelmann

Zufrieden alt werden - Volker Fintelmann


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das Herrschen, den Göttervater. Herrschen muss hier als königliche Würde, nicht als Machttrieb verstanden werden. Im ursprünglichen Sinne war der Herrscher der für das Gemeinwohl aller Verantwortliche, derjenige, der innerlich und äußerlich nie ruhte, solange in seinem Bereich (Reich, Staat) noch bei den einzelnen Menschen Bedürfnisse existierten, Not vorzufinden war, Entwicklungen gefördert werden konnten. Das heißt, einen Überblick über das Ganze zu haben, nun im Seelischen »weitsichtig« zu werden.

       Den Jüngeren Raum schaffen

       das im Menschen Veranlagte bestmöglich fördern

      So wäre im idealen Sinne dieser Lebensabschnitt die Möglichkeit, jetzt mit der ganzen, durch fünf Jahrzehnte gewonnenen Lebenserfahrung und Lebenskraft den Raum zu schaffen, in dem nun jüngere Menschen ihre eigenen Entwicklungsschritte vollziehen können. Dann ist dieser Lebensabschnitt nicht nur der des Königs oder Herrschers, sondern auch der des Lehrers. Dazu muss aber eine pädagogische Auffassung zugrunde gelegt werden, die es sich zum Anliegen macht, das in jedem einzelnen Menschen Veranlagte bestmöglich zu fördern, die in ihm schlummernden Fähigkeiten zu wecken und seine Möglichkeiten zu entwickeln, damit er die sich selbst gesetzten Ziele und Inhalte des Lebens so vollkommen wie möglich verwirklichen kann. Dasjenige im anderen zu entwickeln und zu fördern, was in ihm veranlagt ist, was er selbst will – auch wenn dieser Wille zunächst ganz unbewusst erscheint –, das ist die wirklich menschengerechte Pädagogik oder – für den Erwachsenen formuliert – »Homagogik«. Wie sehr dagegen tendieren wir heute dazu, das in andere hineinerziehen oder hineinlegen zu wollen, was wir als für uns richtig erkannt und vielleicht bereits vollzogen haben. Anstatt die Welt in die größtmögliche, jedes Individuum widerspiegelnde Vielfalt zu entwickeln, strebt der heutige Zeit-Ungeist immer wieder und wieder zur Uniformität.

       Gelassenheit

       »Fels in der Brandung«

      Die prägende Eigenschaft dieser Zeit ist die Gelassenheit. Man kennt die Stürme des Lebens, man weiß, dass sie auch wieder ruhigem Wetter weichen. Man durchschreitet diese Zeit voller Ruhe in einem immer sichereren Wissen, dass sich das Leben in allen Dingen und Vorgängen stets wieder ausgleicht, in ein Gleichgewicht bringt. Das geschieht oft in großen zeitlichen Abständen, weshalb der moderne, im Augenblick lebende Mensch es häufig nicht bemerkt oder erst im weiten Abstand eines Lebensrückblicks darauf aufmerksam wird. Das Bild für solche Menschen und wie sie von Jüngeren erlebt werden ist der »Fels in der Brandung«. Auch die majestätische Welt der hohen Berge, die über der Unrast aller Zeiten in ihrem Sein ruhen, kann uns hier Anregung und Vorbild sein. Man schaut von ihnen in ganz andere Tiefen und Weiten, erlebt intensiv die Verbundenheit von Erde und Himmel, gewinnt eine viel größere Übersicht, als wenn man nur im Tal lebte.

       Entschleunigung

      Der schon zitierte Johannes Hemleben (siehe Seite 60) lässt die Jupiterkräfte, wie sie sich auch durch den Ahorn vermitteln, zu uns sprechen: »Oh Mensch, überwinde die Hast und Hetze in dir, suche Stunden der Ruhe, in denen Güte und Weisheit geboren werden können.« Er schrieb diese Sätze 1931 in seinem Werk Symbole der Schöpfung, das sich als zeitübergreifend erweist und heute so gültig wie damals ist.36 Das Problem ist uns modernen Menschen durchaus bewusst, es hat in dem Begriff »Entschleunigung« einen Ausdruck gefunden. Doch ist es ein Wort geblieben, wurde nicht zur Arznei für die ganze Menschheit. Denn unverändert dominieren Hast und Hetze auch in diesem Lebensabschnitt; die Stunden der Ruhe müssen warten, vielleicht bis zur Rentenzeit – oder kommen sie auch dann nicht?

      Man darf eine solche Zeit der Beschaulichkeit, der Übersicht nicht als eine Phase der Tatenlosigkeit ansehen. Äußerlich angeschaut, ist sie vielleicht noch durchdrungener von Taten als der Mars-Abschnitt unseres Lebens. Doch im gesunden Sinne einer Entwicklung wird man jeder dieser Taten entnehmen können, dass sie für das Wohl der Allgemeinheit geschehen und nicht mehr zum persönlichen Nutzen.

      Wenn demgegenüber eingewendet wird, das sei heute aber überhaupt nicht der Fall, so bezeichnet dieser Einwand nur eine traurige, ja, tragische Zeit-Tatsache, ist aber kein Gegenbeweis dieser hier als notwendig erachteten Entwicklungstendenz, und man wird auch immer wieder einzelne Persönlichkeiten finden, an denen diese nun ideal gezeichnete Fähigkeit sichtbar werden kann. Geschieht die Entwicklung im einzelnen Menschen in richtiger Weise, so ist es oft eine – parallel zum 2. Lebensjahrsiebt – leiblich sehr gesunde Zeit, die somit auch die Voraussetzung schafft, im richtigen Sinne viel für andere zu tun.

      Ein dann noch einmal ganz wesentlicher Abschnitt folgt dieser beschaulichsten, äußerlich wie innerlich ruhigsten Phase des menschlichen Lebens, die dann von den Saturnkräften beherrschte Zeit nach dem 56. Lebensjahr.

       Das 56. bis 63. Lebensjahr – Saturnzeit

      Dieser Zeitpunkt um das 56. Lebensjahr, wenn der einzelne Mensch aus der Jupiter- in seine Saturnzeit eintritt, wurde von Bernard Lievegoed in Vorträgen vor Heilpädagogen einmal folgendermaßen charakterisiert:

       Krisenjahr Scheitern dessen, was man gewollt hat

      »Alle kommen darauf: Zwei Jahre sind wichtig, das achtundzwanzigste und das sechsundfünfzigste. Und das sechsundfünfzigste wird immer beschrieben als ein Krisenjahr im Leben. Wenn man das biografisch bei großen, bedeutenden Menschen verfolgt, dann sieht man im Leben dort einen jähen Abbruch. – Es war das Jahr, in dem Julius Cäsar ermordet wurde von seinen Freunden. Er ging hinein in den Gipfel seiner ausgedehnten Macht – und dann plötzlich wurde er erstochen. Nun – ich führe nur eines an, aber so erlebt man das manchmal. Das sechsundfünfzigste Jahr bedeutet etwas, was in die Saturnzeit hineingeht. Und in die Saturnzeit hineingehen bedeutet, dass alles, was man sich je im Leben erobert hat, noch einmal durch Tod und Auferstehung gehen muss. Noch einmal. Das Leben wird ungeheuer schwer, die Dinge kommen alle wieder zurück, die muss man alle wieder neu erleben. Man erlebt innerlich – nicht äußerlich, aber innerlich – ein Scheitern alles dessen, was man gewollt hat. Man erlebt: Ja, wenn ich ehrlich bin, dann muss ich sagen, es ist eigentlich nichts geworden von dem, was ich gewollt habe. Man ist natürlich so vernünftig, das nicht hinauszuposaunen und das für sich zu behalten – denn manchmal, wenn man das vorsichtig andeutet, bejahen die Leute das auch gerne. Also das ist etwas, das plötzlich eingreift ins Leben.«37

      Hatte man gerade eine im bisherigen Leben kontinuitätbildende, von Beschaulichkeit beherrschte Zeit durchlebt, kommt nun noch einmal Aufbruchstimmung in das Leben. Je nach der inneren Gestalt einer Biografie kann das in neue Aufgabenstellungen auch äußerer Art münden oder innere Begegnungen erzeugen, die neue Inhalte des Lebens begründen.

       Häufigkeit von Herzinfarkten

      Im Extrem kann es aber auch den radikalen Aufbruch zu einer ganz neuen Daseinsform bedeuten, nämlich dem Tod. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die Morbiditäts- und Mortalitätsstatistiken für den Herzinfarkt um das 56. Lebensjahr eine plötzliche Spitze in der Häufigkeit zeigen, die dann wieder zurückgeht zu dem langsam steigenden Trend, der schon vor diesem Zeitabschnitt existierte.

       Geistige Schaffenskraft

       Widerstände des Leibes werden deutlicher

      In Bezug auf das Körperliche ist in dieser Zeit stark erlebbar, dass die Widerstände, die der Leib dem seelischen und geistigen Leben entgegenträgt, immer deutlicher werden. Die Bewegungen werden eckiger, Sehkraft und Gedächtnis lassen nach, Ernährungsgewohnheiten, Schlafbedürfnis, Anteilnahme am öffentlichen Leben


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