Sand Talk. Tyson Yunkaporta
Tyson Yunkaporta ist Angehöriger des im westlichen Kap York beheimateten Apalech Clans und Dozent für Indigenes Wissen an der Deakin University in Melbourne. Er hat sich eingehend mit den Sprachen der Aborigines befasst und war in der indigenen Bildung tätig. Zu seinen Forschungsfeldern gehören die mündliche Überlieferung von Naturkatastrophen, Sprache, Gesundheit und Erkenntnis. Er hat Gedichte veröffentlicht und als Künstler traditioneller Holzschnitzkunst an Ausstellungen teilgenommen.
Tyson Yunkaporta
Sand Talk
Das Wissen der Aborigines und die Krisen der modernen Welt
Aus dem Englischen von Dirk Höfer
Inhalt
Das Stachelschwein, das Paläo-Denken und der Große Entwurf
Hoch entwickelt und hellhäutig
Entenjagd geht jeden etwas an!
Unerschütterlich trifft auf Unwiderstehlich
Das Stachelschwein, das Paläo-Denken und der Große Entwurf
Manchmal frage ich mich, ob Ameisenigel mitunter an der gleichen Wahnvorstellung leiden, wie sie viele Menschen befällt, nämlich, dass ihre Art das geistige Zentrum des Universums ist. Klug genug sind sie: Ihr präfrontaler Cortex, der Bereich des Gehirns, der für komplexes Denken und Entscheidungsfindung zuständig ist, ist bei ihnen im Verhältnis zur Körpergröße größer als bei allen anderen Säugetieren. Fünfzig Prozent des Ameisenigelgehirns werden für die schwierigsten Aspekte des Denkens verwendet. Beim Menschen sind es nur dreißig Prozent.
Dies anerkennend, erweise ich den fühlenden totemistischen Wesen ganz Australiens meinen Respekt, jenem Land, in dem die Ameisenigel oder Echidnas den Traumpfaden (songlines) ihrer Erschaffung folgen: Erzählungen als Landkarten, die Wissen entlang jener Energielinien transportieren, die sich als Gesetz in dem als eins gewussten Denken und Land manifestieren und sich netzartig durch die traditionellen Länder der Ersten Völker ziehen.
Vielleicht möchtest du dich mir anschließen, wenn ich den Menschen und anderen Lebewesen überall, die das Gesetz des Landes bewahren, meinen Respekt erweise:
Den Ältesten und traditionellen Hütern all jener Orte, an denen dieses Buch geschrieben wurde und gelesen wird.
Den Vorfahren, den Ahnen eines jeden Volkes, das heute auf diesem Kontinent und seinen Inseln lebt.
Unseren nichtmenschlichen Verwandten, denen auch die verschiedenen stacheligen Arten überall auf der Welt angehören, die Stachelschweine und Igel, die in der Erde nach Ameisen schnüffeln und dann weiß Gott was tun, wenn wir nicht hinsehen.
Ich weiß nicht, warum Stephen Hawking und andere sich Sorgen machen über hochintelligente Wesen von anderen Planeten, die auf die Erde kommen und mit ihrem fortgeschrittenen Wissen der Welt das antun könnten, was die industrielle Zivilisation ihr schon längst angetan hat. Wesen höherer Intelligenz sind bereits unter uns, waren sie schon immer. Sie haben ihre Intelligenz bloß noch nicht darauf verwendet, alles zu zerstören. Vielleicht tun sie es, sobald sie der Inkompetenz des domestizierten Menschen müde werden.
Alle Menschen haben sich über lange Zeit in vielschichtigen, landverbundenen Kulturen entwickelt und ein Gehirn mit einer Kapazität für über hundert Milliarden Nervenverbindungen ausgebildet, von denen wir heute nur einen kleinen Bruchteil einsetzen. Die meisten von uns sind aus solchen Ursprungskulturen vertrieben worden, eine weltweite Diaspora von Geflüchteten, die nicht nur vom Land selbst, sondern auch von dem unverfälschten Genius abgeschnitten sind, der dem Gefühl einer symbiotischen Beziehung zu ihm entspringt. Im Australien der Aborigines erzählen uns die Ältesten Geschichten, uralte Erzählungen, um uns vor Augen zu führen: Wenn du dich nicht mit dem Land bewegst, wird das Land dich bewegen. Siedlungen und die Zivilisationen, aus denen sie hervorgehen, sind nie von Dauer. Der Grund, warum all die leistungsstarken, in den Himmel gerichteten Instrumente noch keine hoch technisierten Alien-Zivilisationen entdeckt haben, könnte darin liegen, dass solche nicht nachhaltig agierenden Gesellschaften nicht lange genug bestehen, um Spuren im Weltall zu hinterlassen. Ein beunruhigender Gedanke.
Vielleicht müssen wir die brillanten Denkpfade unserer paläolithischen Urahnen von Neuem abgehen und dabei so viele geistige Funktionen zurückgewinnen, dass wir das unerträgliche, von der Zivilisation angerichtete Durcheinander wieder geraderücken können, bevor die Echidnas beschließen, uns alle zu feuern und den Planeten unter die Aufsicht ihrer Spezies zu stellen.
Die Geschichten, die heutzutage unser Denken bestimmen, beschreiben einen ewigen, aus einer Ursünde entspringenden Kampf zwischen Gut und Böse. Aber diese Bezeichnungen sind nur Metaphern für etwas, das schwieriger zu erklären ist, ein relativ junges Verlangen, der Komplexität der Schöpfung Einfachheit und Ordnung aufzuzwingen, ein Verlangen, das einem uralten Samen entspross, dem Samen des Narzissmus, der aufgrund eines neuen Ungleichgewichts in den menschlichen Gesellschaften aufging.
Es gibt ein Muster im Universum und in allem, was darin ist, und es gibt Wissenssysteme und Traditionen, die diesem Muster folgen, um ein Gleichgewicht zu wahren, um die Versuchungen des Narzissmus in Schach zu halten. In jüngster Zeit allerdings sind Traditionen entstanden, die die Schöpfungssysteme aufbrechen wie ein Virus, komplexe Muster mit künstlicher Einfachheit infizieren und über das, was bisweilen für Chaos gehalten wird, zivilisierende Kontrolle ausüben. Die Sumerer fingen damit an. Die Römer haben es perfektioniert. Die Anglosphäre hat es geerbt. Heute ist die Welt in diesem Morast versunken.
In Wirklichkeit ist der Krieg zwischen Gut und Böse eine Überlagerung von Weisheit und Komplexität mit Dummheit und Einfachheit.
Ein Stoß Seiten, gefüllt mit Zeichen, die Sprachlaute wiedergeben, ist eine komplizierte Art der Kommunikation, insbesondere wenn man das Muster der Schöpfung in einem praktischen Sinn vermitteln möchte, in einem Sinn, der