Sand Talk. Tyson Yunkaporta
durch eine Linse der Einfachheit betrachtet, lässt die Dinge komplizierter, zugleich aber weniger komplex erscheinen.
Für einen indigenen Australier, der aus einer mündlichen, stark auf persönlichen Austausch und wechselseitige Verpflichtungen angewiesenen Kultur kommt, wird, wenn er Symbole für Sprachlaute aufschreiben soll, damit Fremde sie lesen können, das Ganze noch komplizierter. Zusätzlich erschwert wird dies, wenn das Publikum einer bestimmten Vorstellung von Authentizität anhängt und in dem Verfasser lediglich den Angehörigen einer kulturellen Minderheit sieht, die das Recht, sich selbst zu definieren, eingebüßt hat. In der Sprache der Besatzungsmacht flüssig schreiben zu können, scheint dem Umstand zu widersprechen, dass der Autor einer indigenen Gemeinschaft angehört, von der nicht erwartet wird, über sich selbst überhaupt etwas zu Papier bringen zu können. Ich sehe mich also an dieser Stelle veranlasst, zu erklären, wer ich bin und was mich dazu brachte, dieses Buch zu schreiben.
In meiner eigenen Welt kenne ich mich so, wie mich meine Gemeinschaft kennt: als einen Jungen, der dem Apalech Clan aus dem westlichen Kap York angehört, ein Sprecher des Wik Mungkan mit Verbindungen, auch solchen, die auf Adoptionen zurückgehen, zu zahlreichen Sprachgruppen auf dem gesamten Kontinent. Manche dieser Adoptivbande sind informell – etwa diejenigen, die ich nach New South Wales und Western Australia habe –, meine vor zwei Jahrzehnten erfolgte Traditionelle Adoption in den Apalech Clan steht jedoch unter dem Aborigine-Gesetz, das streng und unveräußerlich ist. Dieses Gesetz verhindert, dass ich mich mit meinen nungari/ koori/schottischen Abstammungslinien identifiziere, und verlangt, dass ich ausschließlich jene Namen, Rollen und Genealogien annehme, die sich aus der Mitgliedschaft im Apalech Clan ergeben. Dies erkenne ich rückhaltlos an, auch wenn ich damit auf viel Unverständnis stoße und es mich lächerlich aussehen lässt: Wo mir die Leute im Süden erzählen, ich würde aussehen wie ein Inder, ein Araber oder ein Latino, sehe ich, neben meinem sehr dunkelhäutigen Adoptivvater stehend, wie Nicole Kidman aus.
Meine Lebensgeschichte hat nichts Erlösendes oder Inspirierendes, und ich erzähle sie nur ungern. Sie beschämt und traumatisiert mich, und ich muss mich selbst sowie andere schützen, die den Wirbelstürmen dieser chaotischen Kolonialgeschichte ausgesetzt waren. Doch die Leute bestehen darauf, etwas darüber zu erfahren, bevor sie meine Texte lesen, deshalb hier die Kurzversion.
Ich bin in Melbourne geboren, kam aber als kleines Kind in den Norden und wuchs, von Benaraby bis Mount Isa, in einem Dutzend entlegener oder ländlicher Gemeinden Queenslands auf. Nach einer schwierigen und manchmal entsetzlichen Schulzeit wurde ich schließlich, in einem Wirbel fliegender Fäuste und in meiner kulturellen Identität gestört, als zorniger junger Mann auf die Welt losgelassen. Die übelsten Szenen aus Filmen wie Die letzte Kriegerin, Conan, der Barbar und Goodfellas zusammengenommen, und man kann sich in etwa vorstellen, was damals passierte. Als Kind war ich nicht gerade ein Sonnenschein, und auch als ich, volljährig geworden, mein Leben selbst in die Hand nahm, verbesserte sich meine Gemütslage nicht. Und dafür gebe ich niemandem die Schuld außer mir.
Dass ich meinen »Stamm« unten im Süden ausfindig machte und mich wieder mit ihm verband, konnte den lange gehegten Traum, heimzukehren, nicht erfüllen, und ich fühlte mich ziemlich verzweifelt und allein. Aber nicht alles war schlecht. Ich konnte mich glücklich schätzen, bis zu diesem Punkt meiner Lebensreise recht viele Fragmente landverbundenen und kulturellen Wissens aufgeschnappt zu haben. In den 1990er-Jahren arbeitete ich als Lehrer, organisierte an den Schulen, an denen ich Theaterkurse gab und Sprachen unterrichtete, Förderprogramme für Aborigine-Schüler, fertigte meine Didgeridoos und Speere und Clapsticks an und tanzte auf Corroborees, jagte Kängurus und übte mich in den über die Jahre angeeigneten exotischen Elementen meiner Kultur. Aber dies alles war wie abgekoppelt, leer, blieb nur Fragment und Dekoration. Mich schaudert, wenn ich daran denke.
Irgendwie schaffte ich es sogar, inmitten dieses ganzen Chaos zu studieren, zu heiraten und zwei schöne Kinder zu bekommen, aber mein Leben war derart von Gewalt und Drogenmissbrauch geprägt, dass ich kaum einen echten Menschen abgab – lediglich ein aus extremen Reaktionen und Wut bestehendes Bündel. Mit Ende zwanzig lebte ich oben im Norden, ein verrohter Einzelgänger ohne Familie und Lebenssinn. Zu lange hatte ich mit dem Etikett »Halb-Aborigine« oder »Weißer mit Einschlag« gelebt und war dafür in den Einrichtungen, in denen ich arbeitete oder studierte, verspottet worden. Mit den endlos wiederkehrenden Fragen bezüglich meiner Identität kam ich nur schlecht zurecht. »Du bist doch kein Weißer? Welchen Hintergrund hast du? Aborigine? Nein, oder, du siehst wie ein Weißer aus. Wie viel Prozent Aborigine? Na ja, ein bisschen steckt ja in jedem von uns. Denke mal, die meisten Australier würden mit einem Bluttest und ein bisschen Ahnenforschung eine Aborigine-Abstammung bescheinigt bekommen.«
Oben im Norden trieben mich die rassistischen Anspielungen, mit denen ich konfrontiert war, in den Wahnsinn. Ich geriet völlig aus der Spur und war so gut wie am Ende. In einer fürchterlichen Nacht fanden mich Dad Kenlock und Mum Hersie in einem selbst verschuldeten lebensbedrohlichen Zustand und retteten mein Leben. Im Jahr zuvor hatten sie ihren jüngsten Sohn verloren – er war in meinem Alter gewesen und so wie ich in Gefahr geraten –, und sie beschlossen, mich als ihren eigenen Sohn aufzunehmen. Seither gehöre ich zu ihnen.
Diese Familie wurde also zu meinem Lebenszentrum, um das ich kreiste. Ich lebte länger am Kap York als an jedem anderen Ort zuvor und nahm Familienmitglieder mit in den Süden, wenn ich mich dort für verschiedene temporäre Jobs aufhielt. Auf diese Weise erhielten sie Zugang zu besseren Bildungsangeboten und zu Dienstleistungen, die in unserer Heimatgemeinde fehlten. Zu Hause gab es ohnehin keine richtige Arbeit, sodass Dad Kenlock mich aufforderte, hinaus in die Welt zu gehen und mit meinem Wissen »für die Rechte und Kultur der Aborigines zu kämpfen«.
Regelmäßig fuhr ich von zu Hause weg, um überall in Australien mit indigenen Gruppen und Gemeinschaften zu arbeiten, während meine Kinder und ihre Mutter sowie mein erweiterter Familienkreis meine langen Abwesenheiten zu ertragen hatten. Ich mehrte mein Wissen, zahlte dafür aber einen Preis. Ich musste hart arbeiten und studieren, um meine Kinder sowie weitere von mir abhängige Familienmitglieder zu unterstützen, aber ich musste auch in meiner Kultur leben und wachsen. Keine geringe Sache. Beides zugleich zu tun, ist unmöglich, ohne dass die wichtigsten persönlichen Beziehungen Schaden nehmen. Der Versuch kostete mich schließlich meine Ehe. Ich verpasste unzählige Beerdigungen und Geburtstage und wurde in meiner Gemeinschaft als schlechtes Beispiel angeführt: »Zu viel Arbeit und Schule, nicht gut, du wirst enden wie Bruder Ty.«
Doch was ich erwarb, war wichtig. Ich lebte während dieser Zeit meist draußen im Busch und stand in ganz Australien in engem Kontakt mit zahlreichen Ältesten und Wissensbewahrern, die mein Wissen über das alte Gesetz, das Gesetz des Landes, vertieften. Ich arbeitete mit Aborigine-Sprachen, Traumpfaden und philanthropischen Gruppen, an Schulen, Ökosystemen, Forschungsprojekten und Holzschnitzereien.
Auf meinen Reisen erkannte ich, dass es nicht die Welt der Gegenstände war, die uns erdete und erhielt, sondern die Art zu denken. Ich suchte also nach Worten und Bildern, um die indigenen Muster des Denkens, des Seins und des Tuns auszudrücken, die gewöhnlich unsichtbar sind und, weil unser Hauptaugenmerk exotischen Gegenständen und Darbietungen gilt, oft im Verborgenen bleiben. Diese Ideen begann ich, ins Englische zu übersetzen und in Druck zu geben, damit andere sie verstehen und unsere eigenen Leute sie bestätigen würden, während ich zugleich meinen Master und meine Promotion abschloss und Texte veröffentlichte. Als ich kürzlich nach Melbourne zog, um eine Zeit lang an meinem Geburtsort zu leben und zu arbeiten, begann ich, Artikel zu schreiben, die sich dieser Perspektive annahmen. Ich wurde gefragt, ob ich nicht ein Buch über die Themen dieser Artikel schreiben wollte, und hier ist es nun. Ich schreibe dies nur ein paar Straßen von dem Ort entfernt, an dem ich geboren wurde, und versuche, mich an das Stadtleben anzupassen und das Chaos zu beseitigen, das ich in den vergangenen fünf Jahrzehnten angerichtet habe.
Wie bereits gesagt, ist dies keine inspirierende, von Erlösung und dem Triumph über Widrigkeiten handelnde Geschichte. Ich bin weder eine Erfolgsstory noch Vorbild und auch kein Experte oder etwas Ähnliches. Ich bin immer noch ein reizbarer, aggressiver Junge, der sich vor der Welt fürchtet, obwohl dies inzwischen von einem ruhigen und einsichtigen Kern abgemildert wird, den in mir wachsen zu lassen meine Familie große Mühen aufgewendet hat. Dies hält mich am Leben, zusammen mit einem