Sand Talk. Tyson Yunkaporta
eine geheime Höhle, auf deren Boden eine Miniaturreplik dieser Stätte nachgebaut ist. Menschen, die wissen, wie man mit den Steinen dort umgeht, können angeblich in der Zeit eines Wimpernschlags zwischen den beiden Stätten hin- und herreisen. Zudem stehen die beiden Orte mit Steinformationen auf dem ganzen Kontinent in Verbindung.
Später, während der Tagundnachtgleiche, stehe ich am Wurdi Youang in Victoria: eine C-förmige Steinformation, die die Bewegung der Sonne im Laufe des Jahres nachzeichnet. Ich schaue von dem hangabwärts liegenden Aussichtsstein zu, wie die Sonne am höchsten Punkt der Formationen hinter einem Zeigerstein untergeht, wie der Mond genau hinter mir aufgeht und sich Venus, Jupiter, Saturn und Mars entlang derselben Achse reihen. Es geht hier nicht nur um den Augenblick, an dem die Himmelskörper eine ordentliche Schlange bilden, sondern auch um Tausende verschiedene Geschichten, die zusammenlaufen, sowie um das Muster, das sie in einem Dialog zwischen Erde und Himmel und mir kreieren. Die Art, in der eine Person diese Geschichten kennt, ist subjektiv – wie sie zu dieser Zeit und an diesem Ort von dieser Person gewusst werden, stellt einen einzigartigen Blickpunkt dar, der heilig ist, eine Kommunikation zwischen dem Erdcamp und dem Himmelscamp, zwischen den Menschen und einem fühlenden Kosmos. Uns-zwei sind beide zugegen, aber wir sehen verschiedene Geschichten.
Die über mir fliegenden Vögel sind in diesem Augenblick Teil des Schöpfungsgesangs. Ein Satellit. Ein Flugzeug. Im Norden zwei Wolken, die sich wie Schlangen in seltsamen Spiralen ringeln. Wir nennen das »Etwas«, ein Zeichen oder eine Botschaft von unseren Ahnen. Ich denke an die Zwei-Schlangen-Geschichte und wo ich sie zum ersten Mal gehört habe, als ich von Gundabooka im Nordwesten von North South Wales an die Küste reiste. Über mir sehe ich Mars und Venus und kenne sie als die Augen des Schöpfers, der in vielen Gebieten im Süden tagsüber durch die Augen des Adlers und nachts durch diese Planeten sieht.
Nahe der Grenze zwischen New South Wales und Queensland werden regelmäßig Zeremonien abgehalten. Dorthin bringen Murris roten Opal aus Quilpie und blauen Opal aus Lightning Ridge, einen aus dem Norden und einen aus dem Süden, um Mars und Venus als Augen des Schöpfers zu vereinen. Daran denke ich und an die Stelle weiter südlich, in der Nähe von Walgett, wo die Adleraugen zwei tiefe Löcher im Fels sind. Ich denke an die totemistische Beziehung, in der meine Frau zum Adler steht, und wie sie diese Verbindung verkörpert. Dieses Netz aus Verbindungen zwischen Gemeinschaften auf der Erde und dem Land im Himmel erweitere ich Zug um Zug. Lebende Felsen gibt es dort oben wie hier unten, und die dunklen Gebiete zwischen den Sternen sind kein Vakuum, sondern festes Land, das Masse besitzt und empfindungsfähig ist und in dem sich Orte und Zeiten auf der Erde widerspiegeln. Ich erkenne das Muster – bis zu dem Moment, da ich es aufzuschreiben versuche und es sich in Rauch auflöst.
Oberflächlich betrachtet ist das alles von geringem Nutzen. Wir können uns sagen: »Seht doch, wir sind schon seit Tausenden von Jahren Astronomen, das heißt, unser Wissen ist etwas wert. Und ihr, ihr Bastarde, habt alles kaputt gemacht.« Aber welches Wissen haben wir sonst noch zu bieten, das in Sachen Nachhaltigkeit und anderen komplexen Fragen erhellend wäre? Juma Fejo sagt, dass in der Schöpfung alles mit der Traumzeit verbunden sei, sogar Scheibenwischer und Mobiltelefone, warum aber sollte dann unser Schöpfungswissen als Artefakt in der Zeit eingefroren werden?
Steine auf der Erde und im Himmel, all diese Geschichten und ihre Verbindungen haben uns mehr mitzuteilen als die bloße Tatsache, dass sie bereits soundso viele Jahrtausende existieren. Sie können uns sagen, wie wir mit den Komplikationen und der Zerbrechlichkeit menschlicher Gesellschaften verfahren sollen, wie wir zerstörerische Exzesse in diesen Systemen eingrenzen und vor allem wie wir mit Idioten umgehen sollen. Um dieses Wissen aufzuspüren, müssen wir praktisch vorgehen. Versuchen wir es vielleicht mit einem Sand Talk und betrachten zunächst eines von Oldman Jumas Symbolen.
Die beiden Symbole innerhalb des Hexagons haben unterschiedliche Bedeutungen, die über ihre heutige mathematische Bedeutung hinausgehen. Getrennt betrachtet, handelt es sich jeweils um ein Zeichen für Beuteltiere (<) und eines für Vögel (>) als verschiedene totemistische Kategorien für Fleisch. Die Zeichen erklären sich aus der Richtung, in der diese Tiere am Knie ihre Beine abwinkeln. Zusammengenommen (<>) stehen sie für die beiden einzigen auf dem Kontinent heimischen Plazentatiere, Menschen und Dingos. Sie ergeben eine Form, die die Heiratsregeln in einem Verwandtschaftssystem aufzeigt; aus einem anderen Winkel gesehen, können sie als Zeichen für die Angelegenheiten der Männer gelesen werden. Sie zeigen zudem einen Einschlagpunkt, einen Schöpfungsmoment im Zusammenhang mit dem Sternbild des Orion (der immer und überall auf der Welt ein Jäger oder Krieger ist), einen Urknall, der aus einem Kampf zwischen dem Ameisenigel und der Schildkröte hervorgegangen war. Das traumatische Ereignis führte dazu, dass sich das Erdcamp und das Himmelscamp trennten und das Universum sich in tiefen Zyklen auszudehnen und wieder zusammenzuziehen begann wie ein Atmen und in einem Muster, das allem Gestalt gab.
Das Muster des Urknalls, dieses anfänglichen Einschlagpunkts, tritt nicht nur in der gewaltigen Größenordnung des Universums auf, sondern wiederholt sich unendlich in all dessen Ländern und Teilen. Auf diesen Einschlagpunkt, der häufig mit einem Stein im Zentrum von Ort und Geschichte bezeichnet wird, beziehen sich zahlreiche Schöpfungsgeschichten. Uluru ist der Stein im Zentrum der diesem Kontinent innewohnenden Geschichte, ein Muster, das sich in den miteinander verknüpften und unterschiedlichen Geschichten vieler kleinerer Gebiete wiederholt, sich in unseren Körpern am Nabel und dann in immer kleineren Teilen bis hinunter auf die Quantenebene unserer Kosmologie reflektiert findet. In dieser Form des Wissens gibt es keinen Unterschied zwischen einem selbst, einem Stein, einem Baum oder einer Verkehrsampel. All diese Elemente enthalten Wissen, Erzählung, Muster. Wenn wir uns auf diese Erzählung einlassen, wenn wir das Muster erkennen wollen, müssen wir uns zunächst der Untersuchung von Gesteinen widmen.
Die Aussage »Granit ist ein kristalliner, aus Quarz, Glimmer und Feldspat bestehender Mix magmatischen Ursprungs« wäre dabei kaum hilfreich. Ebenso wenig hilfreich wäre es, mit einem Batikhemd angetan, Felsen zu umarmen und sie zu bitten, ihre Geheimnisse auszuplaudern, indem sie mit uns über unsere Bauchnabelpiercings kommunizieren. Man muss schon Geduld und Respekt aufbringen, sich nicht frontal annähern, eine Weile dasitzen und warten, dass man eingeladen wird. Bevor wir uns also den Angelegenheiten der Steine zuwenden und den Fragen, wem das Wissen über sie gestattet ist und wie dieses Wissen uns heute das Überleben sichern könnte, sollten wir uns vielleicht zu einem weiteren Sand Talk einfinden:
Ich habe viel Zeit damit verbracht, immer wieder das Vogel-Beuteltier-Symbol zu zeichnen, habe mich mit anderen darüber unterhalten und schließlich eine Steinaxt angefertigt, um meine Einsichten festzuhalten. Ein Jahr habe ich gebraucht. Es hat deshalb so lange gedauert, weil ich immer wieder auf die beiden Arten von Beinen zurückgekommen bin, die in meinem Kopf das Bild von Emu und Känguru ergaben, immer wieder von Neuem – als ein Traumzeitbild, aber auch als Australiens Wappen. Die Siedler müssen seine Bedeutung erkannt haben, als sie es als Symbol für ihre Kolonie übernahmen. Ich habe so meine Probleme mit Emu, mit seiner Rolle in der Schöpfung und den daraus entspringenden Verhaltensmustern, die der Menschengesellschaft und im Weiteren der ganzen Schöpfung Probleme bereiten.
Emus Problem zeigt sich in der mathematischen »Größer als, kleiner als«-Interpretation des Symbols. Emu ist ein Unruhestifter, der die denkbar zerstörerischste Vorstellung in die Welt gebracht hat: »Ich bin besser als du; du bist weniger wert als ich.« Das ist der Ursprung allen menschlichen Elends. Über Tausende von Jahren hat sich die Aborigines-Gesellschaft bemüht, mit diesem Problem fertigzuwerden. Manche Menschen sind einfach Idioten – und jeder ist mal für eine Zeit lang ein kleiner Idiot, wenn etwas von tief innen kommt und flüstert: »Du bist was Besonderes. Du bist besser als die anderen Menschen und was noch um dich herum ist. Du bist wichtiger als alles andere und alle anderen. Du kannst über alles, was es gibt, und alle anderen Menschen verfügen.« Dieses Verhalten muss kontrolliert und gezügelt werden, um den Schaden, den es verursachen mag, einzudämmen.
Es gibt eine Menge Geschichten, die erklären, wie das Ganze seinen Anfang nahm, und als ein Brolga-Junge (traditionell ein Feind von Emu) kenne ich sie alle. Meine Lieblingsgeschichte stammt von dem Nyoongar-Ältesten Noel Nannup aus Perth. Er erzählt die Traumzeitgeschichte einer Zusammenkunft, bei der sich alle Spezies