Sexualität – Macht – Religion. Joachim Kügler
um Amuns willen auch nach ihrem Tod ewigen Bestand haben.
Abb. 5: Amun präsentiert der Götterwelt seine Tochter Hatschepsut als rechtmäßigen König; Reliefszene in Deir el-Bahari (Graphik JK)
Die durchgängige Orientierung auf die Götterwelt wird auch in einer Reliefszene deutlich, die eine deutliche Parallele zu der schon betrachteten Einsetzung der Hatschepsut durch Thutmosis I. darstellt. Gemeint ist die Präsentation Hatschepsuts durch ihren göttlichen Vater Amun. Die entsprechende Szene (siehe Abb. 5) steht am Ende des Geburtszyklus und bringt diesen inhaltlich an sein Ziel. Nachdem Amun das von ihm gezeugte königliche Kind mehrmals anerkannt und liebkost hat, präsentiert er es schließlich öffentlich als neuen König für Ägypten. Wie in der Präsentation durch Thutmosis I. erscheint Hatschepsut dabei in der bildlichen Darstellung in männlicher Gestalt, während die Texte auf ihr persönliches Geschlecht Rücksicht nehmen. „Seht die Tochter des Amun!“, sagt der Himmelskönig zu den Göttern. Auch sonst ist die Struktur der beiden Szenen durchaus vergleichbar. Während aber Thutmosis I. seine Tochter den irdischen Beamten präsentiert, richtet sich die Präsentation durch Amun an die Götter. In ihrer Antwort bestätigen alle Götter die Herrschaft Hatschepsuts und versichern der „leiblichen Tochter des Amun“ ihren unaufhörlichen Schutz und Segen. Die beiden väterlichen Präsentationen verfolgen ein gemeinsames Ziel. Sie verkünden, dass die Königsherrschaft der Hatschepsut legitim ist und der göttlichen Weltordnung entspricht. Diese ordnungsgemäße Herrschaft, von beiden Vätern proklamiert, von der Menschen- und der Götterwelt anerkannt, muss den Tod überdauern und dem König Hatschepsut ein Leben „in alle Ewigkeit“ sichern.
Tochter einer Göttin
Neben den beiden Vätern Thutmosis I. und Amun nimmt Hatschepsut auch eine weibliche Gottheit, nämlich Hathor, als göttliche Mutter in Anspruch. In Deir el-Bahari hat sie der Hathor eine eigene Kapelle mit aufwändiger Dekoration geweiht. Dort wird der Isis-Horus-Mythos aktualisiert und auf Hatschepsut angewandt. Die Hathorkapelle wird identifiziert mit dem mythischen Papyrus-Dickicht, in dem Isis ihr Kind vor der Verfolgung durch Seth verbirgt. Hathor fungiert wie Isis als Mutter, Schützerin und Gebärerin des Horuskindes. In Gestalt einer Wildkuh kommt Hathor zu ihrer Tochter Hatschepsut. Mehrere Reliefs zeigen, wie Hathor zärtlich die Hand des Königs leckt oder Hatschepsut am Euter der Hathor trinkt (siehe Abb. 6). Die Gottesmutter nährt ihre Tochter und gibt ihr göttliche Lebenskraft.
Eine Inschrift lässt Hathor sprechen:
Ich komme zu dir, meine geliebte Tochter, König von Ober- und Unterägypten: Maat-Ka-Re, Tochter des Re: HATSCHEPSUT DIE-AMUN-UMARMT. Deinen Arm küsse ich, deinen Leib lecke ich; Deine Majestät erfülle ich mit Leben und Glück, wie ich es für Horus tat in der Geborgenheit des Nestes von Chemnis.
Abb. 6: Hathor stillt Hatschepsut (in männlicher Gestalt) mit göttlicher Milch (Graphik JK)
Obwohl die Texte der Hathorkapelle die liebevolle Zuwendung der Gottesmutter zu ihrer Tochter Hatschepsut in geradezu poetisch-zärtlicher Weise ausdrücken, geht es hier nicht primär um Mutter-Kind-Romantik. Vielmehr wird über den Horus-Bezug ein zentrales Thema des Königtums der Hatschepsut festgehalten. Horus ist ja die mythische Verkörperung des legitimen Königtums. Er rächt den Mord an seinem Vater und setzt sich als rechtmäßiger Thronerbe gegen seinen Widersacher Seth erfolgreich zur Wehr. Nach längerem Kampf siegt Horus gegen Seth. Der legitime König triumphiert über seinen Feind, die göttliche Ordnung triumphiert über das Chaos. Was König Hatschepsut von Hathor bekommt, ist also vor allem die horusmäßige Legitimität ihrer Herrschaft. Dabei geraten die Geschlechtsrollen auch im Text kräftig in Reibung. Es ist hier nicht nur das Bild, das Hatschepsut als Mann zeigt, vielmehr findet sich auch im Text ein eindeutig männlicher Aspekt: die Sohnesrolle des Horus. Trotzdem wird auch am persönlichen Geschlecht der Hatschepsut festgehalten. Immer wieder wird sie als Tochter angesprochen und sogar der traditionelle Sohn-des-Re-Titel erhält eine weibliche Fassung. Daraus resultiert dann eine höchst spannungsvolle Aussage: Als Tochter von Hathor, Re und Amun ist Hatschepsut zugleich Horus, Sohn der Isis. Und so zeigt sich auch, wie das Bemühen um eine Verweiblichung der Tradition an seine Grenzen stößt.
Keine Ewigkeit für Hatschepsut: Eine Frau ist eine Frau
Innerägyptisch scheitert Hatschepsut mit ihrem Versuch, sich als rechtmäßiger König zu verewigen. In ihrem Fall dauert die Ewigkeit nach ihrem Tod etwa zwanzig Jahre. Dann setzt die Zerstörung ihrer Denkmäler ein. In den offiziellen Königslisten wird sie nicht geführt. Das Denkmal eines hohen Beamten erkennt schon bald nach Hatschepsuts Tod ihr Königtum nicht mehr an. Und ein berüchtigtes pornographisches Graffito2 lässt erkennen, dass das Königtum dieser Frau auch beim „kleinen Mann“ nicht als vollgültig anerkannt wurde.
Diese Ritzzeichnung in der Nähe des Ewigkeitstempels wurde vermutlich von Bauarbeitern angebracht und zeigt einen Mann (mit der Kopfbedeckung eines Bediensteten oder Arbeiters) beim Geschlechtsverkehr mit einer Frau, die königlichen Kopfschmuck trägt. Wenn die gängige Interpretation zutrifft, dann wird hier Hatschepsut von einem gewöhnlichen Mann „genommen“. Politische Kritik drückt sich in sexueller Machtfantasie aus. Eine Frau, die König sein will, ist eben doch „nur eine Frau“. Jeder Mann kann sie sexuell unterwerfen – so die Botschaft. Mag sie ihren politischen Körper noch so mächtig gestalten, ihr persönlicher Körper ist weiblich und kann von jedem Mann unterworfen werden. Als Sexualobjekt wird der König wieder zur Frau gemacht und so der politische Macht-Körper mittels des persönlichen Ohnmachtskörpers symbolisch vernichtet.
Wenn eine Frau „ihren Mann steht“ – erste Fragen aus der Vergangenheit an die Gegenwart
Warum sollte es ein Problem sein, dass eine Frau in eine Rolle schlüpft, die die Tradition als männlich definiert? Zum Problem wird dieser Geschlechtswechsel doch vor allem deshalb, weil die Geschlechtsrollen so unterschiedlich bewertet werden und es deshalb keinen wechselseitigen Tausch gibt. In patriarchalen Kulturen ist kein Mann je genötigt, eine als weiblich definierte Rolle zu übernehmen, wenn er eine bestimmte Machtposition erreichen will. Eher muss der machtbewusste Mann alles meiden, was seinen öffentlichen Körper verweiblichen könnte. Feminisierung ist in solchen Kulturen nämlich eine Degradierung zu einem zweitrangigen Menschsein und macht zum Herrschen unfähig.
Was aber würde passieren, wenn wir dahin kämen, „Weibliches“ und „Männliches“ als gleichwertig zu definieren? Dann wäre es für Männer und Frauen vielleicht gar kein großes Problem mehr, in bestimmten Situationen und unter bestimmten Bedingungen Rollen zu übernehmen, die die kulturelle Tradition bislang als typisch für das jeweils andere Geschlecht definiert hatte.
Mein Vater hätte beim Familienspaziergang noch keinen Kinderwagen schieben können, ohne seine Männlichkeit in Frage zu stellen. Moderne Männer erleben dagegen Fürsorge und Versorgung von Kleinkindern oft gar nicht mehr als etwas Mütterliches, sondern als Erweiterung ihrer Vaterrolle und Vertiefung ihrer Väterlichkeit. Wenn es gelingt, die Rollen, die traditionell als weiblich eingestuft wurden, nicht mehr als minderwertig einzustufen, dann könnte ein partielles Gender-Switching, das sich an den individuellen Begabungen und situativen Herausforderungen orientiert, ein Weg der Humanisierung von Frauen und Männern sein.
Und bevor wir uns von Hatschepsut verabschieden und weiterreisen, ein Wort zu ihrer Bedeutung für heute: Auch wenn es ein Anachronismus wäre, Hatschepsut