Der Hund der Baskervilles. Sir Arthur Conan Doyle

Der Hund der Baskervilles - Sir Arthur Conan Doyle


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Ansprüchen. Das gesamte Hauspersonal von Baskerville Hall besteht lediglich aus dem Ehepaar Barrymore; der Mann bekleidet die Stellung eines Butlers und seine Frau die der Haushälterin. Ihre Aussage, die durch das Zeugnis mehrerer Freunde des Verstorbenen bestätigt wurde, ging dahin, dass Sir Charles schon seit einiger Zeit bei schwacher Gesundheit gewesen sei. Erwähnt wurde insbesondere ein Herzleiden, das sich in rasch wechselnder Gesichtsfarbe, Atemnot und akuten Anfällen einer nervösen Gemütsverstimmung geäußert habe. Dr James Mortimer, persönlicher Freund und ärztlicher Berater des Verstorbenen, bestätigte dies durch seine Aussage.

      Die Faktenlage ist unkompliziert. Sir Charles Baskerville hatte die Gewohnheit, jede Nacht vor dem Schlafengehen einen Spaziergang durch die berühmte Eibenallee von Baskerville Hall zu machen. Dies wurde von den Barrymores bezeugt. Am 4. Juni hatte Sir Charles angekündigt, am Tag darauf nach London reisen zu wollen, und er hatte Barrymore angewiesen, sein Gepäck zu besorgen. Am Abend verließ er das Haus zu seinem gewohnten Spaziergang, bei dem er wie gewöhnlich eine Zigarre rauchte. Er kehrte nicht zurück. Als Barrymore gegen Mitternacht die Haustür noch offen fand, wurde er unruhig, zündete eine Laterne an und ging auf die Suche nach seinem Herrn. Es hatte an diesem Tag geregnet, und Sir Charles’ Fußspuren waren in der Eibenallee gut zu erkennen. Auf halbem Weg befindet sich eine Pforte, die zum Moor hinausführt. Es gibt Hinweise, dass Sir Charles hier eine Zeit lang verweilt hat. Dann hat er seinen Weg durch die Allee fortgesetzt, und an ihrem äußersten Ende wurde sein Leichnam gefunden. Noch nicht geklärt ist Barrymores Aussage, die Fußspuren seines Herren hätten jenseits der Pforte anders ausgesehen als vorher; er sei von dort aus augenscheinlich auf Zehenspitzen weitergegangen. Ein Zigeuner namens Murphy, ein Pferdehändler, befand sich um diese Zeit in nicht allzu weiter Entfernung auf dem Moor, allerdings in angetrunkenem Zustand, wie er selbst zugab. Er sagte aus, er habe Schreie gehört, konnte jedoch nicht sagen, aus welcher Richtung diese gekommen seien. An Sir Charles’ Leichnam waren keine Spuren von Gewaltanwendung zu erkennen, allerdings waren seine Gesichtszüge nach Aussage des Arztes auf unbegreifliche Weise verzerrt – so sehr, dass Dr Mortimer zunächst kaum glauben konnte, dass es wirklich sein Patient und persönlicher Freund war, der dort vor ihm lag. Indessen ist dieses Symptom nicht untypisch bei einem Tod infolge Atemnot und Herzversagen. Diese Erklärung wurde durch den Obduktionsbefund bestätigt, der eine schon lange bestehende Erkrankung des Herzens attestiert hat. Die gerichtliche Untersuchungskommission entschied in Übereinstimmung mit dem ärztlichen Zeugnis in diesem Sinne. Das ist sehr zu begrüßen, denn natürlich ist es für die Region von größter Bedeutung, dass Sir Charles’ Erbe sich in Baskerville Hall niederlässt und dessen segensreiches Wirken fortsetzt, das auf so traurige Weise unterbrochen worden ist. Wäre den abenteuerlichen Gerüchten, die in Zusammenhang mit dieser Affäre aufgekommen sind, nicht durch den prosaischen Befund des Untersuchungsrichters jede Grundlage entzogen worden, hätte es schwierig werden können, einen Pächter für Baskerville Hall zu finden. Der nächste Angehörige von Sir Charles Baskerville ist dem Vernehmen nach Mr Henry Baskerville, ein Sohn von dessen jüngerem Bruder. Den letzten Nachrichten zufolge hält der junge Mann sich in Amerika auf, und es wurden bereits Ermittlungen eingeleitet, um ihn von dem ihm zugefallenen Erbe in Kenntnis zu setzen.«

      Dr Mortimer faltete die Zeitung wieder zusammen und steckte sie in seine Tasche.

      »Dies, Mr Holmes, sind die öffentlich bekannten Fakten im Zusammenhang mit dem Tod von Sir Charles Baskerville.«

      »Ich möchte Ihnen meinen Dank aussprechen«, sagte Sherlock Holmes. »Sie haben mich auf einen Fall aufmerksam gemacht, der tatsächlich einige interessante Aspekte hat. Ich hatte seinerzeit die Zeitungsmeldungen gelesen, aber ich war damals sehr eingespannt in diese kleine Affäre der vatikanischen Kameen, und in meinem Bestreben, dem Papst gefällig zu sein, habe ich einige interessante Fälle in England aus den Augen verloren. Aber Sie sagten, dieser Artikel enthalte lediglich die öffentlich bekannten Fakten?«

      »So ist es.«

      »Dann lassen Sie mich die nicht öffentlichen wissen.« Er lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und setzte seine gleichgültig-skeptische Miene auf.

      »Das werde ich gern tun«, sagte Dr Mortimer mit allen Anzeichen einer starken Gemütserregung, »aber ich muss Ihnen vorher sagen, dass ich Ihnen damit etwas erzähle, was ich bisher keinem einzigen Menschen anvertraut habe. Mein Beweggrund dafür, dass ich es bei der Leichenschau vor den Geschworenen verschwiegen habe, war, dass ich als Mann der Wissenschaft davor zurückscheue, mich in der Öffentlichkeit als jemand darzustellen, der dummen Ammenmärchen Glauben schenkt. Ein weiteres Motiv war, dass Baskerville Hall gewiss keinen neuen Bewohner finden wird, wie in der Zeitung ganz richtig bemerkt, wenn der ohnehin schon düstere Ruf des Besitzes noch weiter diskreditiert würde. Aus diesen beiden Gründen glaubte ich mich im Recht, wenn ich nicht alles sagte, was ich wusste. Überdies hätte es auch keine praktischen Auswirkungen auf die Untersuchung gehabt. Aber Ihnen gegenüber habe ich keinen Grund, nicht ganz offen zu sein.

      Das Moor ist sehr dünn besiedelt, daher sind alle, die dort leben, eng auf ihre Nachbarn angewiesen. So ergab es sich, dass ich viel mit Sir Charles Baskerville verkehrte. Mit Ausnahme von Mr Frankland in Lafter Hall und Mr Stapleton, einem Naturkundler, findet man im weiteren Umkreis keinen einzigen gebildeten Menschen. Sir Charles lebte recht zurückgezogen, aber durch seine Krankheit kamen wir in Kontakt miteinander, und ein gemeinsames Interesse an naturwissenschaftlichen Fragen vertiefte die Bekanntschaft. Er hatte aus Südafrika zahlreiche Kuriositäten mitgebracht, und so haben wir viele angenehme Abende miteinander und mit lebhaften Diskussionen über die anatomischen Eigenarten der Buschmänner und der Hottentotten verbracht.

      Im Laufe der letzten Monate wurde mir immer klarer, dass Sir Charles’ Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren. Er hatte sich diese Legende, die ich Ihnen vorgelesen habe, sehr zu Herzen genommen, was so weit ging, dass er seine Spaziergänge zwar auf eigenem Grund und Boden unternahm, aber unter keinen Umständen bereit war, das Moor zu betreten, schon gar nicht in der Dunkelheit. So unbegreiflich es Ihnen erscheinen mag, Mr Holmes, aber er war allen Ernstes davon überzeugt, dass ein grauenvolles Verhängnis über seiner Familie schwebte, und ich muss sagen, was er von seinen Vorfahren zu berichten wusste, klang nicht eben ermutigend. Unablässig verfolgte ihn die Vorstellung einer dunklen Macht, die ihn umgab, und mehr als einmal fragte er mich, ob ich auf meinen nächtlichen Fahrten zu einem Patienten nicht ein merkwürdiges Wesen gesehen oder das Gebell eines Hundes gehört hätte. Die letztere Frage stellte er mir mehrfach, jedes Mal mit vor Erregung bebender Stimme.

      Ich erinnere mich genau an einen Abend etwa drei Wochen vor dem traurigen Ereignis. Als ich mit meinem Einspänner vor dem Herrenhaus vorfuhr, stand er zufällig im Eingang. Ich stieg aus und ging auf ihn zu, da bemerkte ich, dass sein Blick über meine Schulter hinweg etwas fixierte und er mit dem Ausdruck tiefsten Grauens dorthin starrte. Ich fuhr herum und konnte gerade noch einen Blick auf ein Tier am Ende der Zufahrt erhaschen, das ich für ein großes schwarzes Kalb hielt. Er war so verängstigt, dass ich mich genötigt sah, dorthin zu gehen und nachzuschauen, wo das Tier geblieben war. Natürlich war es längst verschwunden, aber der Vorfall hatte ihn augenscheinlich zutiefst verstört. Ich blieb den Abend über bei ihm, und bei dieser Gelegenheit vertraute er mir die Familienlegende an, wohl um mir eine Begründung für seinen Nervenzustand zu geben, und er übergab mir zu treuen Händen das Dokument, das ich Ihnen gerade vorgelesen habe. Ich erwähne diesen Vorfall, weil ihm in Anbetracht der darauf folgenden Tragödie eine gewisse Bedeutung zukommt. Damals war ich allerdings fest überzeugt, dass die Sache völlig harmlos und seine Furcht unbegründet war.

      Dass Sir Charles eine Reise nach London plante, geschah auf mein Anraten. Ich wusste, dass sein Herz angegriffen war, und die ständige Angst, in der er lebte, auch wenn es reine Hirngespinste waren, wirkte sich offensichtlich negativ auf seinen Gesundheitszustand aus. Ein paar Monate in der Metropole mit ihren Zerstreuungen, meinte ich, würden einen neuen Menschen aus ihm machen. Unser gemeinsamer Freund Mr Stapleton, der sich ebenfalls um Sir Charles’ Gesundheit sorgte, teilte diese Ansicht. Am letzten Abend vor dem Antritt der Reise kam es dann zu der schrecklichen Katastrophe.

      In der Nacht von Sir Charles’ Tod schickte der Butler Barrymore, der den Leichnam gefunden hatte, den Stallknecht Perkins zu mir, und da ich trotz der späten Stunde noch wach war, erreichte ich Baskerville Hall schon eine Stunde nach dem Unglück.


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