Perspektivenwechsel. Fokus Zukunft. Christoph Zollinger
den grössten Leinwänden verbindet diese Transparenz auch Zeit und Raum: Hindernisse zwischen Publikum und Werk werden ausgeräumt, das Trennende wird zum Umfassenden, «… das Bild lebt in der Verbundenheit mit dem Menschen, verändert sich in den Augen des empfindsamen Betrachters – und es stirbt durch ihn» (Mark Rothko).
Der malerische Prozess fasziniert mich. Der Vorgang des wiederholten Übermalens nicht fixierter farblicher Gebilde führt zu immer neuen Bildern, von denen der Maler ursprünglich nicht weiss, ob sie befriedigen. Diese Arbeit findet ihre Entsprechung in der persönlichen Auffassung des Kreativen: Ob in Wirtschaft, Politik oder im Alltag: «Lösungen» entstehen erst durch Zusammenfügen unterschiedlicher Ideen zu einem ganzheitlichen Konzept. Nicht das «Abbilden» des Offensichtlichen (einer Figur oder Landschaft, eines Objekts), nicht das Darstellen einer Szene ist hier das Ziel, sondern die Transparenz zum Hintergründigen. Übrigens: Die zeichnerische und malerische Grundausbildung erfuhr ich beim begnadeten Kunstmaler und Bildhauer Raphael Doria, Zürich.
Immer wieder werde ich gefragt, was meine Bilder darstellten. «Nichts» ist meine Antwort. Sie stellen nichts dar. Ich will ein Gemälde auch nicht erklären – es entstand aus einer sehr persönlichen intensiven Beziehung zwischen dem sich Entwickelnden auf der Leinwand und mir als Herausforderer.
Auch wenn zu Beginn des Malprozesses, beim Auftragen der ersten Farbschicht, ein «Konzept» besteht, ist dessen Überleben nicht gesichert. Der «Dialog» zwischen werdendem Werk und Ausführendem verändert graduell Wahrnehmung und Eindruck. Im unmittelbaren Austausch entsteht das Werk, nachdem sich die gegenseitige Beeinflussung im fliessenden Licht und in nuancierten Farbtönen immer mehr ausgeprägt hat.
An dieser Stelle ist der oder die Betrachtende gefordert. Er oder sie, beide entwickeln mit der Zeit eine neue Sicht der Dinge. Das Bild beginnt zu leben, es entfalten sich Farbnuancen und Strukturen. Dadurch entsteht eine sinnliche Beziehung und auch die Perzeption des Betrachtenden ist keineswegs uniform. Diese Beziehung allerdings, die ist sehr persönlich und subtil. Sie ist Ausdruck des einfühlsamen Betrachters, der offen ist für das Neue, Unerwartete, Spontane.
Ich wage zu behaupten, dass ein Bild erst nach Monaten oder Jahren – aufgehängt in passender Nachbarschaft – seine geheimnisvolle Botschaft voll entwickelt.
WERKSCHAU «BILDER UND SÄTZE»
Eine einmalige Gelegenheit zu einer umfassenden Werkschau bot sich mir 2006 in den hellen Räumlichkeiten der (ehemaligen) Schreinerei Lienhard in Zürich-Wollishofen. Mit der grossartigen Unterstützung der Inhaberfamilie realisierte ich unmittelbar vor dem Abbruch der Liegenschaften auf 1000 Quadratmetern mit 150 Bildern aus 40 Jahren so etwas wie eine Gesamtschau. Aus den Anfängen sind im Laufe der Jahre völlig neue Formate und Impressionen entstanden. Dies alles für einmal «versammelt» zu sehen war für mich faszinierend.
Den vielen Besucherinnen und Besuchern gefiel das Ganze mehr oder weniger. Den Wandel vom Alpenpanorama zur abstrakten Malerei goutieren verständlicherweise nicht alle. Der spätere Regierungsrat Thomas Heiniger (damals Stadtpräsident von Adliswil) eröffnete die Show mit folgenden Worten: «Sätze, Wörter und die Sprache allgemein stossen an Grenzen, an sprachliche, kulturelle und ethische. Oft entstehen Missverständnisse. Ganz anders verhält sich das bei Bildern. Beim Anschauen eines Bildes können sich die Betrachtenden in aller Freiheit viele Gedanken machen, ohne auf Grenzen zu stossen.»
Aus den Medien ist hier ein Originalzitat übernommen. «Christoph Zollinger lässt den Betrachter seiner Bilder in ein geheimnisvolles Meer von Farben und Formen eintauchen.»
Und, für viele Kilchbergerinnen und Kilchberger die grosse Überraschung: «Chris Zollinger ist der Libero. Unter dem Pseudonym Libero schrieb Zollinger während 22 Jahren Kolumnen im Kilchberger Gemeindeblatt zu aktuellen Themen der Zeit.» Tatsächlich ist es dem Verleger gelungen, Nachfragen über den «Täter» hinter diesen Kolumnen abzuwimmeln. Erst mit der vergrösserten Präsentation aller Artikel in einem separaten «Kilchberger-Raum» wurde das Geheimnis gelüftet. Deshalb auch der Name der Ausstellung: «Bilder und Sätze».
«TRANSPARENZ AUF LEINWAND»
40 Jahre nach meiner ersten Bilderausstellung am Klusplatz in Zürich folgte im Oktober 2014 auf 500 Quadratmetern eine Präsentation der letzten fünfzig Transparency on Canvas-Bilder. In den nostalgischen Räumen der historischen Maschinenhalle der ehemaligen Brauerei Hürlimann in Zürich-Enge (heute B2 Hotel) fügten sich die grossflächigen Werke zwischen hundertjährigen Eisenveteranen – Maschinen aus der Bierherstellung – wie Sinnbilder des Zeitenwandels ein.
Der Prozess vom Abbild zur Beziehung in meiner Malerei fand hier ein perfektes Umfeld. Etwas grosszügig formuliert könnte man sagen, der weiter oben erwähnte epochale Wandel, den Albert Einstein als Wegmarke vor hundert Jahren setzte, fand hier eine bescheidene Entsprechung in der symbolischen Gleichzeitigkeit des Alten und Neuen.
Mit Thomas Heiniger, Vernissage 2006
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