30 dreiste Lügen über Geld. Peter Koenig
einem separaten Stück Papier, das Sie mit der Post an sich selbst schicken und dann in dieses Buch kleben –, was Geld für Sie bedeutet. Dies wird nur wenige Minuten in Anspruch nehmen und ist die einzige praktische Übung in diesem Buch (das verspreche ich Ihnen). Listen Sie ganz einfach etwa zehn Punkte auf, die Ihnen spontan zu der Frage einfallen, was Geld für Sie bedeutet, ohne dies alles zu bewerten oder zu beurteilen.
Geld ist …
Lüge Nr. 1
Die Lüge vom arbeitenden Geld
Beginnen wir mit einer einfachen Lüge, vielleicht nicht der wichtigsten, doch einer Lüge, die zeigt, wie schnell man zu vollkommen falschen Schlußfolgerungen kommt, wenn man nicht genügend nachdenkt oder Fragen stellt.
Die Lüge vom arbeitenden Geld
Versuchen Sie einmal, folgende Frage zu beantworten:
Auf der Bank zahlen Sie 100 Euro auf Ihr Sparbuch ein, wo diese pro Jahr mit 2 % verzinst werden. Die Bank wiederum verleiht diese 100 Euro an einen anderen Kunden zu einem Zinssatz von 5 %. Nach Ablauf eines Jahres erhält die Bank 5 Euro Zinsen von diesem Kunden, gibt Ihnen davon 2 Euro und behält 3 Euro für sich. Die (nicht an Sie weitergegebenen) Kosten für diese Transaktionen belaufen sich auf 1 Euro.
Sie haben mit Ihrem Geld also 2 % verdient.
Frage: Welche Rendite hat die Bank mit dem Geld erwirtschaftet?
Sie werden jetzt vielleicht sagen: 3 %, denn das klingt ja auch ganz logisch. Dies wäre jedoch die falsche Antwort. Die richtige Rechnung sieht folgendermaßen aus:
Das heißt, mit einem Einsatz von 1 € erwirtschaftet die Bank 2 € = 200 %. Das ist natürlich ganz erheblich mehr als 3 %! Manche finden es vielleicht skandalös, daß die Bank 200 % verdient, Sie als Kunde aber nur 2 %. Sie können es jedoch drehen und wenden, wie Sie wollen, der Mathematik entkommen Sie nicht …
Anmerkung: Der Umfang der Gewinne und Renditen einer Bank bzw. sämtlicher Banken ganz allgemein ist aus folgenden Gründen undurchsichtig:
1 Die Fachleute sind sich selbst nicht einig, ob eine Bank Spareinlagen wirklich wie oben beschrieben verleiht, oder ob sie nicht vielmehr Geld verleiht, das sie quasi aus dem Nichts erschaffen hat – im letzteren Fall sind die Renditen sogar noch höher. Wenn die Kosten für das Schöpfen und Verleihen von Geld gegen Null tendieren, sind die Kapitalerträge, rein rechnerisch, fast unendlich groß.
2 Geschäftsberichte und Bilanzen einer Bank weisen Erträge aus verschiedenen Arten von Bankgebühren auf wie auch Zinserträge, von denen die zu zahlenden Zinsen für Darlehen und Spareinlagen abzuziehen sind. In diesen Berichten steht jedoch nichts über Gewinne und Verluste der Bank aus Spekulationsgeschäften, denn diese erscheinen in den Bilanzen gar nicht. Dabei kann es sich um ganz erhebliche Summen handeln, welche die finanzielle Lage der Bank wesentlich stärker beeinflussen als Erträge aus anderen Geschäften. Diese nicht über die Bücher gehenden Transaktionen verschaffen der Bank eine beträchtliche Flexibilität, wenn es darum geht, Geschäftsberichte und -abschlüsse auf das gewünschte wirtschaftliche und politische Erscheinungsbild hin zu bearbeiten.
Wir werden uns hier nicht weiter mit dieser komplexen Materie befassen, und ich möchte damit auch nicht sagen, daß die Banken unverschämt hohe Profite erwirtschaften. Es geht nur darum, daß die weitverbreitete Annahme, der Umfang von Bankprofiten lasse sich grob dadurch abschätzen, daß man die Sparzinsen von den Kreditzinsen abziehe, ein schwerwiegender Irrtum ist.
Lüge Nr. 2
Geld ist Macht
»Geld ist Macht.« Ich erwarte nicht, daß es mir mit Logik allein gelingen wird, Sie davon zu überzeugen, daß es sich bei dieser Redewendung um einen Irrtum handelt. Ich möchte Sie vielmehr zum Zweifeln anregen. Den Rest müssen Sie selbst erledigen, indem Sie Ihre eigenen Erfahrungen kritisch überprüfen und sich auf Ihr tieferes, intuitives »Wissen« verlassen. Überlegen Sie einmal, wie sich die Zeiten, in denen Sie viel bzw. wenig Geld besaßen, zu den Augenblicken verhalten, in denen Sie Ihre ganze Kreativität, Lebenskraft und Inspiration fühlen konnten – sowie zu jenen Zeiten, wo Sie das Gefühl hatten, keine Kraft mehr zu haben.
Geld ist Macht
Durch das Fenster meines Hotels in Polignano, auf einem Felsen hoch über dem Meer, blicke ich auf ein kleines Ruderboot. Zwei alte Fischer sitzen sich gegenüber, der weiße Plastikeimer zwischen ihnen im Boot nimmt die gefangenen Fische auf. Sie verwenden keine Angelrute, sondern nur die Leine, die Angelschnur, die sie geduldig in den Händen halten, während das Boot in den Wellen auf und ab hüpft. Nun beschließen sie, zweihundert Meter weiterzurudern. Beide halten ein Ruder in der linken Hand, das sie in perfektem Gleichklang bewegen – der eine sein Ruder nach hinten, der andere nach vorn. Sie sind Meister ihrer Kunst, die Bewegung ist von vollendeter Eleganz und bietet ein Bild von ganz außergewöhnlicher Harmonie.
Ich wende mich wieder dem Zimmer zu und schalte den Fernseher ein, wo Präsident Bush auf CNN gerade das Gesicht verzieht.
Wer regiert die Welt? Was hat Macht mit Geld zu tun? Ich befinde mich hier im teuersten Hotel von Polignano. George W. Bush verdient bestimmt viel mehr Geld als ich, aber gewiß auch weniger als viele der führenden Geschäftsleute seines Landes. Für das, was ich hier pro Nacht bezahle, arbeiten die Fischer vermutlich eine ganze Woche – oder vielleicht sogar einen ganzen Monat?
Wer regiert die Welt? Ist es der Hotelbesitzer, der mit dem, was ich für das Zimmer bezahle, seine Unkosten deckt? Ist es der Hotelmanager, der die Autorität besitzt, den Preis mit mir auszuhandeln, sonst jedoch wenig zu tun hat den lieben langen Tag? Ist es George W. Bush? Sind es all die Staatschefs, die er empfängt? Bin ich es, oder sind es die Fischer? Sind es alle Menschen, ist es jeder von uns, keiner von uns? Bis zu welchem Grad sind solche Vergleiche überhaupt sinnvoll? Und bis zu welchem Grad, wenn überhaupt, hängt diese Macht von dem Geld ab, das man besitzt?
Die Überzeugung »Geld ist Macht« übt schon für sich große Macht aus – und ist weit verbreitet. Bis zu einem gewissen Grad ist dieser Glaube eine sich selbst erfüllende Prophezeiung – allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. Es handelt sich hier nicht um wirkliche Macht, sondern um eine Illusion, die sich auf zwei irrige und oberflächliche Vorstellungen stützt. Die erste ist das materialistisch geprägte Bild von den reichen Leuten, die viele Dinge besitzen, und den großen Unternehmen, die viele Menschen beschäftigen und viele Ressourcen verbrauchen. Man glaubt, daß sich das Leben mit Hilfe von Geld irgendwie besser kontrollieren lasse. Komischerweise besitzen die, die einen solchen Status anstreben, mehr Macht als die, die ihn schon innehaben! Die ersteren haben nämlich den Vorteil, ein konkretes Ziel vor Augen zu haben. Sie haben Anlaß zur Hoffnung. Diejenigen jedoch, die diesen Status erreicht haben, müssen auf einmal erkennen, daß es sich bei dieser Vorstellung um eine reine Illusion handelt – wie viele Lottogewinner bestätigen können. Lassen wir einmal zwei der reichsten und erfolgreichsten Wirtschaftsmagnaten unserer Zeit zu diesem Thema zu Wort kommen:
Ein reicher Mensch ist oft nur ein armer Mensch mit einer Menge Geld. Jeder, der glaubt, mit Geld lasse sich alles kaufen, hat offensichtlich nie welches besessen.
ARISTOTELES ONASSIS
Erfolg ist ein ganz schlechter Lehrer. Er bringt intelligente Menschen dazu, zu glauben, sie könnten nie verlieren. Erfolg ist ein unzuverlässiger Wegweiser für die Zukunft.
BILL GATES
Die zweite, nicht minder machtvolle Vorstellung ist der Umkehrschluß der ersten: daß man sein Schicksal nicht steuern oder kontrollieren könne, wenn man wenig oder gar kein Geld besitzt, und so unweigerlich ins Elend gerate. Dieses Schreckensbild vom Nächtigen unter Brücken hat genausowenig einen realen Hintergrund wie die erste Vorstellung. Es läßt sich leider nicht leugnen, daß es Hunger, Armut und Elend auf dieser Welt tatsächlich gibt. Die kollektiven wie individuellen Ursachen dafür liegen jedoch nicht in der Geldknappheit der betroffenen Menschen. Diese Zustände haben zwar sehr wohl etwas mit Geld zu tun, jedoch nicht mit dem Besitz von Geld, sondern vielmehr mit dem, was man gemeinhin