Kreaturen des Todes - 2. Band. Walter Brendel
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Walter Brendel
Kreaturen des Todes
2. Band
Impressum
Texte: © Copyright by Walter Brendel
Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke
Verlag:
Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag
Gunter Pirntke
Mühlsdorfer Weg 25
01257 Dresden
Inhalt
Starb sie, weil sie zu viel wusste?
Der Kindermörder aus der Schweiz
Von Liebe und Tod
Tokio 1936. Im autoritär regierten Kaiserreich in Japan schockiert ein ungewöhnlicher Fall die Öffentlichkeit. Am 18. Mai soll die ehemalige Geisha Abe Sada ihren Liebhaber durch erotische Strangulation erdrosselt haben, trennt ihm anschließend die Genitalien ab und ritzt ihren Namen in seine Haut. Bei ihrer Verhaftung empfängt die junge Frau die Polizei lächelnd und ohne Reue und erklärt, sie habe aus Liebe getötet, damit ihm keine andere Frau jemals haben kann. Der Fall, der so manchen Moralkodex ins Wanken bringt, wurde schnell zur Ikone der verrufenen Seite Japans stilisiert und von der Presse gierig aufgegriffen. Denn der erotisch motivierte Mord ereignet sich zu einer Zeit extremer gesellschaftlicher Spannungen: Die instabile Regierung unter Kaiser Hirohito muss mit einem wachsenden Nationalismus kämpfen, seit Beginn der Dreißigerjahre erlebt das Land eine schwere Wirtschaftskrise und innerhalb des autoritären Militärs wird eine Expansionspolitik gefordert. Dieser wachsende Militarismus ging zudem mit einer puritanischen Repression einher, wobei Erotik, sexuelle Abweichung und Morbidität aufs Engste miteinander verknüpft wurden. Sadas Tat und deren öffentlicher Prozess wurden so zu einem bis heute vielfach zitierten und medial verarbeiteten Klassiker der japanischen Kultur. Und auch in den Augen des Westens steht der Fall Abe Sada für die Fantasievorstellung einer zügellosen japanischen Erotik quasi als Kontrastfolie zur restriktiven Sexualmoral der europäischen Zwischenkriegszeit.
Abe Sadas Mord an ihrem Liebhaber und ihr öffentlicher Prozess wurden zu einem bis heute vielfach zitierten und medial verarbeiteten Klassiker der japanischen Kultur
Der Fall offenbart das komplexe Verhältnis einer Gesellschaft und ihrer Sexualität. Am Morgen des 19. Mai 1936 lesen die Japaner in ihrer Morgenzeitung eine erstaunliche Geschichte. Im Rotlichtviertel von Tokio wurde die Leiche eines erdrosselten und entmannten Mannes gefunden.
Die mutmaßliche Mörderin heißt Abe Sada, die am 28. Mai 1905 in Kanda, Stadt Tokio als das siebte von acht Kindern von Abe Shigeyoshi und Katsu, einer Familie von Tatami-Mattenherstellern der mittleren Oberschicht im Tokioter Stadtteil Kanda, geboren wurde.
Von den vier Kindern, die das Erwachsenenalter erreichten, war Sada die jüngste. Ihr Vater stammt ursprünglich aus der Präfektur Chiba und wurde von der Abe-Familie adoptiert, um bei ihrem Geschäft zu helfen und dieses zu übernehmen. Ihre Mutter ermutigte Sada, Gesangs- und Shamisen-Stunden zu nehmen, beides Aktivitäten, die zur damaligen Zeit eher mit Geishas und Prostituierten verbunden wurden statt als künstlerische Bemühungen. Geishas wurden gefeiert und Sada vernachlässigte die Schule für die Stunden und trug entsprechendes Make-up.
hr Bruder Shintarō war ein Frauenheld und lief nach seiner Heirat mit dem Geld seiner Eltern davon. Sadas Schwester Teruko hatte mehrere Geliebte, weswegen ihr Vater sie zur Arbeit in ein Bordell schickte – eine damals nicht unübliche Strafe für promiske Frauen – er holte sie jedoch bald wieder zurück. Als die Familienprobleme um beide immer stärker wurden, wurde sie oft allein aus dem Haus geschickt, wo sie sich mit gleichermaßen unabhängigen Jugendlichen umgab.
Mit 15 wurde sie dabei von einem ihrer Bekannten vergewaltigt. Als sie immer unkontrollierbarer wurde, verkauften ihre Eltern sie 1922 an ein Geisha-Haus in Yokohama, in der Hoffnung, ihr einen Platz in der Gesellschaft zu geben, der ihr eine Richtung gab. Abe Toku, Sadas älteste Schwester, bezeugte, dass Sada selbst wünschte, eine Geisha zu werden, während Sada angab, ihr Vater habe sie zur Strafe für ihre Promiskuität dazu gemacht.
Abes Zusammentreffen mit der Welt der Geisha war frustrierend und enttäuschend. Eine Star-Geisha zu werden, verlangte von Kindesbeinen an eine jahrelange Ausbildung in Kunst und Musik. Abe wurde jedoch eine niedrige Geisha, deren Hauptaufgabe Sex war. Sie arbeitete fünf Jahre in diesem Metier, bis sie sich mit Syphilis ansteckte. Da dies bedeutete, sich von nun ebenso wie eine lizenzierte Prostituierte regelmäßig untersuchen lassen zu müssen, entschied sie sich, in diesen besser bezahlten Beruf zu wechseln.
Abe fing an, als Prostituierte in Ōsakas bekanntem Tobita-Rotlichtbezirk zu arbeiten, wo sie für Ärger sorgte: Sie stahl Geld von ihren Klienten und versuchte mehrmals, das Bordell zu verlassen, wurde aber stets von dem gut organisierten legalen Prostitutionssystem aufgespürt. Nach zwei Jahren gelang ihr dann die Flucht und sie fing an, als Kellnerin zu arbeiten. Unzufrieden mit ihrer Entlohnung wurde sie 1932 wieder Prostituierte, diesmal jedoch unlizenziert. Als ihre Mutter im Januar 1933 starb, reiste sie zum Grabbesuch nach Tokio und ging dort der Prostitution nach. Ein Jahr später, im Januar 1934, wurde auch ihr Vater sterbenskrank, und sie pflegte ihn bis zu seinem Tode.
Im Oktober 1934 wurde Abe während einer Polizeidurchsuchung eines unlizenzierten Bordells verhaftet. Kasahara Kinnosuke, ein guter Freund des Bordellbesitzers und einflussreicher Lobbyist der Partei Seiyūkai, sorgte für die Freilassung der Frauen. Da er sich zu Abe hingezogen fühlte und sie keine Schulden hatte, wurde sie seine Geliebte. Kasahara versorgte sie am 20. Dezember 1934 mit einem Haus und Geld. Später sagte er unter Eid: „Sie war eine wirklich starke Frau. Obwohl ich ziemlich abgestumpft bin, erstaunte sie mich. Sie war nicht zufrieden bis wir es zwei-, drei- oder viermal die Nacht taten. Für sie war es inakzeptabel, wenn ich nicht die ganze Nacht lang ihren Intimbereich berührte. Anfangs war es großartig, aber nach ein paar Wochen war ich etwas erschöpft.“ Als Abe wollte, dass er seine Frau verlassen solle, um sie zu heiraten, weigerte er sich. Dann bat sie ihn, sich einen Geliebten suchen zu dürfen, was er ebenfalls ablehnte. Daraufhin endete ihre Beziehung und Abe floh 1935 nach Nagoya.
Abe Sada, ca. 1935
Dort versuchte sie wieder, durch Kellnerei der Prostitution zu entkommen. Sie begann eine Beziehung mit einem Kunden des Restaurants, Ōmiya Gorō, einem Professor und Bankier mit Ambitionen auf einen Sitz im Kokkai. Da ihr Arbeitgeber eine Beziehung mit einem Kunden nicht erlauben würde und gelangweilt von Nagoya, zog sie im Juni nach Tokio zurück. Ōmiya traf dort wieder auf Abe und als er von ihrer Syphiliserkrankung