Kreaturen des Todes - 2. Band. Walter Brendel
in die höchsten Kreise der neu- und «noch immer» reichen Frankfurter Wirtschaftsbosse und sonstigen sogenannten besseren Gesellschaft hinein.
Als «keineswegs besonders attraktiv» wurde sie beschrieben. Rosemarie Nitribitt im Jahr 1955.
Auch die Justiz des neuen Rechtsstaats bekleckerte sich nicht mit Ruhm: 22 Akten, zwei Tonbänder, Bildmaterial, Nitribitts Wohnungsschlüssel, eines ihrer Schamhaare und ihr sagenumwobenes Notizbuch mit angeblich über hundert bekannten Kundennamen verschwanden spurlos und tauchten erst fünfzig Jahre später teilweise wieder auf.
Die Ermittler waren fahrig und fahrlässig; der namhaften Verdächtigen nahmen sie sich fast fürsorglich an - interessierten sich bei Industriellenerbe Gunter Sachs mehr für die Direkteinspritzung seines 300-SL-Flügeltürers als für sein Alibi und fanden das Alibi «Golfunterricht» von Krupp-Erbe Harald von Bohlen und Halbach überzeugender als dessen Fingerabdrücke auf einer angebrochene Flasche Beaujolais in Nitribitts Wohnung. Am Ende verhaftete man einen, der nicht mehr oder weniger verdächtig war, aber wesentlich weniger wichtig und wohlhabend.
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Am 01.11.1957 meldete der Hessische Rundfunk, dass am Nachmittag gegen 17 Uhr das 24jährige Mannequin Rosemarie Nitribitt in ihrer Wohnung in Frankfurt (Main) tot aufgefunden wurde und vermutlich ermordet wurde.
Die Tote brach mir allen Regeln ihrer Zeit und ihre Geschichte sollte den beschaulichen Deutschland der Nachkriegszeit den Atem verschlagen. Maria Rosalia Auguste „Rosemarie“ Nitribitt, wurde am 1. Februar 1933 in Düsseldorf geboren und starb vermutlich am 29. Oktober 1957 in Frankfurt am Main. Sie war eine Prostituierte, die ermordet wurde. Bei den polizeilichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass sie Kontakt zu bedeutenden Persönlichkeiten hatte. Da der Mordfall nicht aufgeklärt werden konnte, kam es zu Vermutungen, dass einflussreiche Kreise aus Wirtschaft und Politik die Aufklärung zu verhindern suchten.
Die zu Lebzeiten als Frankfurter Edelprostituierte bekannte Nitribitt erlangte nach ihrem Tod landesweite Berühmtheit. Rosemarie Nitribitt war vor allem in Frankfurt am Main schon zu Lebzeiten bekannt und nach ihrem Tode erschienen zahlreiche Medienberichte über sie. Dennoch gibt es nur wenige gesicherte Erkenntnisse über ihr Leben.
Als Rosemarie Nitribitt am 1. Februar 1933 in Ratingen bei Düsseldorf kurz nach Hitlers Machtergreifung zur Welt kam, war ihr Vater vor ihrer Geburt abgehauen und ihre 18-jährige Mutter Maria immer noch Putzfrau. Die Behörden des Dritten Reichs stuften Maria als «schwachsinnig» ein.
Rosemarie, wie sie sich später nannte, kam also als nichteheliches Kind zur Welt. Ihren Vater, einen Arbeiter aus Düsseldorf, der später Unterhaltszahlungen ablehnte, lernte Rosemarie vermutlich nie kennen. Sie wuchs, wie ihre beiden Halbschwestern, in ärmlichen Verhältnissen bei ihrer Mutter in Ratingen und Düsseldorf auf.
Rosemaries jüngere Halbschwestern Irmgard und Lieselotte hatten jeweils einen anderen Vater; vernachlässigt wurden alle drei gleichermaßen. So war es gut und richtig, dass das Jugendheim die fünfjährige Rosemarie 1937 «wegen Verwahrlosung» ins Heim steckte. Die Mutter musste mehrere Freiheitsstrafen verbüßen. Rosemarie wurde mehrmals in ein Kinderheim eingewiesen, wo sie als schwer erziehbar galt und mehrfach ausriss.
Im Nachhinein war es ein Glück: Im Frühjahr 1939 kam das Kind zu Pflegeeltern nach Niedermending in der Eifel. Bei dem 69-jährigen Pflegevater Nikolaus Elsen und seiner zwanzig Jahre jüngeren Frau Anna Maria erlebte Rosemarie zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben Liebe und Geborgenheit. Während 1942 die leibliche Mutter mal wieder eine Haftstrafe verbüsste, feierte Rosemarie ihre Erstkommunion. Zeugen dieser kurzen Zeit sagen, Rosemarie sei fröhlich, aufgeweckt und lebhaft gewesen.
1944 vergewaltige ein 18-jähriger Nachbarsjunge die elfjährige Rosemarie. Der Vorfall blieb nicht unbemerkt, aber in dem kleinen Eifeldorf, auch bei den Elsens, schwieg man das Verbrechen tot. Die Tat wurde den Behörden nie bekanntgegeben und der Täter nie zur Rechenschaft gezogen, obwohl man im Dorf wusste, wer es war. Der Junge ging zur Wehrmacht. Rosemarie blieb zwei Wochen der Schule fern und geriet dann auf die schiefe Bahn.
Nichts prägt uns mehr als unsere Kindheit, die Zeit, in der wir arglos und verletzlich sind. Vier behütete Jahre vermochten nicht den Schmerz einer jungen Seele zu heilen, die immer wieder im Stich gelassen wurde. Je härter es das Leben mit Rosemarie meinte, desto härter wurde sie selbst. Sie wurde zur Einzelkämpferin und ab ihrem 12. Lebensjahr verhaltensauffällig.
Kurz nach Kriegsende befreundete Nitribitt sich mit zwei Prostituierten. Mit knapp 13 Jahren bot sie sich zum ersten Mal französischen Besatzungssoldaten an. Mit 14 Jahren hatte sie eine Abtreibung, die fast tödlich endete. Es war Anfang 1947, die Pflegeeltern waren längst überfordert und ließen Rosemarie einmal mehr in ihrem Leben im Stich.
Eine Odyssee durch Erziehungsheime und Verwahranstalten begann, immer wieder schaffte Rosemarie es, abzuhauen. Nachdem die 18-Jährige im Sommer 1951 wegen «Landstreicherei» drei Wochen Jugendstrafanstalt Frankfurt-Preungesheim verbüßt hatte, wollte kein Heim mehr den hoffnungslos renitenten Fall bei sich aufnehmen. Im April 1952 sperrte man die junge Prostituierte für ein Jahr in die berüchtigte Nazi-Arbeitsanstalt Brauweiler und ließ sie Tüten kleben. Das saß Rosemarie Nitribitt also in der Ära Adenauer am selben Ort, an dem in der Ära Hitler Konrad Adenauer eingesessen hatte.
Schon als Heranwachsende verdiente sie ihr erstes Geld mit Prostitution. Später zog sie nach Koblenz, anschließend nach Frankfurt am Main, wo sie – immer noch minderjährig – als Kellnerin und Mannequin arbeitete, bald aber wieder als Prostituierte. Sie wurde aufgegriffen und erneut in ein Erziehungsheim eingewiesen, aus dem sie bald wieder ausriss. Von April 1952 bis April 1953 saß Rosemarie Nitribitt in der „Rheinischen Landes-Arbeitsanstalt Brauweiler“ in der Abtei Brauweiler bei Pulheim ein. Da sie als schwerer Fall galt, wurde sie vorzeitig (d. h. vor dem 21. Lebensjahr) für volljährig erklärt, damit sie entlassen werden konnte.
Sie gab sich große Mühe, ihre einfache Herkunft zu verbergen. Um in Gesellschaft nicht durch mangelnde Bildung und fehlende Weltbürgerlichkeit aufzufallen, lernte sie Englisch, Französisch und belegte Kurse für „gutes Benehmen“. Ein Freier schenkte ihr 1954 einen Opel Kapitän, damals ein außergewöhnlicher Besitz für eine Frau Anfang 20. Andere Freier luden sie in den Urlaub ans Mittelmeer ein.
Hinterlassenen persönlichen Aufzeichnungen zufolge und nach Recherchen der Frankfurter Kriminalpolizei erwirtschaftete Nitribitt in ihrem letzten Lebensjahr ein unversteuertes Einkommen von etwa 90.000 DM. Bereits Mitte 1956 erwarb sie den berühmten schwarzen Mercedes-Benz 190 SL mit roten Ledersitzen, mit dem sie in Frankfurt sehr viel Aufsehen erregte und der ihr Markenzeichen wurde. Der Verbleib des Mercedes ist unklar.
Am 1. November 1957 wurde Nitribitt mit einer Platzwunde am Kopf und Würgemalen am Hals tot in ihrer Wohnung in Frankfurt am Main in der Stiftstraße 36 am Eschenheimer Turm aufgefunden. Laut Obduktion war ihr Tod zwanzig bis dreißig Stunden vorher eingetreten.
Nitribitt wurde auf dem Nordfriedhof in Düsseldorf beigesetzt. Ihr Kopf wurde zuvor abgetrennt und von der Frankfurter Staatsanwaltschaft als mögliches Beweismittel zurückgehalten. Er wurde später der Frankfurter Polizei als Lehrmittel für die Kommissarsausbildung übergeben und im Kriminalmuseum Frankfurt ausgestellt. Nach 50 Jahren, im Dezember 2007, gab die Staatsanwaltschaft den Schädel Nitribitts frei. Er wurde am 10. Februar 2008 in ihrem Grab auf dem Nordfriedhof beigesetzt; Spender finanzierten eine Verlängerung der Nutzungsdauer.
Die Beamten ermittelten gegen einige, zum Teil prominente Verdächtige, darunter waren Angehörige der Familie Krupp (Harald von Bohlen und Halbach), Harald Quandt, Ernst Wilhelm Sachs sowie sein jüngerer Bruder Gunter Sachs. Hingegen lassen sich in Film und Fernsehen immer wieder kolportierte Gerüchte über hochrangige Kunden Nitribitts aus dem Bonner Politikbetrieb, wonach neben dem damaligen Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm auch der spätere Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger auf der Besucherliste der Prostituierten gestanden hätte, anhand der einschlägigen Zeugenaussagen und Vernehmungsprotokolle nicht belegen.
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