DSA 109: Hjaldinger-Saga 3 - Eis. Daniel Jödemann
er lange gewartet hatte. Er straffte sich und wies mit der Axt auf die Neuankömmlinge. »Das ist schon besser. Endlich nehmt ihr mich ernst.«
Der Tighror in der Mitte der Dreiergruppe hob seine Schwertlanze. Ein mächtiger Backenbart zierte seine Wangen, also schien es sich wohl um einen Mann zu handeln – auch wenn Xelias das nicht mit Sicherheit sagen konnte. Er fletschte die Zähne. Muskeln, so dick wie Schiffstaue, spannten sich unter seinem schwarzgelben Fell.
»Wir können hier nicht bleiben«, setzte Xelias leise an, doch Firnvild winkte energisch ab.
Ullbjern hob die Doppelaxt, sodass der Tighror sie besser sehen konnte. »Dies ist die Klinge, die Uskur, den Löwenhäuptigen erschlug. Die Waffe, die das Volk der Hjaldinger von Unterdrückung und Knechtschaft befreite. Sie trinkt noch mehr Tyrannenblut, ehe ich den Weg in die nächste Welt antrete! Dein Fell wird mir als Umhang dienen, wenn ich in Hraiwagard einziehe, deine Knochen werde ich als Trophäe vorzeigen!«
Firnvild unterdrückte einen entsetzten Laut. Faravid warf ihr einen warnenden Blick zu.
Der Anführer der Tighrir warf sich gedankenschnell nach vorne, seine beiden Begleiter folgten ihm. Mit wenigen Sätzen erreichten sie die fünf letzten Krieger rund um den Hersir. Ein Hjaldinger wich gewandt einer Schwertlanze aus. Ein anderer wurde mit Urgewalt davon geschleudert und schlug ein Stück weit entfernt auf. Serkaz hob seine Axt und stellte den Anführer der Tighrir. Dieser parierte flink seinen Hieb und wischte ihn geradezu lässig mit der Pranke beiseite.
»Groa!«, schrie Ullbjern den Tigramaniz den Namen seiner Sippe entgegen und hob erneut die Axt. »Groa!«
»Vater«, presste Firnvild mühsam hervor und zog sich an der Hauswand empor. »Wir müssen ihm helfen.«
»Nein!« Xelias packte hastig ihren Arm. »Diesen Kampf können wir nicht gewinnen! Selbst Ullbjern nicht!«
Sie schüttelte seine Hand ab, ihre grünen Augen sprühten Funken. »Teigherz!«, schleuderte sie ihm entgegen. »Lauf zurück zu deiner Imperi-Mutter und versteck dich hinter ihrer Schürze, wenn du Angst hast!«
Laujakweldiz kam erneut herab. Der Tighror wich zur Seite aus und lenkte sofort die Schwertlanze gegen seinen Gegner. Sie fuhr über Ullbjerns Bein. Der Hersir stieß einen Schmerzensschrei aus, packte aber geistesgegenwärtig nach dem Schaft der Lanze. Mit der anderen Hand ließ er die schwere Doppelaxt auf den Tighror herabfahren. Die Klinge drang tief in dessen Brust.
Die zwei anderen Tigramaniz kamen auf die verbliebenen Verteidiger der Halle herab wie die Sense auf überreifes Korn. Die umstehenden Myrmidonen beobachteten reglos, wie die Tigergardisten die Hjaldinger niedermachten. Einer hob unter triumphierendem Brüllen einen abgetrennten Kopf empor, von dem Blut herabrann.
Xelias packte Firnvilds Arm, gerade als die junge Hersirstochter den Schatten des Langhauses verließ. »Nein!«
Sie setzte zu einer zornigen Erwiderung an, dann erstarrte sie.
Der Anführer der Tighrirgarde trieb Ullbjern mit einem Prankenhieb zurück zu den Toren der Halle. Krallen, so lang wie Dolche, fuhren über die Brust des Hersirs der Groa-Sippe. Blut schoss aus den Wunden hervor.
Das Feuer tauchte Ullbjerns Gesicht in rotes Licht. Er fand sich mit dem Rücken gegen das Tor wieder. Sein Schmerzensschrei ging im Fauchen der Flammen unter, die sein Langhaus gierig auffraßen.
Der Tighror holte mit der Lanze aus.
Firnvild stieß einen langgezogenen Schrei aus, der von Wut und Trauer und Entsetzen kündete.
Ein Kommando gellte durch die Nacht. Die Myrmidonen wandten sich zu ihnen um.
Ullbjern senkte den Blick, sah auf den Schaft der Schwertlanze. Sie hatte seinen Körper durchdrungen und steckte auf der anderen Seite in dem mit goldenen Knotenbändern verzierten Türblatt des Langhauses. Laujakweldiz, die Waffe Havars, mit der er einst den löwenhäuptigen Uskur erschlug, fiel dumpf zu Boden.
Der Hersir der Groa-Sippe tastete mit zitternden Händen nach der Lanze, doch das Leben rann nun mit jedem Herzschlag aus ihm heraus. Sein Blick traf den seiner Tochter. Er bewegte die Lippen. Blut quoll hervor.
Die Myrmidonen setzten sich in Bewegung.
Firnvild riss sich von Xelias los und hob den Speer. Mit einem wütenden Schrei rannte sie den Imperja entgegen. Wrekar überholte sie mit weiten Sätzen und stürzte sich mit heiserem Bellen auf die gepanzerten Krieger.
»Xelias!« Faravid schloss zu ihm auf. »Wir sitzen in der Falle!«
Alarmiert wandte er sich um.
Myrmidonen traten auch zwischen den brennenden Langhäusern hervor und hielten langsam auf sie zu.
Die Tore von Ullbjerns Halle stürzten um und rissen den Hersir mit sich zu Boden. Das Feuer loderte hell und gierig in den Himmel. Der Anführer der Tighrir stand reglos vor dem Inferno, ein dunkler Umriss vor dem Flammen, und blickte auf Ullbjerns Leichnam hinab.
Die Myrmidonen drangen auf Faravid und Xelias ein.
Xelias hob seine Axt. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Dann waren die gepanzerten Krieger heran.
***
Als Erstes verspürte er Schmerzen. Dann kam Verwunderung darüber, dass er überhaupt etwas spüren konnte.
Wie aus weiter Ferne drangen Worte zu ihm durch. »… am Leben?«
Xelias zwang sich, die Augen zu öffnen. Alles drehte sich um ihn herum. Bin ich in Hraiwagard? Warum empfinde ich dann Schmerz? Bin ich etwa ein Draugar? Empfinden Wiedergänger Schmerz?
Etwas Feuchtes, Raues fuhr ihm durch das Gesicht. Schlagartig fand er zu sich. Er hustete und krümmte sich.
Wrekar, der Vargaz, winselte leise. Seine Lefzen stanken nach Blut, in seinen Augen spiegelte sich Feuerschein wider.
»Ich fragte, bist du noch am Leben?«
Er wandte den Kopf. Eine hoch aufragende Gestalt blickte auf ihn herab. Kleine graue Augen musterten ihn. Sie lagen im Schatten einer bleich glänzenden Halbmaske aus Knochen, in die ein drittes Auge aus irisierendem Opal eingelassen war.
Kalter Schreck durchzuckte ihn. Ein Optimat! »Verzeihung, ich wollte nicht …« Xelias blinzelte und richtete sich etwas auf. Erneut zog Schmerz durch seinen Schädel. Er fasste sich an den Hinterkopf und stieß auf warmes Blut.
Der hagere Mann, zu dem die grauen Augen und die Triopta gehörten, trat näher. Er ignorierte das warnende Grollen des Vargaz, ergriff Xelias ohne viel Federlesens am Arm und zog ihn auf die Beine.
Xelias gab einen Schmerzenslaut von sich und packte ganz unzeremoniell das Gewand des Optimaten, um nicht sogleich wieder zu Boden zu stürzen. Der Schwindel erfasste ihn und eine aggressive Übelkeit stieg in ihm auf. Er sog die Luft in seine Lungen. Es roch nach Blut, Schwelbrand und verkohltem Fleisch.
Der Optimat war nicht allein – fünf weitere Gestalten in langen Roben umstanden ihn. Dunkelheit umgab sie, auch wenn in der Ferne Feuersbrünste loderten. Die Flammen erhellten die Nacht und reckten sich dem Nachthimmel entgegen.
Xelias wurde bewusst, dass er den Mann immer noch berührte. Hastig zog er die Hand zurück und senkte den Blick. »Entschuldigung, ich …«
»Es ist nicht Zeit für Reden«, fuhr ihm der Angesprochene harsch ins Wort. »Wer bist du?« Er beherrschte Hjaldingsch mehr schlecht als recht, mit einem gestelzten Akzent. »Dein Name?«
»Ich spreche Eure Sprache, Exzellenz«, presste Xelias in Imperial hervor. »Mein Name ist Xelias.« Er stockte. Wenn der Zauberer erfährt, dass ich gar kein echter Hjaldinger bin, sondern nur ein Gassenjunge aus Trivina, was dann? »Arnarssun«, ergänzte er rasch. »Xelias Arnarssun.«
»Du sprichst unsere Sprache sehr gut – für einen Sohn Hjaldingards.« Der Optimat nickte. »Palomelios te Aldangara.« Er hatte sein langes graues Haar im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden. In der Rechten hielt er einen verzierten, klobigen Stab, der bleich in der Dunkelheit schimmerte.