Leben nach der DDR. Klaus Behling

Leben nach der DDR - Klaus Behling


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      Klaus Behling

      Leben nach der DDR

      Was die Wende dem Osten brachte

      Bild und Heimat

      eISBN 978-3-95958-792-1

      1. Auflage

      © by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin

      Umschlaggestaltung: BEBUG mbH, Berlin

      Umschlagabbildung: La marcha de la juventud hacia el futuro (Der Marsch der Jugend in die Zukunft, 1974)

      von Josep Renau: © Fundació Josep Renau, València

      Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

      BEBUG mbH / Verlag Bild und Heimat

      Axel-Springer-Str. 52

      10969 Berlin

      Tel. 030 / 206 109 – 0

      www.bild-und-heimat.de

      Eine Frage vorab

      Warum ist die Mauer nicht vergessen?

      Die Berliner Mauer ist »gefallen«. Am 10. November 1989 – nach der Grenz­öffnung am Vortag – wird sie von den Menschenmassen bestürmt. (picture alliance/ dpa-Zentralbild / Mathias Brauner)

      Dreißig Jahre deutsche Einheit wird mit einer Besinnlichkeit gefeiert, die an die Weihnachtsfeste der Kindheit erinnert. Niemand glaubte mehr an den Weihnachtsmann, dennoch war er es, der angeblich die Geschenke brachte. Wer wollte es da riskieren, das anzuzweifeln? Positives wird gern als selbstverständlich genommen und dann nach dem Haar in der Suppe gesucht. Es ist der Katalysator, der das Gute besonders macht.

      Mit der Einheit ist es ähnlich. »Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört«, hatte Willy Brandt mit der Autorität eines weisen alten Staatsmanns verkündet. Wie lange das dauern würde, sagte er nicht. Auch das war weise. Eigentlich lag es auf der Hand. Nach vierzig Jahren Trennung erkennen sich selbst Geschwister nicht so einfach wieder, und dass sie sich danach sehr schnell kennenlernen, erwartet niemand. Sie schaffen es aber, wenn sie miteinander reden.

      Genau das gehört heute zu den Forderungen der Einheitsbesinnlichkeit. Man müsse mehr miteinander reden, sich die Biografien anhören, und der Westen solle gefälligst endlich einmal anerkennen, dass der Osten eine »riesige Transformationsleistung« erbracht habe.

      Das ist eine reichlich verspätete Aufforderung. Wer das bis jetzt nicht getan hat, dürfte sich kaum dafür interessieren. Und es muss ja auch nicht sein. Kein ostfriesischer Fischer fährt ins Erzgebirge, um vom Bauern zu erfahren, ob das Fahren mit dem Traktor am Hang nicht ziemlich kompliziert ist. Nach Bayern zieht es ihn deshalb schon gar nicht, und der Almbauer interessiert sich auch nicht besonders dafür, ob man bei der Arbeit am Autofließband genügend frische Luft einatmet.

      Es ist eine etwas scheinheilige Debatte, in der »die Heimat« zum Kampfbegriff geworden ist. Ebenso erstaunt wird konstatiert, dass sie sich in Ost und West anders anfühlt, wie das Gleiche zwischen Nord und Süd übersehen wird. Das »Was wäre, wenn …« beherrscht den öffentlichen Diskurs, manches Sägemehl wird noch einmal gemahlen.

      Vielleicht hängt das alles mit offen gebliebenen Fragen zusammen. Über manches wollte schon damals, Anfang der 1990er Jahre, kaum jemand sprechen. Fragen tragen immer auch den Keim von Skepsis in sich. Manche verstehen sie als Jammern. Anderes brauchte eine Weile, um überhaupt erst erkannt zu werden, und einiges ließ sich schwer erklären und mit Schweigen scheinbar am leichtesten bewältigen. Letztlich klappte alles nicht, die Fragen blieben.

      Danach, was die Ostdeutschen in der wildesten Zeit ihres Lebens bewegte, wird hier gefragt. Das war für jeden ein sehr individueller Prozess, und mancher kam am besten damit klar, erst gar keine Fragen zu stellen. Andere wollten keine Antworten bekommen. Für jene, die sich zwischen diesen Polen bewegten, ist dieses Buch gedacht. Als Angebot und Hilfe beim Erinnern.

      Berlin, in der Nacht vom 9. zum 10. November 1989 nach der Öffnung der DDR-­Grenzen nach Westen. Berliner aus beiden Teilen der Stadt »erobern« die Mauer am Brandenburger Tor. (picture alliance / akg-images)

      1 – Abgesang & Neuanfang

      (picture alliance / dpa – Bildarchiv / dpa)

      Wann endete die DDR?

      In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 hat sich vor dem Brandenburger Tor in Ost und West eine riesige Menschenmenge zusammengefunden, um die Deutsche Einheit feierlich zu begehen. (picture alliance / dpa – Bildarchiv / dpa)

      Die Frage nach dem Ende der DDR zu stellen, provoziert den Vorwurf, nicht einmal den Kalender zu kennen. Ist doch klar: Der 3. Oktober ist dort vermerkt, Punkt 0.00 Uhr kam die sechzig Quadratmeter große schwarz-rot-goldene Fahne an der Spitze des 28,5 Meter hohen Mastes vor dem Westeingang des Reichstags an. Bis dahin brauchte sie genau zwei Minuten.

      Schon weniger bekannt ist, dass diese Fahne auf dem »Platz der Republik«, umrundet von der im Sockel eingelassenen Inschrift: »DEUTSCHE EINHEIT 3. OKTOBER 1990«, einen besonderen Charakter hat. Das Internetlexikon Wikipedia berichtet im Artikel »Fahne der Einheit«: »Die Fahne der Einheit, Flagge der Einheit bzw. Einheitsflagge ist ein nationales Denkmal zur Wiedervereinigung in Gestalt der Deutschen Bundesflagge.«

      Das ist nicht besonders exakt formuliert. Eine »Wiedervereinigung« hat es nicht gegeben, denn es existierte kein Staat, der aus der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bestand. Deshalb heißt der Nationalfeiertag auch »Tag der Deutschen Einheit«. Einen Feier-»Tag der deutschen Einheit« – mit kleinem »d« geschrieben – gab es von 1954 bis 1990 auch schon in der Bundesrepublik. Er sollte an den DDR-Volksaufstand vom 17. Juni 1953 erinnern, was inzwischen jedoch viele vergessen hatten.

      Vor dem Berliner Reichstagsgebäude hissen junge Sportler in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 um 23.58 Uhr die deutsche Flagge als Zeichen der wiedergewonnenen Deutschen Einheit, die um 0.00 Uhr eine neue Zeit einläutet. (picture alliance / dpa –

      Fotoreport / Roland Holschneider)

      Wer heute ganz genau sein möchte, nennt das Ereignis von 1990 »Herstellung der Einheit Deutschlands«. Aber auch dreißig Jahre danach pflegen manche lieber ihren alten Klassenkämpferzorn und sprechen von der »Annexion« der DDR. Die hat es allerdings ebenso wenig gegeben wie die Wiedervereinigung, denn die Bundesrepublik marschierte nicht im Osten ein, sondern die DDR trat ihr bei. Dazu bedurfte es ihres Endes – doch wann war das nun eigentlich genau?

      17. Juni 1953, Volksaufstand in der DDR: An der Sektorengrenze in Berlin Friedrichstraße/Ecke Zimmerstraße sind auf der Ostberliner Seite sowjetische Panzer aufgefahren. Westberliner verfolgen die Vorgänge am Grenzübergang Checkpoint Charly. (picture alliance / akg-images)

      17. Juni 1990, »Tag der deutschen Einheit«: Schaulustige und Polizisten haben sich vor dem Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Berlin versammelt. Wenige Wochen vor dem Beitritt der DDR zur BRD gedenken in einer Veranstaltung erstmals gemeinsam Politiker aus beiden deutschen Staaten dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953. (picture alliance / dpa – Report / ZB / Peter Kroh)

      Über den faktischen Schlusspunkt informierten die Fernsehnachrichten am 1. Juli 1990: »Mit der Einführung einer gemeinsamen Währung und der Aufhebung der Grenzkontrollen ist die Einheit Deutschlands seit heute, null Uhr, praktisch vollzogen. Der Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Sozial- und


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