Leben nach der DDR. Klaus Behling

Leben nach der DDR - Klaus Behling


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entsprach dem Willen der Mehrheit des DDR-Volkes, ausgedrückt bei den Wahlen am 18. März 1990. Nur die Herstellung der deutschen Einheit durch ein parlamentarisch geregeltes Ende der DDR stand noch aus. Sie war die Hauptaufgabe der neuen Regierung unter Führung des CDU-Politikers Lothar de Maizière.

      Bundeskanzler Helmut Kohl (Mitte) am 20. Februar 1990 auf dem Erfurter Domplatz: Bei einer Wahlkampfveranstaltung der Allianz für Deutschland, bestehend aus Ost-CDU, Deutscher Sozialer Union (DSU) und Demokratischem Aufbruch (DA), jubeln 130.000 DDR-Bürger dem »Kanzler der Einheit« zu. (picture alliance / dpa – Bildarchiv / Heinz Wieseler)

      Nach der am 1. Dezember 1989 vollzogenen Streichung des Führungsanspruchs der SED aus der Verfassung der DDR fanden am 18. März 1990 freie Wahlen zur Volkskammer der DDR statt. Der Vorsitzende der Ost-CDU, Lothar de Maizière, freut sich am Abend über den Wahlsieg der Allianz für Deutschland. (picture alliance / dpa – Bildarchiv / Thomas Wattenberg)

      Der erste rechtlich verbindliche Schritt bestand jedoch im ersten Staatsvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten über die Bildung einer »Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion«. Bundeskanzler Helmut Kohl sprach bei der Vertragsunterzeichnung am 18. Mai 1990 von der »Geburtsstunde des freien und einigen Deutschland«.

      Um das gemeinsame Wirtschaften ging es eher weniger. Dabei hatte die DDR nicht viel zu bieten. Das »richtige Geld« stand im Mittelpunkt, und schon am gleichen Tag drehte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière den Vertragstitel um: »Es beginnt die tatsächliche Verwirklichung der Einheit Deutschlands. Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion macht den Einigungsprozess unumkehrbar.« Dass dafür das Geld das politische Fundament schuf, war auch dem für die DDR unterzeichnenden Finanzminister Walter Romberg (SPD) klar. Er erinnerte sich: »Mit der Einführung der DM hatten wir faktisch unsere Souveränität aufgegeben.«

      Ein souveräner Staat kann alle äußeren und inneren Angelegenheiten selbst entscheiden. Das war nun nicht mehr der Fall. Trotzdem gab es die DDR noch. Über den genauen Zeitpunkt ihres offiziellen Endes entschied die Volkskammer in den frühen Morgenstunden des 23. August 1990. Lothar de Maizière hatte dazu eine Sondersitzung einberufen: »Es ist verhandelt worden bis tief in die Nacht, um 2.57 Uhr oder so was war dann die Entscheidung gefällt: Wir treten dem Geltungsbereich des Grundgesetzes mit Wirkung vom 3. Oktober, null Uhr, bei. Und dann war der Beschluss falsch formuliert: ›Die Volkskammer beschließt den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes mit Datum vom 3. Oktober!‹ Und jetzt kommt der Witz: Gregor Gysi kam danach und sagte: ›Der Beschluss ist falsch und muss heißen: Die Volkskammer beschließt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes, denn sonst wäre ja nur die Volkskammer beigetreten, nicht das Volk der DDR.‹«

      Reinhard Höppner (SPD), der als Vizepräsident der Volkskammer die damalige Sitzung leitete, bestätigte: »Wenn man jetzt die Protokolle liest, dort steht ordentlich drin, dass der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes beschlossen worden ist. Wir haben das im Protokoll korrigiert, aber beschlossen haben wir es nicht.«

      Im Rückblick illustriert dies alles nur das 1990 herrschende politische Chaos. Doch auch dieser 23. August war einer der Schlussstrich-Termine für das Ende der DDR. Darauf machte ebenfalls Gregor Gysi, damals Vorsitzender der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), in der Volkskammer aufmerksam: »Das waren fünf oder sechs Sätze, mehr waren es wirklich nicht. Ist ja auch nicht gerade typisch für mich, aber damals war es so. Und dann fing ich mit dem Satz an: ›Sie haben soeben nicht mehr und nicht weniger beschlossen als den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik …‹ Weiter kam ich nicht. Dann tobte die Union …«

      Die damalige CDU-Ministerin für Jugend und Sport, Cordula Schubert, und die Mehrzahl der Parlamentarier verstanden das als Endpunkt: »Nach der Abstimmung ist Gysi an das Mikrofon gegangen und hat gesagt: ›Wir haben soeben das Ende der DDR beschlossen.‹ (…) Es war eine unwahrscheinliche Erleichterung. Das, was man wollte, war nun greifbar nah.«

      Es ist durchaus üblich, einen Beschluss als Fixpunkt eines politischen Prozesses zu benennen. Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz in Kraft gesetzt, es galt zunächst nur für die Westzonen. Dieses Datum bestimmt heute den Gründungstag der Bundesrepublik, blieb aber umstritten. Manche meinen, dass der Staat erst mit der Konstituierung des ersten Deutschen Bundestages am 7. September 1949 oder gar mit dem Amtsantritt des ersten Kabinetts Konrad Adenauers am 20. September 1949 zu existieren begann.

      Auch in der späteren DDR stand ein Beschluss am Anfang. Am 7. Oktober 1949 erklärte sich der Zweite Deutsche Volksrat der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zur »Provisorischen Volkskammer« und setzte die Verfassung in Kraft. Damit war die Gründung der DDR vollzogen. Der Tag wurde mit einem Fackelzug gefeiert.

      Die einseitige Erklärung der Sowjetunion zur Souveränität der DDR vom 25. März 1954 und das Inkrafttreten der Pariser Verträge vom 5. Mai 1955 in der Bundesrepublik fand in beiden deutschen Staaten wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Außerdem blieben Vorbehaltsrechte der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs bestehen. Sie waren bei der Herstellung der deutschen Einheit 1990 zu beachten. Überdies stand Berlin unter der Kontrolle der früheren Alliierten. Deshalb reichte der Wille zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht aus. International geklärt werden musste die Bündnisfrage eines künftigen, einigen Deutschlands, die Endgültigkeit der deutschen Grenzen und der Interessenausgleich mit der Sowjetunion.

      Voraussetzung für das völkerrechtliche Inkrafttreten des Einigungsvertrags war deshalb der Abschluss des »Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland« (»Zwei-plus-Vier-Vertrag«), in dem die vier Siegermächte auf ihre Vorbehaltsrechte verzichteten. Damit ersetzte er den bislang ausstehenden Friedensvertrag nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Vertrag wurde am 12. September 1990 in Moskau unterzeichnet.

      Dem studierten Juristen Lothar de Maizière fiel dabei ein heute völlig vergessenes Detail auf: »Ich habe nach der Unterzeichnung in Moskau Herrn Genscher gefragt, ob er wisse, was er da eben getan habe: ›Sie haben soeben die DDR völkerrechtlich anerkannt! Sie haben mit der DDR einen völkerrechtlichen Vertrag unterschrieben, und das können nur Vertragsvölkerrechtsobjekte.‹ Das fand er ganz merkwürdig, aber so war es. Insofern ist die DDR auf ihren letzten Metern doch noch völkerrechtlich von der Bundesrepublik anerkannt worden. Wenn auch indirekt.«

      Der »Zwei-plus-Vier-Vertrag« trat am 15. März 1991 mit der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde in Kraft. Von diesem Zeitpunkt an war das nun geeinte Deutschland frei von alliierten Vorbehaltsrechten. Eigentlich war dieser, heute völlig unbeachtete Tag das endgültige Ende des Zweiten Weltkriegs und der Beginn eines souveränen Deutschlands. Er verband sich mit dem Ende der bisherigen Bundesrepublik ebenso wie mit dem der DDR.

      Moskau, 12. September 1990. Die Unterzeichnung des »Zwei-plus-Vier-Vertrags« durch die Außenminister der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs und des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR sowie des Außenministers der BRD: v. l. n. r.: James Baker (USA), Douglas Hurd (Großbritannien), Eduard Schewardnadse (UdSSR), Roland Dumas (Frankreich), Lothar de Maizière (DDR) und Hans-Dietrich Genscher (BRD). (picture alliance / dpa /Thomas Uhlemann)

      War Gorbatschow ein Verräter?

      Nach dem Sieg über den Faschismus am 8. Mai 1945 begann die Sowjetunion, ihren Machtbereich über ganz Osteuropa auszuweiten. Das ging nicht ohne Widerstände. Brachen sie aus, rollten sowjetische Panzer an und walzten sie nieder. Das war 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der damaligen Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) der Fall. Danach nannte man diese Politik im Westen »Breschnew-Doktrin«: Lief es irgendwo im Ostblock nicht nach den Moskauer Vorstellungen, wurde Gewalt eingesetzt. Als Michail Gorbatschow im März 1985 an die Macht kam, verkündete er an seinem ersten Amtstag, damit Schluss machen zu wollen. Das nahm niemand sonderlich ernst. Dennoch hatte die Entwicklung freier Gewerkschaften in Polen bereits gezeigt, dass es genau so gemeint war. Als 1989 dann die DDR-Bürger auf die Straße


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