Leben nach der DDR. Klaus Behling
demokratischen Wahlen hervorgegangene Parlament dieses Landes gab den Freibrief für die Totalenteignung seiner Bürgerinnen und Bürger.«
Die nun gewählte Koalitionsregierung unter Führung der CDU änderte mehrfach das Treuhandgesetz, so dass schließlich die Finanzierung des Wirtschaftsumbaus mit dem verbliebenen »Volkseigentum« im Mittelpunkt stand. Trotzdem wurde noch eine nachträgliche Aufbesserung des Umtauschs der DDR-Sparguthaben erörtert. Ministerpräsident Lothar de Maizière erinnerte sich an eine Bemerkung seines Bonner Beraters Fritz Holzwarth dazu: »Als diese Passage in der Volkskammer diskutiert wurde, befand ich mich … in meinem Büro … Er sagte zu mir, ich solle diesen Quatsch unterbrechen, da die Treuhandanstalt doch nie ein positives Ergebnis erzielen würde, geschweige denn ein solches, das eine nachträgliche Umstellung von Sparguthaben erlauben würde. Ich habe damals Fritz Holzwarth etwas zynisch geantwortet, dass ich den Abgeordneten diese Diskussion lassen wolle. Zumal wir bei der Beendigung der Tätigkeit der Treuhandanstalt ohnehin nicht mehr verantwortlich sein würden.«
Für die DDR-Bürger war der schöne Traum vom großen Geld zur Kannbestimmung geworden. Das Gesetz machte es aber immerhin noch möglich, »dass nach einer Bestandsaufnahme des volkseigenen Vermögens und seiner Ertragsfähigkeit sowie nach seiner vorrangigen Nutzung für Strukturanpassung der Wirtschaft und die Sanierung des Staatshaushaltes den Sparern zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Währungsumstellung am 2. Juli 1990 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht an volkseigenem Vermögen eingeräumt werden kann«. Diese Verheißung wurde später durch das »Gesetz zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt« vom 9. August 1994 wieder aufgehoben.
Weshalb wurde ein »Einigungsvertrag« geschlossen?
Sechs Tage nach Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der DDR und der Bundesrepublik, am 6. Juli 1990, landete Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mit einer Bundeswehrmaschine in Berlin-Schönefeld. Zu Beginn der Gespräche teilte ihm Ministerpräsident Lothar de Maizière nach seiner Erinnerung mit: »Die DDR sei bereit und entschlossen, die staatliche Einheit nach über vierzig Jahren der Teilung durch einen Beitritt zur Bundesrepublik und zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gemäß Artikel 23 zu vollenden …« Das entsprach Wolfgang Schäubles Erwartungen. Erste Vorstellungen darüber, wie das alles in der Praxis ablaufen sollte, hatte er bereits am 29. Mai 1990 mit DDR-Staatssekretär Günther Krause ausgetauscht.
Der Artikel 23 des Grundgesetzes galt seit 23. Mai 1949 und nannte die Bundesländer, in denen das Gesetz in Kraft trat. Laut Präambel galt es jedoch »für das gesamte Deutsche Volk«. Darunter verstand man alle Deutschen, die in den Grenzen des Deutschen Reichs von 1937 lebten. Für sie sah das Grundgesetz vor: »In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.«
Es gab aber auch einen weiteren Weg zur deutschen Einheit. Er stand im Artikel 146: »Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.«
Mit 48,15 Prozent der abgegebenen Stimmen hatte am 18. März 1990 das Wahlbündnis »Allianz für Deutschland«, bestehend aus der ehemaligen »Blockpartei« CDU, der Deutschen Sozialen Union (DSU) und dem Demokratischen Aufbruch (DA), die Wahl gewonnen. Es trat für eine schnelle Vereinigung und die Wiederherstellung der Länder im Osten ein. Ministerpräsident Lothar de Maizière: »Wir hatten schon in der Koalitionsverhandlung gesagt, dass wir den Weg über den Artikel 23 gehen, aber nicht ohne Bedingungen. Nach der Wahl habe ich auch gesagt: ›Die Frage des Ob ist entschieden, die Frage des Wie, da werden wir noch ein gewichtiges Wörtchen mitzusprechen haben!‹«
Das wollte er mit seinem Gespräch mit Wolfgang Schäuble am 6. Juli 1990 beginnen. Der Westpolitiker erinnerte sich: »Die DDR habe den Wunsch, so fuhr de Maizière fort, über die Voraussetzungen des Beitritts ein Abkommen zu schließen, das nicht lapidar Zweiter Staatsvertrag, sondern ›Einigungsvertrag‹ genannt werden sollte. Die Verhandlungsthemen müssten breit gespannt sein, gelte es doch, eine Balance herzustellen zwischen dem, was auf beiden Seiten in den vier Jahrzehnten der Teilung unterschiedlich gewachsen sei.«
Das scheinbar angemessene Wort »Einigungsvertrag« erfand der damalige Regierungssprecher Matthias Gehler. Erst später kamen ihm Bedenken: »Ich ärgere mich noch heute darüber, denn es ist ein Unwort! Bei jedem Vertrag einigt man sich. Eigentlich, wenn man es genau nimmt, müsste es ›Vereinigungsvertrag‹ heißen.«
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble machte gleich zu Anfang klar, dass jegliche Verhandlungen darüber ein Entgegenkommen des Westens sei: »Wir brauchen keinen Vertrag, der Beitritt kann einfach erklärt werden. Da aber die DDR einen Vertrag wünscht, sind wir bereit, darauf einzugehen … Ich erklärte mich einverstanden, von unserem Arbeitstitel ›Zweiter Staatsvertrag‹ abzugehen und fortan allein den Begriff ›Einigungsvertrag‹ zu verwenden. Der DDR-Seite war sehr daran gelegen, dieses Abkommen nicht als etwas Zweitrangiges erscheinen zu lassen, verglichen mit dem Staatsvertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion.«
DDR-Unterhändler Günther Krause kennt den allerersten Vorschlag dazu: »Der Vertragsentwurf der DDR, der in der ersten Verhandlungsrunde übergeben worden ist, hat natürlich viele symbolische Fakten gehabt … Dass wir den ersten Vertragsentwurf vorgelegt haben, hat dem Wolfgang Schäuble an dem Verhandlungstag überhaupt nicht gefallen.«
Dass der Verhandlungsrahmen des Ostens ohnehin von vornherein begrenzt blieb, bestätigte der Bundesinnenminister: »Meine stehende Rede war: ›Liebe Leute, es handelt sich um einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, nicht um die umgekehrte Veranstaltung. Wir haben ein gutes Grundgesetz, das sich bewährt hat. Wir tun alles für euch. Ihr seid herzlich willkommen. Wir wollen nicht kaltschnäuzig über eure Wünsche und Interessen hinweggehen. Aber hier findet nicht die Vereinigung zweier gleicher Staaten statt. Wir fangen nicht ganz von vorn bei gleichberechtigten Ausgangspositionen an.‹«
Trotzdem erkannten beide Seiten, dass solch ein Vertrag geeignet sei, um einige grundlegende Probleme zu regeln. Sie betrafen die Übertragung des Grundgesetzes auf die dann nicht mehr existierende DDR, die Bildung der neuen Länder und die gemeinsame Auffassung, Berlin als deutsche Hauptstadt vorzuschlagen. Außerdem waren die Übernahme des DDR-Vermögens und die Haftung für die DDR-Staatsschulden wichtig. Alle Einzelheiten wurden in umfangreichen Anlagen zu den verschiedenen Sachgebieten geregelt.
Die Verhandlungen über den »Einigungsvertrag« zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Vorn rechts sitzt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, Verhandlungsführer der BRD, und auf der gegenüberliegenden Seite Günther Krause, Parlamentarischer Staatssekretär beim Ministerpräsidenten und Verhandlungsführer der DDR. (picture alliance / ullstein bild /Gisbert Paech)
Mit dem Plan der DDR, der Bundesrepublik beizutreten, war ein Weg zur Einheit gewählt worden, der keinen weiteren parlamentarischen Prozess im Westen erforderte. Dort regierte die CDU/CSU in einer Koalition mit der FDP. Die notwendigen Zweidrittelmehrheiten zur Änderung des Grundgesetzes hätten den Einigungsprozess oder Teile davon blockieren können. Viele SPD-Abgeordnete favorisierten zunächst den Weg in die deutsche Einheit über den Artikel 146 des Grundgesetzes und damit über eine gemeinsam neue Verfassung.
In der DDR bedurfte die Bestätigung des Beitritts, verbunden mit der Festlegung eines konkreten Termins, noch eines Votums der Volkskammer. Am 23. August 1990 stimmten 363 Parlamentarier darüber ab. Dabei wurden 294 Ja-Stimmen abgegeben, 62 Abgeordnete votierten mit »nein«, und es gab 7 Enthaltungen.
Am 31. August 1990 unterzeichneten die Bundesrepublik und die DDR den Einigungsvertrag. Um in Kraft treten zu können, musste er zu einem Gesetz werden, dass in beiden deutschen Parlamenten mit mindestens einer Zweidritteilmehrheit angenommen wurde. Sie war auch nötig, um im Westen Grundgesetzänderungen, die sich aus dem Vertrag ergaben – wie zum Beispiel die Streichung des Artikels 23 und die Neufassung des Artikels 146 –, zu vollziehen.
Die parallelen Sitzungen des Deutschen Bundestags in Bonn und der Volkskammer in Ostberlin fanden am 20. September 1990 statt.
Kurz zuvor drohte der gesamte Vereinigungsprozess