Die Steuersünder. Peter Mathys

Die Steuersünder - Peter Mathys


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weil er im Amt stark beansprucht war. Und der nächste Flug morgen Vormittag kam nicht in Frage, weil er damit die halbe Beerdigung verpasst hätte. Also Swiss, leider. Dass er Business Class gebucht hatte, verschwieg er.

      Im Restaurant fanden sie einen Tisch beim Fenster mit Blick aufs Flugfeld. Sie bestellten Getränke, Matter ein Bier und Sylvia einen Pfefferminztee. Er erhob sich.

      «Entschuldige mich einen Augenblick. Ich muss zur Toilette.»

      Mit seinen kleinen, energischen Schritten eilte er den Gang zurück, durch den sie gekommen waren. Die Türen zu den Toiletten befanden sich links, gleich neben dem Aufzug. Es dauerte nur Sekunden, bis sich die Lifttür öffnete und drei übermütige Burschen und ein kicherndes Mädchen mit roter Cherokeefrisur entließ. Matter fuhr nach unten und suchte die Halle ab. Tanja stand am Auskunftsschalter der Swiss. Sie lachte, als er zu ihr trat und ihr einen Kuss auf die Wange drückte.

      «Deine Frau, nehme ich an», sagte sie.

      «Ja, sie wollte mich unbedingt begleiten.»

      Tanja strich ihm über sein schütteres Haar. «Du Armer! Ich verstehe jetzt, dass du dich von ihr trennen willst.»

      Matter war nervös. «Ich muss zurück. Hier ist dein Ticket. Setz dich in die Lounge. Ich komme, sobald Sylvia verschwunden ist.»

      5

      Die Weltstadt London glänzte wie neu, als Herbert Matter mit seiner Geliebten eintraf. Die Abendsonne warf lange Schatten; sie fuhren mit der Schnellbahn an putzigen neuen Reihenhäuschen mit winzigen Vorgärten und spiegelnden Fensterscheiben vorbei, dazwischen Werkstätten, Garagen und viel Schrott. Ein Kran verschob lautlos Metallträger, im Hintergrund zog gemächlich die Themse.

      Ein Taxi brachte sie von der Endstation zum Old Hampshire Hotel. Matter fragte den Fahrer in hölzernem Englisch, ob sich zu dieser Jahreszeit viele Touristen in London aufhielten; mehr fiel ihm nicht ein. Sehr viele Touristen, lautete die Antwort, und zwar zu jeder Jahreszeit. Tanja erkundigte sich, ob Matter seiner Frau den Namen ihres Hotels genannt habe. Ja, es wäre unnatürlich gewesen, das nicht zu tun. Dann werde sie gewiss im unpassendsten Augenblick anrufen. Matter lachte: «Dann lassen wir es einfach läuten, wenn es uns nicht passt!»

      Im Hotelzimmer dämpften lange Tüllvorhänge das letzte Tageslicht. Ein hohes Doppelbett, überzogen mit einer rostfarbenen Brokatdecke, erinnerte ans vorletzte Jahrhundert, ebenso der unförmige Nussbaumschrank. Aber das Bad war neu eingerichtet. Nicht ohne Stolz musterte Matter den hellen Travertinboden und die großen, weißen Kacheln, welche die Badewanne und eine geräumige Dusche umgaben. Ob es ihr gefalle, wollte er von Tanja wissen. Ja, und sie freue sich sehr, ein wenig durch die Stadt zu bummeln, es sei vier Jahre her seit ihrem letzten Besuch in London.

      «Sofern wir Zeit und Lust haben zum Bummeln», meinte Matter.

      «Ich kann alleine bummeln, während du zur Beerdigung gehst.»

      Matter schüttelte den Kopf. «Eigentlich hatte ich im Sinn, auf die Beerdigung zu verzichten. Der gute Bogdan hat nichts davon, wenn ich seinen Nachrufen zuhöre, haha.» Er trat zu Tanja und fasste sie an den Schultern. «Zusammen haben wir es viel schöner, glaubst du nicht?»

      «Natürlich», sagte Tanja und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirne. «Aber du solltest trotzdem hingehen. Es werden Leute dort sein, die dich kennen. Wenn du nicht erscheinst, wird sich das herumsprechen.»

      Sie entwand sich behutsam Matters Griff. «Ich hatte vor, mich jetzt ein wenig zu erfrischen, für den Fall, dass wir nachher ausgehen.»

      Er sah an Tanja vorbei und erblickte sich im Spiegel. Sein rundes Gesicht glänzte, und hinter der linken Schläfe stand ein Haarbüschel unvorteilhaft ab. Aus den Nasenlöchern ragten schwarze Härchen, dafür wuchsen ihm praktisch keine Brauen über den Augenwülsten. Über dem Bauch spannte die Jacke, die er noch nicht abgelegt hatte. Herbert Matter gefiel sich nicht, und seine Stimmung schlug um in eine milde Depression.

      «Du hast recht», sagte er. «Ich überlasse dir jetzt das Bad.»

      Seit langem hatte er sich in den Kopf gesetzt, Alpakas zu züchten. Dass er nichts von Alpakas verstand, keine Ahnung hatte, wie man Weideland bewirtschaftete, kümmerte ihn wenig. Das Nötigste konnte er lernen, man konnte Fachkräfte anstellen, Geld war ja kein Problem. Ein Freund hatte von Neuseeland geschwärmt; es sei wie die Schweiz, sauber, mit Schneebergen, Weiden mit Vieh, mehr Schafe als Kühe, und eben Alpakas. Sie waren robust, vertrugen jedes Klima und brachten erst noch Geld ein. Und Neuseeland war weit genug entfernt von Basel, von Sylvia und seinem Sohn, den sie verdorben hatte, und von der Steuerverwaltung und den drei Tölpeln mit ihren Darlehen.

      Diese Überlegungen unterbreitete er Tanja beim Abendessen im «Bibendum», während sie auf das Rindsfilet warteten. Der Rotwein, ein argentinischer Malbec, nahm allen schwierigen Gedanken die Härte, und Matter war von seinen Argumenten derart begeistert, dass ihm undenkbar erschien, Tanja könne von seinen Plänen nicht überzeugt sein. Sie schwieg, und ihre Augen verrieten nicht, was sie dachte. Im Dämmerlicht erschien ihm ihr Haar wie ein goldener Kranz, ihr Gesicht darunter wie das Antlitz einer Königin. Endlich sagte sie:

      «Kennst du jemanden in Neuseeland?»

      «Nein», erwiderte er. «Aber man kann überall Leute kennenlernen.»

      «Und den Ort hast du schon ausgesucht?»

      «Noch nicht. Ich will mir alles zuerst ansehen. Es gibt auch eine Alpaka-Vereinigung.» Matter unterbrach sich, unsicher, wie viel Tanja überhaupt über Alpakas hören mochte. Er fuhr fort: «Die ersten Alpakas wurden 1986 aus Chile nach Neuseeland exportiert. In Südamerika hat man sie schon vor 6000 Jahren domestiziert. Ihre Wolle ist wertvoll, sie brauchen wenig Pflege und sind gutmütig.»

      Jetzt lachte Tanja hell und unbeschwert. «Entschuldige, Herbert, aber an die Vorstellung von dir in blauen Latzhosen, wie du deine gutmütigen Tiere fütterst, striegelst oder was sonst man mit ihnen macht, muss ich mich erst gewöhnen. Verstehst du das ein wenig?»

      «Ja und nein.» Matter zögerte verunsichert. «Ich stelle mir vor, dass wir das alles gemeinsam erkunden. Danach wissen wir mehr und können Entscheidungen treffen.»

      «Herbert, du bist ein Träumer», sagte Tanja leise. «Ich mag das an dir.» Sie legte ihre Hand auf seine. «Aber ich habe eine Stelle und kann nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden.»

      «Die Stelle kannst du aufgeben. Wir haben jetzt genug Geld.»

      «Du hast genug Geld», berichtigte sie.

      «Es ist für uns», erklärte Matter. «Ich habe bereits ein Vollmachtsformular angefordert, damit du auch darüber verfügen kannst.»

      «Und du? Deine Familie, deine Stelle?»

      Matter fasste Tanjas Hand. «Ich hoffe, du wirst meine Familie. Von Sylvia trenne ich mich, das habe ich dir bereits gesagt. Und meine Stelle kündige ich zur Jahresmitte. Mit meinen Ferien und Überzeitguthaben kann ich vor Ende Mai aufhören im Amt.»

      «Was machen deine Opfer, wenn du einfach von der Bildfläche verschwindest?»

      «Sie werden mich verfluchen, was sonst.» Matter lachte sein lautes Lachen, und die Gäste am Nachbartisch drehten sich um.

      «War das ein Antrag vorhin?», fragte Tanja. «Habe ich richtig gehört?»

      «Ja, natürlich», erwiderte Matter. Er fühlte sich unbequem. Gespräche über Liebe und Zuneigung erschreckten ihn; man konnte falsch verstanden oder gar zurückgewiesen werden. Mit Sylvia redete er schon seit Jahren nicht mehr über solche Dinge.

      Jetzt brachte der Kellner das Hauptgericht und goss Wein nach. So verschob sich das delikate Thema wie von selbst auf einen späteren Zeitpunkt. Das Fleisch war innen zartrosa, ganz wie es sein sollte.

      «Vortrefflich», sagte Matter.

      «Allerdings», erwiderte Tanja.

      Später


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