Die Befreiung der Schweiz. Christian Müller

Die Befreiung der Schweiz - Christian Müller


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6000 Franken Erwerbseinkommen, setzt sich das Einkommen neu aus 2500 Franken Grundeinkommen und 3500 Franken Erwerbseinkommen zusammen. Für viele Menschen hat sich mit der Einführung des Grundeinkommens auf dem Bankkonto nicht viel geändert. Neu war lediglich die Gewissheit, monatlich 2500 Franken bedingungslos zu erhalten, unabhängig davon, ob man eine Arbeitsstelle hat, ob man allein lebt oder in einer Familie, ob man arm oder reich ist, ob man gesund oder krank ist.

      Der Betrag von 2500 Franken wurde direktdemokratisch ermittelt. Das Grundeinkommen muss hoch genug sein, damit es reicht, in Bescheidenheit und Würde davon zu leben. Es soll jedem Menschen erlauben, in seiner unmittelbaren Umgebung mitzumachen. Das heisst, Zugang zur Gesellschaft zu haben und am kulturellen Leben teilzunehmen. Das Grundeinkommen soll hoch genug sein, damit die Menschen Nein sagen können zu Erwerbsarbeit, die sie nicht machen wollen, und Ja sagen können zu Engagements, die niemand bezahlt. Dadurch werden die einzelnen Bürgerinnen und Bürger erst richtig mündig.

      DIE STÄRKUNG DER DEMOKRATIE

      Ein Ausdruck der Tradition selbstbestimmter Menschen ist die direkte Demokratie. Sie lebt davon, dass Menschen sich einbringen. Das Grundeinkommen schafft mehr Freiräume für demokratisches Engagement. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen wird die Partizipation der Bürger im Gemeinwesen gefördert. Und damit wird wiederum die Demokratie gestärkt.

      Durch die Befreiung der Menschen aus dem Hamsterrad entstehen Freiräume, die auch die Weiterentwicklung eines gesellschaftspolitischen Bewusstseins unterstützen. Dadurch fördert das Grundeinkommen die Einsicht, dass der Staat lediglich eine Organisationsform unserer Gemeinschaft ist, von der wir Teil sind, und nicht eine böse, fremde Macht. Dieses Bewusstsein ist der Anfang einer gelebten Demokratie.

      Das Grundeinkommen knüpft an eine republikanische Bürgertradition an, die in der Schweiz tief verankert ist. Dem Staatswissenschaftler Eric Patry verdanken wir den roten Faden von der alten republikanischen Tradition der Schweiz hin zum Grundeinkommen. Er schlägt den Bogen zurück in eine Zeit, als die Allmenden von Bürgergemeinden gemeinsam genutzt wurden. Vor diesem Hintergrund hat sich das Grundeinkommen in der Schweiz von der Utopie zu einer republikanischen Perspektive entwickelt. Die Grundeinkommensidee hat eine Tradition aufgenommen und sie den Gegebenheiten einer modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft angepasst.

      Die Idee selber ist sehr alt. Bereits der englische Humanist Thomas Morus, der amerikanische Gründervater Thomas Paine oder auch der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Erich Fromm haben sich mit dem Grundeinkommen befasst.

      Erst in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts war die Zeit der Umsetzung gekommen. Die Schweiz ging mutig voran und setzte damit ein Signal für die ganze Welt: Ein lebensfroher Meilenstein in der Geschichte unserer Zivilisation.

      ENDO ANACONDA

      Endo Anaconda, Sie haben drei Kinder. Was wird aus ihnen werden?

      Mein Sohn antwortet auf diese Frage, dass er Fuss­baller werden möchte. In Tat und Wahrheit ist dieser Schulbub aber schon Fussballer. Für mich kommt Ihre Frage aus einem verkehrten Denken. Dieser Junge spielt die ganze Zeit Fussball, also ist er heute schon Fussballer. Man ist doch nicht erst Fussballer, wenn man damit viel Geld verdient.

      Früher oder später muss man aber irgendwie Geld verdienen.

      Ich habe nie Musik gemacht mit dem Hintergedanken, Geld zu verdienen. In meiner Jugend war die Frage nach dem Geld nicht so dringlich. Da habe ich drei Monate auf dem Bau gearbeitet und den Rest des Jahres von diesem Verdienst gelebt.

      Diese Freiheit damals machte eben schon Sinn, ich habe viel profitiert. In dieser Zeit verbrachten wir ganze Nächte mit Actionpaintings in unserer Wohngemeinschaft. Wir machten damals Kunst, haben dabei aber nie an Kunst gedacht. Heute ist der finanzielle Druck in der Gesellschaft viel grösser als früher.

      Und Sie müssen mit Ihrer Musik Geld für den Lebens­unterhalt einspielen.

      Ja, jetzt ist es anders, und ich habe auch Verantwortung für andere. Generell herrscht heute in der Schweiz ein hoher Druck, dass man im Prinzip gar nicht mehr kreativ sein kann.

      Als ich begonnen habe, Texte zu schreiben, gab es wenige Leute in meinem Umfeld, die glaubten, ich mache etwas Vernünftiges. Damals machte ich einfach. Jetzt sind zwanzig Jahre vergangen, wir haben dreizehn CDs herausgebracht. Zwar weiss ich immer noch nicht, ob diese gut sind. Doch ich konnte genau das machen, was ich wollte. Das funktionierte aber nur dank Leuten, die an mich geglaubt hatten, die zwar dachten, dass ich spinne, aber dass es schon gut komme mit dem, was ich tue.

      Vielleicht haben Sie damals in Ihrer Jugend das Lebensgefühl des Grundeinkommens schon gelebt. Welche Änderungen prognostizieren Sie, wenn die ganze Schweiz dieses heute einführen würde?

      Die Faulen dürften endlich faul sein. In unserer Ge­sellschaft ist die Faulheit verpönt. Ich aber glaube, dass Faulheit vielmehr eine Vorbedingung ist, um kreativ zu sein. Heute werden die Leute von ihrer Arbeit fast zu Tode gehetzt. Man hat keine Zeit zum Überlegen und um sich selber zu finden. Man verliert die Balance. Wer die Faulheit im Sinne von Musse nicht zulässt, kann nicht kreativ sein und bleibt wie der Hamster im Rad. Zeitliche Räume schaffen auch geistige Räume. Und die sind wichtig.

      Faulheit als Voraussetzung, um aktiv zu werden?

      Ja. Doch Faulheit ist eigentlich der falsche Ausdruck. Denn es gibt wenige Leute, die wirklich faul sind. Wenn einer gerne zu Hause kocht oder den Kindern Geschichten erzählt, dabei aber kein Geld verdient, gilt er als faul. Oder jemand, der ein Kunstwerk erschafft, gilt als faul, solange sich die Arbeit nicht in Geld messen lässt. Man wird erst anerkannt, wenn man Geld umsetzt.

      Die Leute stellen dann immer die Frage: «Können Sie denn davon leben?» Sie fragen nie, ob man mit seiner Tätigkeit oder für seinen Beruf lebt. Sondern es geht immer darum, ob jemand durch seine Arbeit direkt ein Einkommen generiert. Das ist unglaublich in der Schweiz, als erstes kommt immer die Frage nach dem Lohnzettel.

      Doch ich glaube nicht, dass die Menschen Freude haben, sinnlos vor sich hinzudümpeln. Ich glaube, die meisten Menschen möchten irgendetwas Sinnvolles für die Gesellschaft machen.

      Das ist eine sehr romantische Sicht.

      Zweifellos gibt es auch Schwachköpfe. Doch diese Menschen werden bis zu einem gewissen Grad zu Schwachköpfen gemacht. Kinder sind noch nicht so. Wenn Kinder auf die Welt kommen, sind sie neugierig und entwicklungsfähig. Zu einem Schwachkopf wird das Kind erst durch Einfluss von aussen. Alle Kinder haben ungeheuer Potenzial. Doch sobald sie in die Schule kommen, wird ihnen genau gesagt, wie man richtig und wie man falsch zeichnet.

      Was würde diesem Land gut tun?

      Das Problem unserer Gesellschaft ist, dass die Leute nicht kapieren wollen, dass sie sterben müssen. Durch die Anhäufung von Geld möchten die Menschen ihre physische Existenz in einen Hedge Fund transformieren. Vielleicht wollen sie dadurch ewig leben.

      Im Hinduismus geben die Gläubigen mit fünfzig Jahren ihr Geschäft ab, um sich darauf zu konzentrieren, dem Shiva zu huldigen und das Leben zu geniessen. Sie haben dann nichts mehr zu tun mit der materiellen Welt. Diese Kultur fehlt bei uns. Hier tun alle so, als würden sie ewig leben und als wäre Geld ein wirklicher Wert. Was es ja nicht ist.

      Geld ist aber auch ein praktisches Mittel, um das Zusammenleben zu organisieren.

      Das Geld soll im Wirtschaftskreislauf bleiben und nicht für irgendwelche Spekulationen verzockt werden. Wenn alle jeden Monat bedingungslos ein paar Tausend Franken bekommen, könnte das ein Schritt sein hin zu einer Gesellschaft, die das Geld nicht braucht. Das Grundeinkommen macht das Geld etwas weniger wichtig und die Leute freier.

      Endo Anaconda ist Singer-Songwriter, Kolumnist und Schriftsteller. Bekannt wurde er als Sänger der Berner Mundartband Stiller Has.

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