Friedrich Glauser. Wolfgang Hartmann

Friedrich Glauser - Wolfgang Hartmann


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und kaum zu literarischer Arbeit komme.

      Es ist mir aber im Traume manches über Clauser eingefallen. Ich muss etwas von ihm haben, sogar handgeschrieben, meine ich, das ich Ihnen selbstverständlich gerne zustelle. Es tut mir so leid, dass er seinen jetzigen schönen Erfolg nicht erleben durfte, doch mag es seiner Braut eine Freude, eine kleine Genugtuung sein. Wie betrübt ich war, von Ihnen zu erfahren, dass Clauser unmittelbar vor der Hochzeit seines Lebens gehen musste, kann ich Ihnen nicht beschreiben. Das muss sehr hart für seine Freundin gewesen sein.

      Im Tagebuch Hugo Balls lese ich, dass zur Feier der Eröffnung der Galerie Dada Clauser eigene Verse las. Ich weiß, dass er sie Hugo gab, und ich will jetzt ganz eifrig alles danach durchsuchen. Auch, wo ich in den Tagebüchern meines Mannes Notizen über Clauser finde, die Ihnen dienlich sein können.

      Wir führten zweimal vom Oscar Kokoschka (dem Wiener Maler) ein sehr interessantes Stück auf, Sphinx und Strohmann, dieses in Masken, nur ich, die ich die «weibliche Seele, Anima» spielte, war in Schleiern. Clauser jedoch spielte in blaubläulicher Maske, mit einem fahlen, leuchtenden Auge den «Tod», sehr gut.

      Ich fand jetzt in Hugos Flucht aus der Zeit, unterm Kapitel «Wort und Bild», über und von Clauser Folgendes, was Sie vielleicht nicht kennen.

      Clauser hat mir (also Ball) einen Aufsatz über Bloy gebracht. Da ihn niemand drucken mag, will ich die Hauptsachen daraus notieren:

      «Nur großer Schmerz kann große Werke schaffen. Erst wenn die Seele zerfleischt ist, kann sie ihren letzten Tropfen Blut in ein Kunstwerk verwandeln.

      Dirnen werden zu Heiligen, nur im Volke findet man wahre Größe. Man muss mit jenen leben, die nur ein Kleid haben, das verwaschen ist von unzähligen Regengüssen, steif ist von jahrelangem Schmutz, um Menschen zu finden …

      Der einzige moderne Dichter Frankreichs, der hinuntergestiegen ist und gelebt hat im Elend, Jéhan Rictus, hat die Mystik der Armut verstanden.

      Bestehen bleibt nur das ewige Gesetz des Mitleids mit den Verkommenen, die größer sind als alle Ruhmvollen dieser Welt, weil sie erkannt haben ihre eigene Schlechtigkeit.

      Mystiker und Katholik, nicht ästhetisch wie Claudel, sondern überzeugt, durchdrungen, kämpft Bloy. Die einzige Sicherheit dieser Welt sind überlieferte Prophezeiungen, die der Apokalyp se und die, die noch heute gegeben werden von reinen Jungfrauen. (Notre Dame de la Salette.)

      Die Skepsis Anatole France’ war Tradition. Léon Bloy ist eine Ausnahme, ein Anachronismus. Seine Sprache ist die Rabelais’, er gehört ins Mittelalter, das er liebt. Sogar nach Byzanz. In ein Mittelalter, wo man betete und das Land pflügte, stetig in Angst, Christus könne auf die Erde wiederkehren. Wo noch Mitleid war und selbst die Blutigsten vor Gott sich beugten.

      Den bissigen Hohn hat er von seinem Lehrer, dem letzten Aristokraten, dessen große Gestalt den Himmel ausfüllt, Barbey d’Aurevilly. Von ihm hat Bloy den Hass gegen Bourget. D’Aurevilly war der letzte Kritiker Frankreichs, der noch verstand, mit Worten zu peitschen und mit Sätzen zu töten. Er spielte den Satanisten, um den Bourgeois zu ärgern, war gläubig, die letzte Stütze der Kirche …»

      Soweit Frédéric Clauser. Hugo Ball schreibt zu diesen Ausführungen einen Nachsatz: «Die Farce dieser Zeit, die sich in unseren Nerven spiegelt, hat einen Grad der Infantilität und Gottverlassenheit erreicht, der sich in Worten nicht mehr wiedergeben lässt.»

      Sehr geehrter, lieber Herr Doktor, möglich ist, dass Ihnen Clausers Aufsatz über Bloy bekannt ist, ich Ihnen also mit diesem hier nichts Neues gesagt habe. Dann entschuldigen Sie, bitte. Da aber obige Sätze, gleich Aphorismen, zugleich so vieles über Clauser selbst auszusagen scheinen, habe ich es Ihnen herausgeschrieben.

      Für heut muss ich mich jetzt verabschieden. Sollten Sie einmal in den Tessin kommen, hoffe ich und bitte Sie darum, doch ja bei mir vorbeizukommen, vielleicht ein paar Tage zum Ausruhen, es ist sehr schön hier, und alle Fenster haben den Blick auf See und Berge. Im Januar freilich werde ich wahrscheinlich wieder «Kaserne» sein, kleine Herberge zur Soldatenheimat. Die Geschichte macht viel Arbeit, aber in der Idee ist es so schön, und ich habe doch ein Stück Schweizer Menschentum kennengelernt, das mir leuchtend in Erinnerung bleiben wird und dafür ich sehr dankbar bin. Aber denken Sie, ich hab auch ein Gefängnis im Hause. Nicht grad groß, und es hat gottlob auch nicht viel Zuspruch, aber immerhin ist’s ein Gefängnis, hauptsächlich für junge Rekruten, die sich besonders ungeschickt beim Schießen anstellen, was ja mal vorkommen kann. Ich habe einen damit getröstet, dass ich wahrscheinlich «lebenslänglich» bekommen würde, wenn u.s.w. Zufällig kann ich schießen, sogar insofern ganz vorzüglich. Immer ziele ich, wie in unbewusster Absicht, eine kleine Spur daneben, als scheue ich mich, das Ziel genau zu treffen. Da kann man nichts dagegen machen.

      Mit freundlichem Gruße und auf bald mehr

      Ihre Emmy Ball-Hennings

      Emmy Hennings (1885–1948) und Hugo Ball (1886–1927) lernten «Clauser» – sie schrieben seinen Namen immer mit großem «C» – während seiner Studien- und Künstlerzeit in Zürich kennen. Mit ihnen wirkte er im Frühling 1917 an Dada-Soireen mit, wo er eigene Texte vortrug. Außerordentlich angetan von einer dieser Lesungen war der Volksschriftsteller Jakob Christoph Heer (König der Bernina): Von den Zürcher Behörden angefragt, äußerte er sich sehr positiv über das Talent des jungen Autors. Glauser, der sein Studium nicht fortsetzte, häufig Wohnungen wechselte und Schulden machte, entzog sich der befürchteten Internierung und verbrachte den Sommer 1917 mit Hugo Ball und Emmy Hennings im Tessin, zuerst in Magadino und dann auf der Alp Brusada im Maggiatal. Anfang 1918 wurde Friedrich Glauser wegen «liederlichen und ausschweifenden Lebenswandels» entmündigt. 1939 erinnerte sich Emmy Hennings an ihre Begegnungen mit Friedrich Glauser in zwei langen Briefen an den Verleger Friedrich Witz, der ihre Mitteilung in seinem Text für die Neue Schweizer Bibliothek (s.S. 123) verarbeitete.

      1920 heirateten Emmy Hennings und Hugo Ball und nahmen Wohnsitz im Tessin. Ein Aufsatz Glausers über den französischen Schriftsteller Léon Bloy ist nur dank Hugo Ball erhalten, der ihn auszugsweise in seinem Tagebuch Flucht aus der Zeit (1927) wiedergab. Nach Balls frühem Tod widmete Emmy Ball einen großen Teil ihres Werks dem Schaffen ihres Mannes. Ihr Leben mit Hugo Ball schilderte sie im Buch Ruf und Echo (1953).

      Josef Halperin

      «Die Tragik dieses Lebens ist sublim, weil sie den Sieg in der Niederlage enthält.»

      Klein und still saß er neben Hugo Ball und schmiegte die Hände ans Tamburin, das auf den Knien ruhte. Er blickte vor sich hin, vielmehr an den Menschen vorbei, die den hell erleuchteten Saal füllten, in seiner Unbeweglichkeit grazil wie eine Statuette. Die abweisende Miene sollte wohl über seine Befangenheit hinwegtäuschen. Er war ein zartes Bürschchen mit einem Milchgesicht; man hätte ihn auf höchstens sechzehn geschätzt. Offenbar trat er zum erstenmal hier auf, unter den Dadaisten im Sprünglihaus, denn man hatte ihn vorher nie in der «Meierei» gesehen, im Cabaret Voltaire, wo sie den Sprach-Hokuspokus erfunden hatten, den sie für revolutionäre Dichtung ausgaben. Es war im Krieg. Man schrieb März 1917. Der Knabe schien viel zu früh ins Leben hinausgestoßen worden zu sein. Er hatte etwas Wehrloses. Man sorgte sich unwillkürlich um ihn. Was würde nach ein paar Jahren wohl aus ihm geworden sein?

      In Wirklichkeit war er nicht sechzehn, sondern einundzwanzig, Chemiestudent im ersten Semester, der Friedrich Glauser, und freilich war er wehrlos, auf der Flucht vor einer übermächtig lastenden Welt. Schon war er dem Äther verfallen, und dann, nach einer Lungenblutung, griff er zum Morphium. Frühe Mutterlosigkeit mochte die Lebens- und Weltangst erklären, der die Rauschgiftsucht entsprang. Nach ein paar Jahren schien er rettungslos auf der abschüssigen Bahn der Gefährdeten, der Verlorenen, der Ärmsten der Armen. Er war in das Stadium geraten, wo der Süchtige unbedenklich Rezepte fälscht, stiehlt, einbricht, um das begehrte Gift zu ergattern. Er wurde für verrückt erklärt, in die Heil- und Pflegeanstalt Münsingen gesteckt und der Amtsvormundschaft unterstellt. Die Kette der dunklen, herzbrechenden Ereignisse riss nicht ab. Flucht aus Münsingen, ein Jahr Ascona, Stationen in Zürich und Baden, Morphium, Kokain, Opium, Flucht, zwei Jahre Fremdenlegion, nachher Geschirr wäscher in Paris, Grubenhandlanger in


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