Fachdidaktik Italienisch. Christine Michler
Italiens Bedeutung für die Entwicklung des europäischen Menschenbildes seit Humanismus und Renaissance. Italienisch war so schon früh eine in Deutschland nachgefragte Fremdsprache. Seit dem zweiten Weltkrieg kann das Italienische als Schulfremdsprache einen stetigen Aufstieg verzeichnen, wobei es zuletzt, seit etwa dem Jahr 2000, deutlich in den Schatten des Spanischen tritt. Dennoch ist es gerade in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sehr stark präsent, wo es als dritte Fremdsprache auch als vertiefte fortgeführte Fremdsprache / Leistungskurs bis zum Abitur belegt werden kann.
1.1 | Zur Geschichte des Italienischunterrichts vom Mittelalter bis 1945
Bis ins 17. Jahrhundert ist Italienisch in Deutschland die am meisten nachgefragte Sprache: im Mittelalter wurde Italienisch v.a. von Kaufleuten und von Adeligen erlernt, im 18. Jahrhundert dann auch von einer kulturellen Elite. Man denke an die Verbreitung des Italienischen etwa in Weimar, wo sie in der Publikation einer italienischsprachigen Zeitschrift, der Gazzetta di Weimar, kulminierte. Die Entwicklung des Italienischunterrichts in Deutschland vom Mittelalter bis zur Gegenwart soll im Folgenden kurz umrissen werden.
QuellenFür diesen historischen Überblick wurden alle in der von Konrad Schröder 1980ff. herausgegebenen Quellensammlung zum Fremdsprachenunterricht Linguarum recentium annales erfassten Quellen zum Italienischunterricht ausgewertet. Diese betreffen die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts im deutschen Sprachraum von 1500 bis 1800. Ergänzend und für die Folgezeit wurde auf weitere Darstellungen zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts (z.B. Hüllen 2005) zurückgegriffen.
In quantitativer Sicht ist bei einer systematischen Auswertung des Korpus Schröder 1980–1984 festzuhalten, dass das Italienische in den Linguarum recentium annales nach dem Französischen die am zweithäufigsten genannte romanische Fremdsprache ist. Eine quantitative Auswertung der in den „Sprachenverzeichnissen“ der Bände 1 bis 4 erfassten Nennungen lässt sich graphisch wie folgt veranschaulichen:
Romanische Sprachen und Englisch in den Linguarum recentium annales
historische DominanzObwohl diese Daten mit gewissen Einschränkungen interpretiert werden müssen, die an dieser Stelle nicht diskutiert werden können, lässt sich aus diesen Datenreihen mittelbar die Bedeutung der einzelnen Sprachen innerhalb der derzeit umfassendsten Dokumentation zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts im deutschen Sprachraum ablesen. Eindeutig ist die historische Dominanz des Französischen und des Italienischen vor den beiden iberoromanischen Sprachen zu erkennen. Blickt man in die Chronologie der Daten, so lässt sich insgesamt eine Zunahme der Quellen zum Fremdsprachenunterricht ab dem 18. Jahrhundert feststellen. Insbesondere das Französische wird im 18. Jahrhundert spürbar öfter genannt, während das Spanische vom 16. bis ins 18. Jahrhundert immer seltener belegt ist. Diese quantitativen Befunde decken sich mit bisherigen Erkenntnissen der Historiographie des Fremdsprachenunterrichts: zum einen wurden ab dem 18. Jahrhundert zunehmend nicht mehr nur in adeligen, sondern auch in bürgerlichen Kreisen Fremdsprachen erlernt, und zwar allmählich auch in institutionalisiertem Kontext. Das Französische war ab dem 17. Jahrhundert in Deutschland die am weitesten verbreitete Fremdsprache (und hatte in dieser Rolle das Italienische abgelöst), das Spanische verlor seit Beginn des 17. Jahrhunderts an Ansehen (vgl. z.B. Reimann 2009b).
PrivatunterrichtBis in die Neuzeit hinein wird Italienisch gerade auch in den Adelshäusern im Privatunterricht erlernt, teilweise schon in einem Alter, in dem man heute von «Frühitalienisch» sprechen würde. In der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. aus dem Jahr 1356 liest man:
[…] Daher verfügen wir, dass der erlauchten Kurfürsten, nämlich des Königs von Böhmen, des Pfalzgrafen bei Rhein, des Herzogs von Sachsen und des Markgrafen von Brandenburg, Söhne oder Erben und Nachfolger – da man als wahrscheinlich voraussetzt, dass sie die ihnen angestammte deutsche Sprache kennen und von Kindheit an gelernt haben – von ihrem siebenten Lebensjahr an in der lateinischen, der italienischen und der tschechischen Sprache unterrichtet werden, so dass sie bis zum vierzehnten Lebensjahr, je nach der ihnen von Gott verliehenen Begabung, damit vertraut seien; denn dies wird nicht nur für nützlich, sondern aus obgenannten Gründen für höchst notwendig erachtet, weil diese Sprachen am meisten für den Gebrauch und Bedarf des Heiligen Römischen Reiches angewendet zu werden pflegen und weil in ihnen die wichtigsten Reichsgeschäfte verhandelt werden. (Müller 1957, 99)
Noch im ausgehenden 16. Jahrhundert ist die Unterweisung von Prinzen in der italienischen Sprache z.B. für Sachsen und Bayern belegt. Keine Rarität sind Anweisungen für Hofmeister, in denen angeordnet wird, diese sollten „befördern, dass Unsere Söhne der lateinischen, französischen und italienischen Sprache nicht vergessen“ (Schröder 1980ff., I, 70). Für die Zeit nach 1662 ist bezüglich der Kinder des bayerischen Herzogs Ferdinand Maria Folgendes überliefert: „Italienische Ammen und Diener pflegten die kurfürstlichen Kinder, und fremde Erzieher gaben neben der durchaus französisch gebildeten Mutter den ersten Unterricht in den Sprachen …“ (ebd., I, 295).
Ein früher Ort deutsch-italienischer Handels- und Sprachbeziehungen: der Fondaco dei Tedeschi in Venedig, hier in einem Stich aus dem Jahr 1616 (Raphael Custos)
HandelsbeziehungenDaneben gewinnt mit den Handelsbeziehungen zu Italien gerade unter den Kaufleuten ab dem 16. Jahrhundert fremdsprachliche Kompetenz zunehmend an Bedeutung. Hier gilt ein Primat der Mündlichkeit mit dem Ziel der praktischen Anwendbarkeit. Die Italienischkenntnisse werden v.a. durch längere Auslandsaufenthalte erworben. Das Sprachbuch des Adam von Rottweil, das 1477 in Venedig erscheint, ist das erste überlieferte Lehrbuch des Italienischen für deutschsprachige Lernende. Es wurde bereits 1479 in der Universitätsstadt Bologna neu aufgelegt (vgl. Christmann 1992, 47). Tatsächlich scheinen die deutschen studentischen Kollektive besonders in Bologna (seit dem 14. Jahrhundert), Padua, Siena und Pavia (seit dem 15. Jahrhundert) eine weitere bedeutende Gruppe der Italienischlernenden gebildet zu haben (ebd.).
institutionalisierter UnterrichtAnfang des 16. Jahrhunderts hält man „in Deutschland […] noch das Italienische für die schönste und feinste Sprache“, während es für Französisch „noch wenig praktisches Interesse“ gibt (Waldinger 1981, 44). Das Italienische kann sich dennoch als Unterrichtsfach zunächst nicht wirklich etablieren: In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts finden sich zunehmend Bekundungen eines institutionalisierten Unterrichts in den neueren Sprachen, wobei das Französische bereits eine Vorrangstellung innehat, die sich im 17. Jahrhundert weiter verstärken wird. Im 17. und 18. Jahrhundert wird der Italienischunterricht an den Ritterakademien (Ausbildungsstätten für adelige Jugendliche) weitergeführt. In einer entsprechenden Institution in Erlangen stehen um 1700 auf dem Programm:
Erstlich (neben Exkolierung der Muttersprache, worauf man sonderliche Reflexion macht) […] die lateinische Sprache […] Neben welcher Sprache auch andere fremde Sprachen, sonderlich die französische und italienische, auch nach Beschaffenheit Englisch und Spanisch, […]. (Schröder 1980ff., I, 533)
Italienisch steht hier auf einer Stufe mit Französisch und deutlich vor Englisch und Spanisch. Noch sind dem Quellenmaterial dieser Zeit geographische und periodische Schwankungen hinsichtlich der Präferenz einer bestimmten Sprache zu entnehmen. August Bohse, später Professor an der Ritterakademie zu Liegnitz, konstatiert z.B. 1703 in seiner Schrift Der getreue Hofmeister:
[…] Was das Italienische betrifft, dieses ist gleichfalls einem Politico heutigen Tages gar nötig, zumal, da anjetzo an vielen Höfen die italienische Sprache weit höher als die französische geachtet wird […]. (Schröder 1980ff., II, 35)
GymnasienZunehmend wird Italienisch auch an den Universitäten, besonders ab dem 18. Jahrhundert vereinzelt auch an weiterführenden Schulen und Gymnasien, unterrichtet. Neumeister (1999, 27) erstellt eine aus Schröder 1980ff. eruierte Liste der Schulen, für die zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert Italienischunterricht nachgewiesen ist. Tatsächlich muss aufgrund der sporadischen Belege (Jahreszahlen in Klammern) damit gerechnet werden, dass der Italienischunterricht ggf. nur eine vorübergehende Erscheinung