Beziehungsweisen. Elazar Benyoëtz

Beziehungsweisen - Elazar Benyoëtz


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Geschichte*, die mich an die „Kleine Geschichte der deutschen Literatur“ von Klabund (Alfred Henschke)Klabund** erinnert, eines meiner ersten – und damals auch liebsten – deutschen Bücher. Es lag ein zauberhafter Schleier über der Literatur damals, der Impressionismus übertrieb seine Blüten, Herbert Eulenberg, HerbertEulenberg hatte seine kleine Gattung erfunden, die „Schattenbilder“***, die ich mit großer Freude las, mit leichter Hand entwarf er Gesichter zu den Werken. Noch stehen seine Bücher hier bei mir, aber ich wage sie nicht mehr zu lesen. Und doch wünsche ich mir, jemand schriebe heute so ähnlich, mit Liebe und Esprit.

      * Friedemann Spicker, FriedemannSpicker: Kurze Geschichte des deutschen Aphorismus. Tübingen: Francke 2007

      ** Klabund (Alfred Henschke)Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig: Dürr & Weber 1923

      *** Herbert Eulenberg, HerbertEulenberg: Schattenbilder. Berlin: Dt. Buchgemeinschaft 1929

      An Hans-Martin Gauger, Hans-MartinGauger, 28. Januar 2008 Nr. 56

      Golo Mann, GoloMann – Du folgst Deinem Gefühl, gegen Ende bricht Deine Liebe durch.* Das wiederholt sich bei Dir des Öfteren, und ich frage mich, ob Du es bist oder Deine Stil gewordene Art, denn Du bist ja kein Gehemmter. Betrachte ich alle „Erinnerungsstücke“, die Du mir in den letzten Jahren zukommen ließest, so meine ich, dass Du „memoirenreif“ geworden bist. Es wäre schade, zögertest Du länger damit, zumal Du einen guten, geeigneten Verlag hast.** Memoiren mit Briefwechsel – in einem oder getrennt. Deine Gedanken, die in Dir noch kochen und sieden, wären dabei nicht verloren, kämen vermutlich noch leichter und reicher zum Ausdruck. Du stehst herum – und willst erzählen – tu das doch! Du hast dem Gedenken an Golo Mann, GoloMann gut gedient, offenherzig. Ich danke Dir für dieses Bild aus mehreren Zeiten, mit allen Namen, die dazugehören, wie Wiechert, ErnstWiechert*** und Bergengruen, WernerBergengruen**** (den kannte ich noch), und wozu für mich, ungenannt, auch Karlheinz Deschner, KarlheinzDeschner***** gehört mit seinem „Kitsch, Konvention und Kunst“ (1957).

      Beim Lesen empfand ich eine einzige „Nebenstörung“, die ich Dir nicht vorenthalten will. „Es fehlt einem ja oft die Phantasie für Naheliegendes.“ Das ist ein Kernwort, spricht aber nicht nur beiläufig gegen Dich. Alles Gebeichtete gehört zur Sache, es kommt aber der Punkt, für den man büßen muss. Du hast den Kranken nicht besucht, dafür musst Du büßen, das kannst Du nicht beichtlings gutmachen; anständiger wäre, behieltst Du dieses Faktum für Dich.

      Irrungen/Wirrungen – Irrtum/Wirrtum: dennoch gefällt es mir wie Dir.

      Die Bemerkungen zu Joachim Fest, JoachimFest****** sind mehr elegant als nobel: volltrefflich. Den Briefwechsel Kraft, WernerKraft – Lehmann, WilhelmLehmann******* würde ich gern lesen, es muss, wie die Bemerkung über Benn, GottfriedBenn vermuten lässt, ein blühender Holzweg sein. Gottfried Benn, GottfriedBenn ist ein Stein des Anstoßes, kein Stolperstein der Poesie.

      Lehmann, WilhelmLehmann warf mit großen Schatten um sich, Kraft, WernerKraft blieb lange im Schatten, nun treten beide schattenreich wieder ans Licht, mit einer Fülle von Namen, nehme ich an, die Verheißungen waren und Verkalkungen sind. Ob ich Kraft, WernerKraft kannte? Als ich ihn zu kennen glaubte, kannte ich ihn nicht. Nun glaube ich wieder …

      * Golo Mann, GoloMann: Erinnerungen und Gedanken. Lehrjahre in Frankreich. Hg. von Hans-Martin Gauger, Hans-MartinGauger. Frankfurt am Main: S. Fischer 1999

      ** Beck Verlag, München

      *** Ernst Wiechert, ErnstWiechert (1887–1950), 1930 bis 1950/60 einer der meistgelesenen deutschsprachigen Autoren, zählt zur sog. Inneren Emigration („Das einfache Leben“, 1939).

      **** Werner Bergengruen, WernerBergengruen (1892–1964), Schriftsteller („Der Großtyrann und das Gericht“, 1935)

      ***** Karlheinz Deschner, KarlheinzDeschner (1924–2014), Kirchen- und Literaturkritiker („Kriminalgeschichte des Christentums“, 10 Bände 1986–2013, „Kitsch, Konvention und Kunst“, 100. Tsd. 1962, „Talente, Dichter, Dilettanten“, 1964), Aphoristiker

      ****** Joachim Fest, JoachimFest (1926–2006), Journalist, Historiker („Hitler“, 1973, „Speer“, 1999), Herausgeber („Frankfurter Allgemeine Zeitung“)

      ******* Werner Kraft, WernerKraft – Wilhelm Lehmann, WilhelmLehmann: Briefwechsel 1931–1968. Hg. von Ricarda Dick (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt in Verbindung mit dem Literatur- und Kunstinstitut Hombroich; Bd. 89). Göttingen: Wallstein 2008; vgl. die Exzerpte daraus in der wikipedia-Biographie WilhelmLehmann, Wilhelm Lehmanns (1882–1968), Schriftsteller (Autobiographie, Naturlyrik)

      An Hans-Martin Gauger, Hans-MartinGauger, 7. August 2008 Nr. 57

      Ich danke Dir für die Einsicht, die Du mir gewährst. Deine Rezension* ist so gut, wie man sie sich wünscht, Du kannst sie guten Herzens verabschieden. Alles abwägend und dem einen doch mehr gewogen als dem anderen. Auch dies mehr Kraft denn Stoff**. Die Poesie bleibt im Bild, wird nicht abgeklatscht. Und alles „Nebenbei“, wie immer bei Dir, ist köstlich oder unmerklich bedenkenswert. Jetzt müsste ich das Buch doch lesen, wo mir Deine Rezension gerade dies abnehmen sollte.

      * Zum Briefwechsel Kraft, WernerKraft/Lehmann, WilhelmLehmann. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.3.2009

      ** Anspielung auf Louis (Ludwig) Büchner: Büchner, LudwigKraft und Stoff. Empirisch-naturphilosophische Studien. In allgemeinverständlicher Darstellung. Frankfurt/M.: Meidinger 1855

      Von Hans-Martin Gauger, Hans-MartinGauger, 7. August 2008 Nr. 58

      Dank, lieber Elazar, für die prompte Auskunft. Nun kann ich dies also beruhigt abschicken.

      Über Lehmann, WilhelmLehmann schrieb mir Wapnewski, PeterWapnewski*, den ich fragte, eben, wie immer witzig knapp:

      „Hat mich nie berührt. Zuviel Pflanzen und Kräuter und Bienengesumm“. Schade, dass ich dies nicht zitieren kann.

      * Peter Wapnewski, PeterWapnewski (1922–2012), Mediävist an der TU Berlin, Literatur- und Musikhistoriker (zu Richard Wagner, RichardWagner, 1978 u.ö.)

      An Hans-Martin Gauger, Hans-MartinGauger, 7. August 2008 Nr. 59

      „Hat mich nie berührt. Zuviel Pflanzen und Kräuter und Bienengesumm“. Gut, dass Du es nicht anführen kannst, es wäre eine zu billige Abqualifizierung dessen, was Kraft, WernerKraft aufrichtig glaubte schätzen zu müssen und mit gutem Kunstgewissen auch schätzte. Auch Lehmann, WilhelmLehmann warf einmal große Schatten, darunter hatte mein lieber Freund, ein von mir auch geliebter Dichter, Georg von der Vring, Georg von derVring*, zu leiden. Lehmann, WilhelmLehmann ließ ihn nicht gelten. Und das tat weh. Das Problem der Wertung taucht in einem solchen Briefwechsel bedrohlich auf, besteht er doch aus Tagen und Werken, die uns Körpernähe suggerieren. Die Stimme spricht, wir werden Zuschauer, sehen das Für und Wider wachsen und hören nicht, wie das eine zum andern kommt. Da zeigen sich Vorzüge und Nachteile eines Werner Kraft, WernerKraft, der ein Bluthund der Poesie sein konnte, das Bellen anderer aber fürchtete. Gewonnen hatte er immer, denn er liebte die Poesie wie wenige: Vers um Vers, doch immer in Angst, sein Bestes zu verlieren – seine eigene Dichtung, die ihm Reim um Reim abgestritten wurde.

      * Vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 25

      An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 18. März 2009 Nr. 60

      Heute kam Ihr „Moser, Hans AlbrechtMoser“*, ich danke Ihnen für das Geschenk und gratuliere Ihnen zum Nachwort und vor allem dazu, dass Ihnen der lang gehegte Wunsch in Erfüllung ging, das Gesamtwerk durch eine Auswahl zugänglich zu machen. Ihre Studie schenkte mir das vermisste Bild. Aber ich glaube Ihnen auch, dass Moser, Hans AlbrechtMoser bedeutender ist, als ich denke. Er gehört zu den Fällen, die nach Ungerechtigkeit rufen. Man muss sich mit ihm gedulden. Beim ersten Durchblättern dachte ich, er sei von haarsträubender Banalität. Je bereiter ich mich fand, eine längere Strecke mit ihm zurückzulegen, umso näher kam er seinem eigenen Antlitz. Ich hatte zuerst Mühe, Gesicht und Wort aufeinander zu beziehen. Die von Staiger, EmilStaiger** gerühmte Sprache ist zu schätzen, aber sie zündet nicht. Moser, Hans AlbrechtMoser ist ein guter Dirigent seiner Gedanken, zur Virtuosität


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