Sie über sich. Paul Metzger

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Autoren.4 Der Zusammenhang von Kirche und Schrift ist dementsprechend in der dogmatischen Diskussion zu beachten.

      Da im Fortgang der Untersuchung die Kirche als Leserin der Texte nicht weiter beachtet werden kann, sei es aus der methodischen Überzeugung der historisch-kritischen Methode heraus, sei es, weil von „der Kirche“ zum Zeitpunkt der Textentstehung in historischer Hinsicht noch nicht geredet werden sollte, müssen die biblischen Texte aus sich selbst heraus verstanden werden.5 Exegetisch korrekt ist daher zu formulieren: Welchen Autoritätsanspruch erheben die biblischen Texte für sich selbst?6

      3.1. Erste Konzentration: Neues Testament

      Da die biblischen Texte zu umfangreich sind, um im Rahmen einer Untersuchung vollständig in den Blick genommen werden zu können, sollen drei Konzentrationen helfen, einen sinnvollen ersten Zugang zum Thema zu finden.

      Erstens soll sich die Frage nur auf Texte des Neuen Testaments konzentrieren. Dies legt sich nahe, da sich die christliche Theologie in besonderer Weise dieser Textsammlung verdankt. Diese erste Einschränkung bedarf einer kurzen Begründung, da damit die Frage nach dem Stellenwert des Alten Testaments für die christliche Theoriebildung und dessen Verhältnis zum Neuen anklingt.

      Nachdrücklich wurde diese Frage in jüngster Zeit von Notger Slenczka aufgeworfen, der fragt „ob das Alte Testament eine normative Bedeutung für die christlichen Kirchen hat oder haben kann“.1 Er nimmt im Gespräch mit der alttestamentlichen Wissenschaft2 die unzweifelhaft historisch richtige These auf, wonach der alttestamentliche Kanon „den Ausdruck des Glaubens des nachexilischen Judentums“3 fixiert und bestimmt somit das Alte Testament als „den Ort […] einer religionsgeschichtlichen Voraussetzung des christlichen Glaubens“.4 Slenczka plädiert aus Gründen der historischen und intellektuellen – aber letztlich auch theologischen – Redlichkeit für eine „Rückübereignung des AT an das Judentum“5 und steht dem „Recht zur Aneignung des Alten Testaments als christliche[m] Buch“6 äußerst skeptisch gegenüber. Ist das Alte Testament also nur „die Identität stiftende Urkunde einer anderen Religionsgemeinschaft“?7 Eine normative Funktion könne das Alte Testament daher im Rahmen der christlichen Theoriebildung bestenfalls dann erheben, wenn seine Aussagen „einen genuinen Ausdruck des christlich frommen Selbstbewusstseins“8 darstellten.

      Zwei Perspektiven sind in dieser Fragestellung grundlegend zu unterscheiden. Erstens muss in historischer Sicht anerkannt werden, dass das Alte Testament an sich kein Zeugnis für Jesus von Nazareth als Christus ablegen kann, weil seine Texte vor Christi Geburt geschrieben wurden. Historisch ist deshalb richtig, dass das Alte Testament Ausdruck des Glaubensbewusstseins des Antiken Judentums darstellt.9 Dass die werdende und frühe Christenheit weitere Schriften dem Alten Testament in einem eigenen Kanonteil an die Seite stellt, zeigt historisch aber auch, dass die Notwendigkeit weiterer Texte gegeben war, um das Besondere des Glaubens an Jesus Christus auszusagen. Das Alte Testament genügt also nicht, um das genuin Neue, das sich in Christus ereignet, auszusagen.10 In historischer Hinsicht gibt es keinen Zweifel daran, dass die jüdischen Texte „als Deutehorizont und Sprachwelt zum Ausdruck der eigenen neuen Erfahrungen“11 herangezogen wurden. Dadurch entledigten sich die frühen Christen der Notwendigkeit, tradierte Glaubensüberzeugungen (Monotheismus, Schöpfung) eigens aufzuzeichnen. Die jüdische Vorstellungswelt, die in diesen Texten präsent ist, wird also von Anfang an als unverzichtbar für den christlichen Glauben akzeptiert und damit das Alte Testament – wenn auch im Vergleich zum Judentum in unterschiedlichen Sprachen und Textkorpora12 – zum unverzichtbaren Teil der entstehenden christlichen Bibel erklärt.

      Die zweite Perspektive, die mit dieser historisch gewachsenen Entscheidung verknüpft ist, fragt nach dem Verhältnis der beiden Textkorpora im Hinblick auf Normativität und Autorität von biblischen Texten im Verhältnis zueinander.

      Eine Leitlinie, die wohl als Grundkonsens evangelischer13 und römisch-katholischer14 Theologie bezeichnet werden darf, besagt, dass das Alte Testament im Lichte des Christusgeschehens gelesen werden muss und nur in diesem Licht auch Christuszeugnis darstellt.15 Das Neue Testament hingegen thematisiert das eigentliche Christusgeschehen, das wiederum Ausgangspunkt und Grundlage des spezifisch christlichen Glaubens darstellt. Das Alte Testament bildet damit den Horizont, in dem versucht wird, das Ereignis zu verstehen. Damit trägt es gleichzeitig maßgeblich zu dessen Verständnis bei und bildet es somit auch aus.16 Insofern ist es sachgemäß, das Christusereignis, dessen Zeugnis in erster Linie das Neue Testament darstellt, als hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis des Alten Testaments als christlichem Zeugnis zu verstehen.17

      Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist für die vorliegende Untersuchung deutlich, dass der Ansatz der Autoritätsfrage zunächst im Neuen Testament zu suchen ist. Von daher erst kann dann in einem möglichen zweiten Schritt über die Autorität des Alten Testaments für die christliche Theoriebildung nachgedacht werden.

      3.2. Zweite Konzentration: Monolineare Kommunikation

      Eine zweite Konzentration wird innerhalb des neutestamentlichen Kanons vorgenommen.

      Es bietet sich nicht an, die Frage der Schriftautorität in erster Linie im Hinblick auf die Briefliteratur des Neuen Testaments zu stellen. Diese Einsicht verdankt sich zunächst einer formalen Abgrenzung hinsichtlich der Gattung. Briefe stellen eine andere Kommunikationsform als die Evangelien und die Offenbarung des Johannes dar und setzen eine andere Kommunikationssituation voraus.1 Während Briefe eine „dialogstiftende und kommunikationsstabilisierende Funktion“2 aufweisen und den abwesenden Dialogpartner ersetzen,3 also ein Ersatz für die mündliche Rede darstellen,4 sind Evangelien und Offenbarung eher als eine „lineare Kommunikationsform“5 aufzufassen. Das heißt nicht, dass Evangelien und Offenbarung keine kommunikative Funktion haben, sondern lediglich, dass ihre Kommunikationssituation eine andere ist. Sie richten sich nicht nur an die Adressaten, die bei der Abfassung des Briefs vor Augen stehen, sondern haben einen grundlegend weiteren Horizont.6

      Evangelien und Offenbarung sind bereits von Anfang darauf angelegt, als eigenständiges Werk, als Buch gelesen und gehört zu werden.7 Um das zu erreichen, brauchen sie eine andere Autorität als ein Brief. Denn Briefe funktionieren anders. Sie sind Teil einer beabsichtigten Kommunikationssituation, die entweder bereits vorher auf anderem Wege initialisiert wurde oder durch den ersten Brief begründet werden soll. „Die kommunikative Korrespondenzfunktion macht den Brief zum Brief.“8 Seine Situation bedingt, dass sein Autor in Erscheinung tritt. Dies ist bei den anonym überlieferten Evangelien nicht der Fall. Damit der Brief gelesen wird, muss beim Leser der Wunsch nach der Lektüre des Briefes geweckt werden. Dies erklärt, warum ein Brief eine gewisse Autorität für sich beanspruchen muss: damit der Leser ihn lesen will. Briefe, die darüber hinaus den Anspruch erheben, als autoritative Texte Anerkennung zu finden, sind deshalb direkt damit beschäftigt, auch die Autorität ihres Autors zu sichern, wobei der Autor dann wiederum die Autorität des Textes verbürgt. Ganz deutlich ist dies zu sehen, wenn z.B. Paulus in seinen Briefen die Legitimität seines Apostolats herausstellen muss (Gal 1,1; 2.Kor 10–12), um so Gehör für seine Texte zu schaffen.9 In diesem Sinn erhebt Paulus „fraglos kanonische, d.h. Norm setzen wollende Autorität“10 und bindet damit die Sache des Evangeliums auch an seine Person.11

      Bei den pseudepigraphen Briefen12 des NT ist die Schaffung der Autorität des Autors durch Übernahme einer fremden Autorität ein wesentlicher Grundzug der angestrebten Kommunikation.13 Gleiches gilt grundsätzlich für einen weiten Teil der apokalyptischen Literatur.14 Eine Ausnahme stellt hierbei wahrscheinlich die Offenbarung des Johannes dar, die wahrscheinlich wirklich von einem Menschen namens Johannes verfasst wurde.15

      Da sich die vorliegende Untersuchung vor allem aber für die Rolle der Schrift im Kontext der christlichen Theoriebildung und Lebensdeutung interessiert, sind eher Texte zu beachten, die einen narrativen Zusammenhang entfalten, in dem sich die Leser und Hörer selbst verstehen sollen. Die Evangelien und die Apk „als Spezialfall der autobiographischen Erzählung“16 bieten sich daher an.17 Sie bilden in dieser Hinsicht den Gründungsmythos des christlichen Selbst- und Weltverständnisses ab und begründen ihn damit.18 Briefe setzen diesen Zusammenhang aber bereits voraus und argumentieren in dessen Horizont. Insbesondere die Evangelien und in abgestufter Weise auch die Offenbarung


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