Spanische Literaturwissenschaft. Maximilian Gröne
Wiederholung desselben Wortes in verschiedenen Flexionsformen (Abart der → Figura etymologica). Beispiel: ¡Qué alegría vivir / sintiéndose vivido! (Pedro Salinas), oder „ver“ im Beispiel zur Figura etymologica.
Chiasmus (quiasmo): Überkreuzstellung der Konstruktion zweier Sätze oder Verse: Im zweiten Satz oder Vers stehen die inhaltlich und/oder grammatikalisch dem ersten entsprechenden Wörter in umgekehrter Reihenfolge. Beispiele: Pues dar vida a un desdichado / Es dar a un dichoso muerte (Calderón), Ni son todos los que están, ni están todos los que son (Sprichwort). Ergibt sich daraus ein widersprüchlicher Sinn, spricht man im Spanischen auch von retruécano.
Parallelismus (paralelismo): Wiederkehr der gleichen Wort- oder Satzteilreihenfolge. Beispiel: Y la carne que tienta con sus frescos racimos, / Y la tumba que aguarda con sus fúnebres ramos. (Rubén Darío)
Hyperbaton (hipérbaton, pl. hipérbatos): Sperrung, künstliche Trennung einer syntaktisch zusammengehörenden Wortgruppe. Beispiel: Mientras por competir con tu cabello, / oro bruñido al sol relumbra en vano (Góngora) [= Mientras oro bruñido relumbra en vano al sol por competir con tu cabello]
Anakoluth (anacoluto): Herausfallen aus der Satzkonstruktion. Beispiel: ¿Y su padre de usted no tendré el gusto de verle antes de marcharme? (Jacinto Benavente)
Ellipse (elipsis, f.): Auslassung eines Wortes oder Satzteiles; das Fehlende ist jedoch leicht ergänzbar. (vgl. auch → Aposiopese) Beispiel: los montes nos ofrecen leña de balde; los árboles, frutos; las viñas, uvas. (Miguel de Cervantes)
Aposiopese (aposiopesis, f.): Bewusstes Abbrechen der Rede vor der entscheidenden Aussage, wobei entweder die syntaktische Konstruktion abgebrochen oder der Gedanke (in einem vollständigen Satz) nicht zu Ende geführt wird (Abart der → Ellipse). Beispiel: Fisgona, ruda, necia, altiva, puerca, / Golosa y… basta, musa mía, / ¿cómo apurar tan grande letanía? (Francisco de Quevedo)
Aufgabe 4.2 ? Ordnen Sie die genannten signifikantenbezogenen Figuren versuchsweise nach Wiederholungsfiguren, Umstellungsfiguren und Auslassungsfiguren, wobei Sie die Kategorien in verschiedenen Ecken eines Papierbogens zusammenstellen (nicht neben- oder untereinander schreiben) und evtl. farblich unterscheiden. Wiederholen Sie die Übung, ohne in obiger Zusammenstellung nachzusehen.
Aufgabe 4.3 ? Erfinden Sie frei deutsche Beispiele zu jeder der Figuren.
Inhaltsebene Die zweite Hauptebene der StrukturanalyseStrukturanalyse ist die Inhaltsbeschreibung. Was aber ist ‚Inhalt‘? Man könnte einfach sagen: Das, wovon der jeweilige Text spricht, das ‚Was‘ des Textes – im Gegensatz zum ‚Wie‘ der Darstellung, dem Ausdruck, um den es uns eben ging. Für das so Umschriebene gibt es zunächst den Terminus MakrostrukturellMakrostruktur: ThemaThema, StoffStoff Thema (tema, m.; zu ThemaThema, StoffStoff, MotivMotiv siehe auch Einheit 11.1.1). Analog zum alltäglichen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff den gedanklichen Kern, das Problem des Textes innerhalb der FiktionFiktion. Davon zu unterscheiden ist das, was der Text vom außerfiktionalen Standpunkt aus behandelt, was er also beispielsweise für uns heute bedeutet – die Bedeutung oder Signifikanz eines Textes, die Sache der InterpretationInterpretation ist und in diesen Zusammenhang gehört (siehe Einheiten 10–12). Ein ThemaThema, das bereits vor dem untersuchten Text in weitgehend fixierter Form (mit bestimmter HandlungHandlung, Personen, Orten usw.) besteht, nennt man StoffStoff (im Span. oft ebenfalls tema oder materia, bei alten und berühmten StoffenStoff auch mito). Ein besonders altes und berühmtes Beispiel wäre der ÖdipusstoffStoff. ThemaThema und StoffStoff betreffen Texte als ganze: Sie sind makrostrukturelleMakrostruktur Kategorien. Unterhalb MikrostrukturellMikrostruktur: MotivMotiv, Isotopie dieser Ebene, im Bereich der MikrostrukturMikrostruktur, haben wir mit den sog. MotivenMotiv (motivos) zu tun. Damit sind in handlungsbetontenHandlung Texten einzelne Situationen oder Vorgänge und ihre Kausalverkettung (beispielsweise die Trennung der Liebenden, die Ankunft des Helden), in nichterzählenden Texten in Anlehnung an die Photographie bildhafte Vorstellungen gemeint. Diese Kategorien werden uns im Weiteren noch öfter beschäftigen, so die HandlungsanalyseHandlung in den Einheiten 6.7 (Drama) und 8.3.2 (Epik), ThemaThema, StoffStoff und MotivMotiv als diachrones (literarhistorisches) Forschungsfeld in Einheit 11.1.1.
IsotopieIsotopie: mehrmaliges Auftreten von Bedeutungsmerkmalen Wegen ihrer besonderen Relevanz hinsichtlich lyrischer Texte bereits hier zu vertiefen ist eine noch unterhalb des Motivs angesiedelte Ebene der InhaltsstrukturStruktur: die IsotopieIsotopie (isotopía). Der auf den litauisch-französischen StrukturalistenStruktur Algirdas Julien Greimas zurückgehende Begriff bezeichnet das mehrmalige Auftreten von semantischen (d.h. Bedeutungs-)Merkmalen in einem Text. Eine IsotopieIsotopie bilden alle Wörter eines Textes oder Textausschnitts, die mindestens ein gemeinsames Bedeutungsmerkmal (ein ‚Sem‘ in der Terminologie der Linguistik) besitzen. Dabei gibt es immer mehrere solcher IsotopienIsotopie, die sich auch überschneiden können, d.h. sich einzelne Wörter teilen. Ein Beispiel: Die Wortmenge „Reiter“, „rachsüchtig“, „Pferd“, „Zofe“, „Marmor“, „gefiedert“, „Schwert“, „lügen“ weist die IsotopienIsotopie ‚menschlich‘ (Reiter, rachsüchtig, Zofe, lügen) und ‚tierisch‘ (Pferd, gefiedert) auf, die zusammengenommen als IsotopieIsotopie ‚belebt‘ der IsotopieIsotopie ‚unbelebt‘ (Marmor, Schwert) gegenübergestellt werden können:
Beispiel für IsotopienIsotopie
Es wären weitere IsotopienIsotopie, etwa ‚Rittertum‘ (Reiter, Pferd, Schwert), denkbar. Die Bedeutungsmerkmale sind zwar nicht willkürlich, sondern weitgehend vom Gehalt und Kontext der Wörter bedingt – aber die IsotopienIsotopie zu konstruieren und ihre Relevanz zu beurteilen, obliegt dem Leser im Zuge seiner Analyse. Hierbei spielt, wie sich an unserem Beispiel andeutet, auch das Verhältnis der möglichen IsotopienIsotopie untereinander eine Rolle. Die IsotopieIsotopie ‚Rittertum‘ ist isoliert, während die IsotopienIsotopie ‚belebt‘ und ‚unbelebt‘ sowie, eine Ebene tiefer, ‚menschlich‘ und ‚tierisch‘ einander gegenübergestellt werden können, OppositionenOpposition bilden. Wie Sie sich erinnern, hatten wir oben StrukturStruktur als Gesamtheit aller Teile eines Ganzen und ihre Beziehung untereinander definiert; damit wird OppositionOpposition deutlich, dass diejenigen IsotopienIsotopie eines Textes, die in Opposition zueinander treten können und damit eine sehr klare Beziehung aufweisen, grundsätzlich interessant für eine StrukturanalyseStrukturanalyse sind, wenngleich eine Letztentscheidung über die Bedeutung einer IsotopieIsotopie freilich auch von ihrer Aussagekraft für das ermittelte ThemaThema abhängt. Unser Beispiel zeigt, wie auf der untersten semantischen Ebene, nämlich anhand der Bedeutung einzelner Wörter, StrukturenStruktur ausgemacht werden können: Der Leitfaden ist hier die Suche nach Äquivalenzen und Gegensätzen. Dies kann auf größere Einheiten, etwa Sätze, ausgeweitet werden. Idealerweise treten so Sinnbezüge und ihre Entwicklung auch in Texten hervor, die auf den ersten Blick kaum Entwicklung, HandlungHandlung oder Kohärenz erkennen lassen, und machen sie ‚lesbar‘. Von der praktischen Arbeit mit Isotopien und Oppositionen werden Sie in der nächsten Einheit anhand der Strukturanalyse lyrischer Texte einen Eindruck bekommen.
RhetorikRhetorik und gedankliche Seite der Rede Natürlich hatte nicht erst die strukturalistische Sprach- und Literaturwissenschaft des 20. Jh. (vgl. Einheit 12.1) die Idee, inhaltliche Strukturen in Texten zu systematisieren, sondern auch die antike RhetorikRhetorik hat sich für die gedankliche Seite der Rede, die logischen Verbindungen zwischen Textteilen interessiert und wiederum ein terminologisches Raster entwickelt, das Sie nun als literaturwissenschaftliches Hilfsmittel in Grundzügen kennenlernen.
Die wichtigsten inhaltsbezogenen rhetorischenRhetorik Stilmittel:
RhetorischeRhetorik Stilmittel II: Gestaltung des Inhalts Allegorie (alegoría): Veranschaulichung eines Begriffes oder abstrakten Sachverhalts durch ein rational fassbares Bild, oft in Form der → Personifikation.