Deutsch als Zweitsprache. Barbara Geist

Deutsch als Zweitsprache - Barbara Geist


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Jedoch stellen wir uns der Herausforderung, die Konzeptionen je Arbeitsgebiet stets im gemeinsamen Unterricht zu denken. Selbstverständlich sind Differenzierung und Individualisierung im gemeinsamen Unterricht unabdingbar, jedoch gilt es, das gemeinsame Lernen als übergeordnetes Ziel im Blick zu behalten (Baurmann/Müller 2016). Gemeinsamer Unterricht bedeutet nicht nur, in einer Klassengemeinschaft räumlich gesehen gemeinsam zu lernen, sondern durch gemeinsame Lernerlebnisse das Potential einer heterogenen und eben auch mehrsprachigen Lerngruppe zum Vorteil erwachsen zu lassen (Lengyel 2016). Dies setzt eine konzeptionell und ressourcenorientiert solide Basis voraus (Baurmann/Müller 2016: 7). Es gilt, für alle SuS ein Gerüst zu bauen, damit sie am gemeinsamen Unterricht aktiv partizipieren können. Diese Mammutaufgabe wollen wir Lehrkräften mit dem vorliegenden Buch erleichtern. Wir verstehen es als einen Beitrag zur sprachdidaktischen Diskussion, der sprachliche Heterogenität nicht nur am Rande behandelt, sondern den Sprachunterricht in multilingualen Klassen theoretisch und fachdidaktisch fundiert.

      1.5 Aufbau des Buches

      Wir orie ntieren uns an den fünf wesentlichen Arbeitsgebieten des Sprachunterrichts, die für alle Schulformen gelten (Tab. 1).

      Im Unterschied zu den Bildungsstandards der KMK betrachten wir im Arbeitsgebiet Schreiben die Bereiche Texte schreiben und Richtig schreiben getrennt. Des Weiteren fokussieren wir aus sprachdidaktischer Perspektive das Lesen und lassen Aspekte des literarischen und medialen Lernens hier außen vor. Es werden so aus inhaltlichen Gründen Bereiche getrennt, die im Unterricht zusammengehören. Besonders deutlich wird das im Schriftspracherwerb, der den Lese- und Schreiberwerb (sowohl Richtig schreiben als auch Texte schreiben) umfasst.

      Jedes Kapitel beginnt mit einem Schülerbeispiel und einer Einleitung zum Arbeitsgebiet. Es folgt eine Einführung in die fachlichen Grundlagen, bevor die besondere Lernausgangslage von SuS mit DaZ verdeutlicht wird. Ausgehend davon werden sprachdidaktische Konzeptionen vorgestellt und ihre Eignung für mehrsprachige Lerngruppen reflektiert. Jedes Kapitel endet mit einem Einblick in die Herausforderung des Erhebens von Fähigkeiten sowie der Leistungsbeurteilung. Es folgen abschließend jeweils einige weiterführende Literaturhinweise und Aufgaben zum Arbeitsgebiet.

      1.6 Aufgabe

      Setzen Sie sich mit Ihrer Mehrsprachigkeit auseinander: Wie viele Sprachen (inkl. Dialekte, Ethnolekte) haben Sie bereits erworben oder gelernt? Wie gesteuert oder ungesteuert war dieser Erst-/Zweit-/Fremdspracherwerb? Was begeistert Sie an anderen Sprachen? Was fällt Ihnen beim Sprachenlernen schwer?

      1.7 Weiterführende Literaturhinweise

      Eine Diskussion grundsätzlicher Fragen zu Mehrsprachigkeit und mehrfachem Spracherwerb findet sich bei Tracy (2011). Einführungen in das Thema Deutsch als Zweitsprache bieten u.a. Rösch (2011) und Jeuk (2013). Spezifisch sprachdidaktische Überlegungen mit einem besonderen Fokus auf SuS mit DaZ sind bei Michalak/Kuchenreuther (Hrsg., 2012) und Kalkavan-Aydin (Hrsg., 2015) zusammengestellt.

      2 Sprechen und Zuhören

      „also <H> ist groß weil das <<leiser werdend>Substantiv> ist?“

      Diesen Beitrag leistet Zainal (elf Jahre alt), eine Schülerin mit DaZ, die (ebenso wie CLAUDIU) erst seit 13 Monaten in Deutschland lebt und die 4. Klasse einer Grundschule besucht, in einem „Rechtschreibgespräch“ (u.a. Leßmann 2014) mit zwei Klassenkameradinnen, die ebenfalls DaZ erwerben, zu dem schwierigen Wort Handtaschendiebstahl. In dieser kurzen Äußerung wird bereits deutlich, wie umfangreich Zainals sprachliche Fähigkeiten nach nur einem Jahr Kontakt zum Deutschen sind. So bietet sie ihren Mitschülerinnen eine Begründung der satzinternen Großschreibung an, obwohl es diese in ihrer L1 Arabisch nicht gibt. Sie hebt ihre Stimme am Ende der Äußerung, um sie als Frage zu deklarieren, und verwendet die für eine Bestätigungsfrage typische Verbzweitstellung im Deutschen mit korrekt flektiertem Verb. Zainal produziert zudem einen Nebensatz mit Verbendstellung. Sie verfügt somit über die gesamte Komplexität des deutschen Satzbaus. Außerdem nutzt sie einen Fachterminus. Die Verwendung des (in-)definiten Artikels, der in beiden Sätzen obligatorisch ist, muss von ihr allerdings noch erworben werden.

      Die gegebene Situation stellt jedoch nicht nur sprachliche Anforderungen auf den linguistischen Ebenen Phonologie, Morphologie, Semantik und Syntax – das Kleingruppengespräch unter Klassenkameraden muss auch in pragmatisch-kommunikativer Hinsicht gestaltet werden. Zainal hört zu, lässt ihre Mitschülerinnen ausreden, versucht an deren Redebeiträge anzuknüpfen oder ihnen zu widersprechen. Rechtschreibgespräche sind ein Setting im Unterricht, in dem die Kompetenz, mit anderen zu sprechen, ebenso wie das verstehende Zuhören gefordert ist.

      Kinder können, bevor sie geboren werden, hören und beginnen wenige Monate nach der Geburt, sprachlich zu interagieren. Diese ersten Sprechakte finden bei Kindern mit DaZ in einer oder mehreren anderen Erstsprachen statt. Die sprachlichen Kompetenzen, die sie in dieser/n Sprache/n in ihren ersten Lebensjahren aufbauen, sind ebenso wertvoll wie die sprachlichen Fähigkeiten, die Kinder mit DaE erwerben. Für jede Sprache gilt, dass das Kind deren phonologische, semantische, morphologische und syntaktische Bausteine erwirbt sowie pragmatische Kompetenzen entwickelt. Im Unterschied zum Lesen und Schreiben bringen die SuS im Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören also langjährige Vorerfahrungen aus Familie, Kindertagesstätte (Kita) und Freizeit mit und sammeln weitere auch in ihrem außerschulischen Alltag (zu anderen und mit anderen sprechen, (zu-)hören, szenisches Spiel). Weniger vertraut sind viele SuS dagegen mit dem Unterbereich über Lernen sprechen. Die Vorerfahrungen im Zusammenhang mit schulisch relevanten Diskurspraktiken wie dem Erklären oder Argumentieren sind ebenfalls sehr unterschiedlich (u.a. Morek 2012; Heller 2012; Isler 2014). Kinder und Jugendliche mit DaZ haben also Vorerfahrungen im Sprechen und Zuhören – sogar in mehreren Sprachen. Unser Bildungssystem trägt jedoch den Erstsprachkompetenzen von SuS mit DaZ bislang kaum Rechnung (u.a. Rösch 2011: 164). So fokussiert der Unterricht insgesamt und auch der Deutschunterricht die Schul- und Bildungssprache Deutsch.

      Ziel dieses Kapitels ist, den Lerngegenstand zu skizzieren, die Besonderheiten der Lernausgangslagen von SuS mit DaZ anhand von Fallbeispielen aufzuzeigen und auf sprachdidaktische Konzeptionen für den Kompetenzbereich einzugehen, die für SuS mit DaZ im gemeinsamen Unterricht gewinnbringend sein können. Im Sinne einer Mehrsprachigkeitsdidaktik wird auch erläutert, wie Kinder und Jugendliche ihre Fähigkeiten in der L1 im Deutschunterricht einbringen können.

      2.1 Fachliche Grundlagen: Mündliche Sprachproduktion und -rezeption in Unterricht und Alltag

      Eine Besonderheit des Kompetenzbereichs Sprechen und Zuhören ist, dass gesprochene Sprache1 Lerngegenstand und -medium zugleich ist. Jedoch unterscheidet sich ein Unterrichtsgespräch in vielerlei Hinsicht von einem Alltagsgespräch: Die Zahl der (potentiellen) SprecherInnen ist höher und es bestehen hierarchische Unterschiede zwischen SuS und Lehrperson (Hochstadt et al. 2015). Die Charakteristika von Unterrichtskommunikation wurden bereits umfangreich erforscht (u.a. Ehlich/Rehbein 1979, Becker-Mrotzek/Vogt 2009, Grundler/Vogt 2013, Heller/Morek 2015). Die Herausforderung, als Lehrkraft nicht immer als Gesprächsleiter, Gesprächsteilnehmer mit einem hohen Redeanteil oder Aufgabensteller aufzutreten, ist groß. Ebenso relevant ist jedoch, sich eben dieser immer wieder praktizierten Handlungsmuster von Unterrichtskommunikation als Lehrkraft bewusst zu sein und dann mit Blick auf die Sprachförderung von SuS mit DaZ die Rolle des Sprachvorbilds ernst zu nehmen (Jeuk 2013: 119). Es gibt bislang wenig Forschung zur Unterrichtskommunikation mit dem Fokus auf die sprachliche Heterogenität der Klasse. Aus diesem Grund greifen wir in diesem Kapitel auch auf Methoden der Sprachheilpädagogik und Fremdsprachdidaktik zurück, sofern diese uns einsetzbar für den Regelunterricht in mehrsprachigen Klassen erscheinen. Bei der Darstellung der fachlichen Grundlagen setzen wir zwei Schwerpunkte: 1. Besonderheiten der deutschen Sprache (mit Fokus auf die gesprochene Sprache) und 2. Bildungssprache. Der Zweitspracherwerb ist in der Förderung des Sprechens und verstehenden Zuhörens


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