Literatur und Mehrsprachigkeit. Группа авторов
BognerBogner, Andrea (Hrsg.), Handbuch interkulturelle Germanistik, Stuttgart/Weimar 2003, S. 345–355.
Ammon, UlrichAmmon, Ulrich, Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt, Berlin/München/Boston, Mass. 2015.
Fischer Weltalmanach ’97, Frankfurt/M. 1996.
Haarmann, HaraldHaarmann, Harald, Weltgeschichte der Sprachen. Von der Frühzeit des Menschen bis zur Gegenwart, München 2006.
Haug, WaltHaug, Walterer, »Die Vulgärsprache als Problem. Otfrid von WeißenburgOtfrid von Weißenburg und die literaturtheoretischen Ansätze in althochdeutscher Zeit«, in: Ders., Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, Darmstadt 2009, S. 25–45.
Hoberg, RudolfHoberg, Rudolf/Karin M. Eichhoff-CyrusEichhoff-Cyrus, Karin M./Rüdiger SchulzSchulz, Rüdiger, Wie denken die Deutschen über ihre Muttersprache und über Fremdsprachen? Eine repräsentative Umfrage der Gesellschaft für deutsche Sprache in Zusammenarbeit mit dem deutschen Sprachrat durchgeführt vom Institut für Demoskopie Allensbach, Wiesbaden 2008.
König, WernerKönig, Werner/Stephan ElspaßElspaß, Stephan/Robert MöllerMöller, Robert (Hrsg.), dtv-Atlas Deutsche Sprache, München 182015.
Leitner, GerhardLeitner, Gerhard, Weltsprache Englisch. Vom angelsächsischen Dialekt zur globalen Lingua franca, München 2009.
Trabant, JürgenTrabant, Jürgen, Europäisches Sprachdenken. Von PlatonPlaton bis WittgensteinWittgenstein, Ludwig, München 2006 [2003].
3. Sprachkontakt: Pidgins und Kreolsprachen
Heinz Sieburg
Pidgins (etymologisch vermutlich im chinesischen Sprachraum von engl. business abgeleitet) sind ›Behelfs- oder Kontaktsprachen‹, die in (mündlichen) interkulturellen Kommunikationssituationen entstehen, wenn die Sprache des jeweiligen Gegenübers unbekannt ist und zwischen den Sprachen deutliche typologische Unterschiede bestehen. (Intentional und funktional ergeben sich damit gewisse Überschneidungen zu den Plansprachen; vgl. II.4.) In der Regel werden Pidgins auf Konstellationen während der Kolonialzeit (15.–19. Jahrhundert) bezogen, namentlich auf das Aufeinandertreffen von europäischen Sprachen (insbesondere Portugiesisch, Spanisch, Englisch, Französisch, Niederländisch) mit Sprachen aus anderen Weltteilen (z.B. Afrika, Karibik, Pazifik). Aufgrund des kolonialen Bezugsrahmens von Eroberung und Unterdrückung ist das Verhältnis der beteiligten Personengruppen wie auch das der betroffenen Sprachen als asymmetrisch zu charakterisieren. Strukturell finden sich in Pidgins meist hybride Kombinationen aus lexikalischen Elementen der dominanten Sprache (Superstrat) mit grammatisch-syntaktischen Elementen der einheimischen Sprache (Substrat). Funktional sind Pidginsprachen (zunächst) weitgehend auf das für die Arbeits- und Handelsabläufe Notwendige beschränkt.
Den bereits stabileren (eigentlichen) Pidgins gehen die in der frühesten Kontaktphase entstandenen, noch sehr unfesten und idiolektal geprägten Protoformen (Jargons) voraus. Pidgins können als eine (funktional stark eingeschränkte und grammatisch simplifizierte) Zweitsprache neben den jeweiligen Muttersprachen (oder Fremdsprachen) der Beteiligten über Generationen weiterbestehen – und sich auch weiterentwickeln. Unter Umständen (Beeinträchtigung der primären Sprachgemeinschaft, Unerreichbarkeit der europäischen Prestigesprachen) entwickeln sich Pidgins im Zuge der Generationenfolge allerdings ihrerseits zu Muttersprachen, die dann Kreolsprachen genannt werden. In Relation zu den Pidgins sind Kreols deutlich elaborierter, verfügen über ein den Basissprachen vergleichbares Ausdruckspotential, sind aber strukturell einfacher gebaut. Für Fälle zunehmender Annäherung an die Prestigevarietäten hat sich der Begriff Dekreolisierung etabliert.
Sowohl Pidgins als auch Kreols (etymologisch möglicherweise aus span. criollo ›einheimisch, eingeboren‹ abgeleitet) bilden den Gegenstandsbereich der Kreolistik, als deren Begründer der Romanist und Indogermanist Hugo SchuchardtSchuchardt, Hugo (1842–1927) gilt und die insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Hintergrund der zunehmenden Unabhängigkeit der Kolonialgebiete (wieder) ein verstärktes wissenschaftliches Interesse fand. Dies gilt vor allem auch für die sich in der US-amerikanischen Linguistik etablierenden – weniger sprachhistorisch als synchron orientierten – Pidgin and Creole Studies. Deren gesellschaftspolitische Relevanz zeigte sich etwa bezogen auf die Frage, ob das Black English als Kreol und damit als gleichberechtigte eigenständige (und identitätsstärkende) Sprache anzusehen sei: »If American Negro English is indeed a creole […] the social and political implications will be great indeed« (Dell HymesHymes, Dell zit. nach BachmannBachmann, Iris, Die Sprachwerdung des Kreolischen, 165).
Für die allgemeine Linguistik ist die Kreolistik vor allem vor dem Hintergrund sprachwandel- und spracherwerbstheoretischer Fragestellungen interessant. Gerade der mit dem muttersprachlichen Erstspracherwerb der ersten Generation verbundene Entwicklungsschub von einem restringierten pidginsprachlichen Input seitens der Eltern zu einer grammatisch und funktional erweiterten Kreolsprache bei den Lernern führte zu produktiven neuen Ansätzen: Stark diskutiert wurde und wird in diesem Zusammenhang die Theorie Derek BickertonsBickerton, Derek, der die systematischen Veränderungen im Kreolisierungsprozess als Funktion eines genetisch verankerten, spezifisch menschlichen ›Bioprogramms‹ (»the one crucial clue to the history of our species«) erklärt (Bickerton, Roots of language, 255). Dieses Programm, so Bickerton, ist im normalen Spracherwerbsprozess durch die jeweils vorgegebene Zielsprache (weitgehend) überlagert, kann sich also nur in der spezifischen Pidgin-/Kreol-Situation voll entfalten, ist aber nichtsdestotrotz notwendige Voraussetzung zur Aneignung jedweder Kultursprache: »Without such a program, the simplest of cultural languages would presumably be quite unlearnable« (ebd.Bickerton, Derek, 255). Die Erforschung der Kreolisierung als fundamentales Sprachwandelphänomen hat neben der individuellen (bzw. universalistischen) Komponente auch die Sprachgemeinschaft als Ganzes und die in ihr ablaufenden vielschichtigen Veränderungs- und Erweiterungsprozesse zu beachten, wobei die Einflüsse der Substrat- und Superstratsprachen zu berücksichtigen bleiben. Jedenfalls gilt nach HellingerHellinger, Marlis (Englisch-orientierte Pidgin- und Kreolsprachen, 114): »Wir erhalten kein adäquates Bild sprachlicher Vorgänge, wenn Kreolisierung überwiegend als kindlicher Spracherwerb unter extremen Bedingungen gesehen, die Rolle erwachsener Sprecher aber vernachlässigt wird.«
Innerhalb der Kreolistik stark diskutiert ist neben der Frage der Kreolisierung die der mono- bzw. polygenetischen Entwicklung. Die monogenetische Hypothese stützt sich auf die Beobachtung einer (bei aller lexikalischen Differenz) auffälligen strukturellen Nähe geografisch weit auseinanderliegender Pidgin- und Kreolvarietäten, vernachlässigt dabei aber potentielle eigendynamische Entwicklungen. Auf Keith WhinnomWhinnom, Keith basiert die (heute mehrheitlich verworfene) Auffassung, wonach als gemeinsamer Ursprung aller europäisch basierten Pidgin- und Kreolsprachen die historische Lingua Franca (auch Sabir), eine – italienisch basierte – mittelalterliche Kontaktvarietät zwischen Sprachen des europäischen und orientalischen Raumes, anzusetzen sei. Dass eine solche Varietät existierte, ist unstrittig, auch wenn schriftliche Belege aus dem Mittelalter nur ganz vereinzelt überliefert sind.
Immerhin hatte diese ›Vermittlungssprache‹ ein Nachleben in der Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts (z.B. bei GoldoniGoldoni, Carlo, Lope de VegaLope de Vega, Félix, CalderónCalderón de la Barca, Pedro) und diente hier zur Erzeugung von historisch-sozialer Authentizität, Komik oder der Markierung sozialer Inferiorität. In MolièreMolières Ballett-Komödie Le bourgeois gentilhomme (Der Bürger als Edelmann) von 1671 findet sich als Beleg (aus HellingerHellinger, Marlis, Englisch-orientierte Pidgin- und Kreolsprachen, 57):
Se ti sabir, Ti respondir;
se non sabir, tazir, tazir.
Mi star Mufti; Ti qui star qui?
Non intendir: tazir, tazir.
(Wenn Du weißt, dann antworte; wenn Du nicht weißt, dann schweige, schweige. Ich bin Mufti; Du, wer bist Du? (Du) verstehst nicht; sei still, sei still.)
Nach Angaben von HellingerHellinger, Marlis (ebd., 2) ist von ca. 130 bisher bekannten Pidgins bzw. Kreols auszugehen,