Poesía Visual im Spanischunterricht. Dr. Victoria del Valle Luque
visuales. So erscheint die künstlerische Verwendung und Einarbeitung verschiedener medialer Ausdrucksformen einleuchtend. Es ergibt sich ein heterogenes Gesamtbild von visuell-poetischen Werkzeugen, von der Schriftsprache bis zu realen Objekten, damit einhergehend eine Diversität von Präsentationsformaten – von schriftsymbolischen Gedichten über auf Papier gestalteten Collagen und skulpturähnlichen Objekten bis hin zur digitalen Fotografie –, die schließlich zu unterschiedlichen Verbreitungsmodi führen von der begehbaren Ausstellung bis zur digitalen Anthologie.
Heterogenität der Autorenschaft begrenzt sich nicht nur auf die künstlerischen Tätigkeitsfelder, sondern bezieht sich ebenso auf viele andere Faktoren wie etwa Alter, Herkunft, Motivation etc. Dabei wird angestrebt, die Trennung von Kunst und Leben aufzuheben (vgl. Fernández Serrato 1995b, 55). So schreiben Fernando Millán und Jesus García Sánchez hinsichtlich ihrer präsentierten Anthologie:
[Q]ueremos únicamente hacer notar que las obras y los autores aquí reunidos remiten en gran parte a experiencias y conceptos de la vida excesivamente próximos y palpitantes para la cultura oficial; por ello los juicios de valor, o las teorizaciones tradicionales de ésta, únicamente pueden ser útiles para una más perfecta confusión. Las claves de este libro están menos en otros que en la experiencia personal y comunitaria de cada cual; menos en las teorías estéticas que en una nueva forma de percibir -y vivir- la poesía y el arte. (Millán/García Sánchez 2005 [1975], 12)
Die Autoren wollen im Namen der in ihrer Anthologie aufgeführten Dichterinnen und Dichter bewusst Nähe zum gesellschaftlichen Geschehen halten und distanzieren sich explizit von einem selektiven Anspruch im poetischen Schaffen. Sie fordern an anderer Stelle ein, dass jedes visuelle Gedicht angenommen werde und somit auch jeder Mensch als Dichter akzeptiert werden könne.
Ein Beispiel für die demokratische Idee des Dichters ist die Revista Laurel, in der der Herausgeber und Dichter Francisco Aliseda bewusst möglichst viele verschiedene Menschen dazu einlädt, poemas objeto zu kreieren. Ein anderes Beispiel ist der Premio de Poesía Experimental, der von der Diputación de Badajoz ausgeschrieben wird und an dem sowohl renommierte Dichterinnen und Dichter als auch beispielsweise Schüler und Schülerinnen teilnehmen. Alle eingesendeten Werke werden nach denselben Kriterien bewertet.
1.3.2.2 Die Innenperspektive: poética interna
In den vorangehenden Kapiteln stand insbesondere die begriffliche und phänomenologische Betrachtung der Poesía Visual im Vordergrund. Dabei wurden bestimmte Charakteristika des Werkes, das poema visual, ansatzweise angeführt. Im Folgenden soll es explizit um die Poetik und die Formspezifik des visuell-poetischen Textes gehen. Von der Innenperspektive einiger Akteure ausgehend, einer poética interna, die als Teil des poetischen Gesamtwerkes verstanden werden kann, wird in den darauffolgenden Kapiteln das poema visual genauer in den Blick genommen.
Als Poetik kann im Allgemeinen die Reflexion über Entstehung, Wesen, Formen, Wirkung und Funktion von Dichtung bezeichnet werden (vgl. Zymner 2007b, 592). Die Betrachtung der Poetik im Hinblick auf die Poesía Visual im Vergleich zur poesía de vanguardia erscheint aufgrund folgender Zusammenhänge relevant: Erstens sind „selbstständige Poetiken“ (ebd.), sogenannte poéticas internas (vgl. Fernández Serrato 1995a, 1995b, 2005), häufig zu beobachten und werden meist in manifestartigen Positionen oder in Prologen von Anthologien (beispielsweise Millán/García Sánchez 2005 [1975]; López Gradolí 2007, 2012; Peralto 2012; Reglero 2013) explizit als solche deklariert; zweitens ist diese Praxis auf die vanguardia zurückzuführen, in der in Manifesten und Proklamationen Überlegungen sowohl über Wesen, Wirkung und Funktion als auch über Verfahren und Klassifizierungen angestellt werden.
Erkenntnisse aus der poética interna geben Aufschluss über das Eigen- und Selbstverständnis der Poesía Visual sowie Anhaltspunkte über Entstehungsprozesse von poemas visuales (vgl. Fernández Serrato 1995b, 55). So fasste der Dichter César Reglero in Sobre poéticas visuales o la dificultad de las definiciones eine Innenperspektive der Poesía Visual zusammen (2013). Dabei stützt er sich ausschließlich auf Selbstpoetiken18 und -definitionen von Dichterinnen und Dichter. Allerdings handelt es sich hier weniger um eine wissenschaftliche Zuordnung und Analyse der Vorgehensweisen als vielmehr um die kreative und freie Darstellung eines Mitwirkenden.
Auch die Stellungnahmen der im Rahmen dieser Forschungsarbeit interviewten Dichterinnen und Dichter (Entrevistas a poetas visuales españoles, siehe Anhang 1) liefern Erkenntnisse über das Selbstverständnis der aktuellen Poesía Visual. Die Interviews wurden mit dem Ziel gehalten, einen Einblick in die Anschauungen aktueller Dichterinnen und Dichter zu bekommen, ohne dabei eine literaturwissenschaftlich tiefergehende Analyse der Stellungnahmen zu verfolgen. Es wurden fünfundzwanzig Dichterinnen und Dichter angeschrieben, deren poemas Teil des Korpus darstellen. Von ihnen haben vierzehn (zwölf Dichter und zwei Dichterinnen) dem Interview zugestimmt und die Fragen schriftlich (digital) beantwortet; zwei haben der Veröffentlichung ihrer Stellungnahmen nicht zugestimmt.
Es kristallisierten sich zwei Aspekte aus den Stellungnahmen heraus, die zum einen bereits bei Reglero (2013) nachzulesen sind und zum anderen für die gattungstheoretischen (insb. Kapitel 1.4 und 1.5) sowie gattungshistorischen (Kapitel 2) Untersuchungen von Belang sind: erstens der Zusammenhang zur avantgardistischen Denkweise und zweitens die Beschreibungen zu den eigenen Entstehungsprozessen und Gestaltungsformen von visuell-poetischen Texten.
So sind in den Stellungnahmen eindeutige Bekenntnisse zu den Grundzügen der vanguardia festzustellen (vgl. Entrevistas: Francisco Aliseda, Francisco Peralto, Julián Alonso, siehe Anhang 1). Dass die Poesía Visual an die avantgardistische Kunstidee anschließt, wird bereits durch den Antrieb deutlich, überhaupt innenperspektivische Definitionen zu äußern (wie ebenfalls bei Reglero 2013). Interessant ist ferner, dass gleichzeitig mit dem Gedanken an eine mögliche Definition stets angemerkt wird, dass Poesía Visual nur bedingt definierbar sei (vgl. ebd.; Aliseda, Frage 2; Jáuregui, Frage 2; Joaquín Gómez, Frage 1). Obwohl der Eindruck entsteht, dass durch die Definitionsversuche der Dichterinnen und Dichter weniger Klarheit als Konfusion geschaffen wird, helfen ihre Gedanken zu verstehen, auf welcher Linie sie sich selbst sehen. Die Infragestellung von Definitionen stützt sich auf die Prämissen der Avantgarde, deren Anhänger Kunst ganz bewusst von Kategorien und Determinationen zu befreien suchen und sich an der Erschaffung eines Gesamtkunstwerkes, im Spanischen arte total, orientieren (vgl. auch Entrevista Peralto, Frage 6). Reglero beschreibt diesen Aspekt unter „el mestizaje de las zonas fronterizas: un camino hacia un arte total“ und erklärt, dass Poesía Visual keineswegs nur als „un terreno fronterizo entre la literatura y la plástica“ gesehen werden darf (Reglero 2013, 17). Vielmehr verbinde sie sich ebenso mit anderen Elementen, beispielsweise „la acción“ und „lo sonoro“ (ebd. 18).
Die Aussagen der poetas visuales lassen auf einen direkten Zusammenhang zu einem weiten Verständnis von Kunst, die keine Grenzen kennt, schließen. Entweder wird auf abstrakte Weise lediglich geäußert, dass verschiedene künstlerische Disziplinen das visuelle Gedicht ausmachen, wie es Antonio Gómez formuliert: „Las distintas disciplinas poéticas coexisten independientes y en algunas ocasiones de una manera anárquica“ (Entrevista Antonio Gómez, Frage 2). Oder es wird konkret über „la aceptación de la poesía visual como una disciplina autónoma, independiente tanto del arte como de la literatura situándola en una posición híbrida entre ambas“ (Entrevista Juan José Ruiz Fernández, Frage 7), der Poesía Visual als „unabhängige“ und hybride Kunstform gesprochen. Unverkennbar ist hier die bereits von der klassischen Avantgarde propagierte „künstlerische Alternative zur hegemonialen Kunst“ (van den Berg/Fähnders 2009, 1; Kapitel 1.3.1.), die darauf zielt, die Grenzen der Künste zu überschreiten, sodass hybride Kunstwerke entstehen.
Interessant erscheinen zudem die Äußerungen der Befragten zum Phänomen der „Poesía Visual Española“ (Entrevista, Fragebogen, Frage 1), aus denen fast ausnahmslos hervorgeht, dass die Dichterinnen und Dichter eine nationale Spezifik der visuellen Poesie als nicht zutreffend betrachten und dagegen sogar darauf bestehen, dass die Poesía Visual als „en gran medida universal“ verstanden wird „y en ese sentido sería equiparable [..]