Didaktik und Neurowissenschaften. Michaela Sambanis
abgebildet) erneut weitergegeben wird.
2.1 Warum chemische SynapsenSynapse ?
Neurone leiten Informationen in Form elektrischer Signale, der sogenannten AktionspotentialeAktionspotential, teilweise über weite Strecken. Die Übertragung der Aktivität erfolgt aber in den meisten Fällen nicht direkt, indem der elektrische Impuls zwischen NeuronenNeuronen überspringt.1 Vielmehr führt der elektrische Impuls, der über ein AxonAxone zur SynapseSynapse läuft, dazu, dass am Ende des Axons Botenstoffe (NeurotransmitterNeurotransmitter) ausgeschüttet werden. Die DendritenDendriten der nachgeschalteten NervenzelleNervenzellen (und evtl. auch noch andere Stellen auf ihrer Zelloberfläche) nehmen den Neurotransmitter über Rezeptoren auf, die in der Synapse lokalisiert sind. In Abhängigkeit von der Menge des Neurotransmitters öffnen sie einige oder viele Kanäle in der Zelloberfläche. Durch diese Kanäle strömen positiv geladene (Natrium-)Ionen in die Nervenzelle ein und verändern die elektrische Spannung zwischen Innenseite und Außenseite der Nervenzelle. Wenn das an mehreren Stellen der Zellmembran geschieht, strömt so viel Natrium in die Zelle ein, dass ein neuer elektrischer Impuls in die Informationen empfangenden Zelle ausgelöst wird, der dann als sogenanntes Aktionspotential über das Axon der Nervenzelle wieder an weitere Neurone geschickt wird. Auf diese Weise wechseln sich elektrische und chemische Signale ab, wenn Informationen zwischen Nervenzellen weitergegeben werden. Die Umwandlung braucht einige Zeit und beeinflusst die Verarbeitungsgeschwindigkeit des Nervensystems deutlich. Wo aber liegt der Vorteil dieser komplizierten und zeitraubenden Umwandlung der Signale?
Zum einen sind chemische SynapsenSynapse gut regulierbar. Eine Reduktion oder Anhebung der im AxonAxone verfügbaren Neurotransmittermenge hat umgehend Einfluss auf die Intensität der weitergegebenen Signale. Andere Stoffe z.B. HormoneHormone oder Botenstoffe, die von anderen NeuronenNeuronen oder Gliazellen ausgeschüttet werden, können die Wirkung von Neurotransmittern verstärken oder verringern. Eine solche Feinregulierung ist bei direkter elektrischer Übertragung nicht möglich.
Zum zweiten können chemische SynapsenSynapse ihre Übertragungseigenschaften durch Umbau langfristig und dauerhaft verändern. Diese Fähigkeit zum Umbau wird als synaptische PlastizitätPlastizität bezeichnet. Sie ist die Grundlage von Lernprozessen und erlaubt es, neue Erfahrungen und Lerninhalte im Gehirn zu verankern, indem Synapsen vergrößert werden. Von den größeren Synapsen werden Nervenimpulse schneller und effektiver weiterleitet. In diesen Verbindungen zwischen NervenzellenNervenzellen ist das Wissen repräsentiert und kann durch AktivierungAktivierung des entsprechenden Nervennetzes abgerufen werden.
Bei der Geburt eines Menschen sind die meisten NeuronenNeuronen bereits vorhanden. Auch grundlegende Verbindungen sind bereits angelegt, darunter die Verbindungen zwischen verschiedenen Arealen der GroßhirnrindeGroßhirnrinde, Verbindungen von den Sinnesorganen zur Großhirnrinde2 und von der Großhirnrinde über das RückenmarkRückenmark zur Muskulatur.
Ab der Geburt nimmt die Anzahl der SynapsenSynapse in der GroßhirnrindeGroßhirnrinde rasant zu (vgl. Casey et al. 2005). Das bedeutet, dass sich die VernetzungVernetzung zwischen den NervenzellenNervenzellen sinnvollerweise überwiegend erst nach der Geburt vollzieht, denn so hat das Gehirn die Möglichkeit, seine Vernetzung auf die vorhandene Umwelt auszurichten. Unter diesem Aspekt ist es auch alles andere als verwunderlich, dass der motorische Cortexmotorischer Cortex, also der Teil der Großhirnrinde, der Signale an die Muskulatur sendet, um willkürliche Bewegungen zu erzeugen, bei der Geburt bereits eine intensive Vernetzung aufweist (vgl. Casey et al. 2005). Schließlich hat sich das Kind im Mutterleib schon viele Male bewegt. Ähnlich ist es beim sogenannten somatosensorischen Cortexsomatosensorischer Cortex, der Berührungs- und Tasteindrücke verarbeitet, u.a. eben die Berührung mit Fruchtblase oder Nabelschnur, aber auch die Eindrücke, die entstehen, wenn das Kind sich selbst berührt. Diese beiden Gehirngebiete sind in Abb. 3 dunkelrot und dunkelblau gefärbt. Direkt nach der Geburt folgt die Zunahme der Vernetzung der Hirngebiete, die Signale von Auge und Ohr erhalten, des primären visuellenvisuell CortexCortex (SehcortexSehcortex, pink in Abb. 3) und des primären auditorischenauditorisch Cortex (HörcortexHörcortex, dunkelgrün in Abb. 3). Zwar gibt es im Mutterleib schon viel zu hören und auch ein bisschen was zu sehen, aber diese Sinneseindrücke unterscheiden sich von dem, was ein Säugling nach der Geburt wahrnimmt. Der primäre Hörcortex und der primäre Sehcortex, die als erste Areale der Großhirnrinde die Signale der jeweiligen Sinnesorgane empfangen,3 haben zum Zeitpunkt der Geburt knapp die Hälfte der Verbindungen erstellt, die während des Reifungsprozesses zwischen den NeuronenNeuronen gebildet werden und erreichen die höchste Anzahl an Verbindungen, wenn das Kind etwa sechs Monate alt ist (vgl. Huttenlocher & Dabholkar 1997).
Abb. 3: Seitenansicht der linken Großhirnhälfte. Das GroßhirnCortex ist in vier Bereiche unterteilt: FrontallappenFrontallappen (auch Stirnlappen, rot), ParietallappenParietallappen (Scheitellappen, blau), TemporallappenTemporallappen (Schläfenlappen, grün) und OkzipitallappenOkzipitallappen (Hinterhauptslappen, pink/rosa). Im Frontallappen (hier links abgebildet) finden schwerpunktmäßig Prozesse statt, die mit Handlungen und Bewegungen im Zusammenhang stehen, die anderen Bereiche dienen überwiegend der Verarbeitung und Analyse von Sinnesinformationen. Die primären Arealeprimäre Areale, also die Ein- und Ausgangsgebiete des Cortex sind in dunklen Farben gekennzeichnet (motorisch: rot, somatosensorisch/taktil: blau, auditorischauditorisch: grün, visuellvisuell: pink, die olfaktorischen und gustatorischen Areale liegen weiter unten bzw. innen im Großhirn und sind daher in dieser Seitenansicht nicht erkennbar).
Beim erwachsenen Menschen unterscheiden sich die Regionen der GroßhirnrindeGroßhirnrinde sowohl in ihrer Funktion als auch in ihrem zellulären Aufbau, z.B. in der Dicke bestimmter Schichten oder der Häufigkeit bestimmter Neuronentypen (vgl. Brodmann 1909). Während ihrer Entstehung dagegen sind die kortikalen Regionen einander noch sehr ähnlich und im Prinzip könnte jeder Cortexbereich jede Art von Information verarbeiten. Welche Aufgabe eine Hirnregion letztlich übernimmt, hängt davon ab, welchen Input sie bekommt. Manche Cortexregionen erhalten als Input die Informationen von einem Sinnesorgan, andere haben als Eingangssignal bereits vorverarbeitete Sinnesinformationen oder auch schon vollständig verarbeitete Eingänge aus mehreren Sinnessystemen, die die entsprechende Cortexregion dann zu „Gesamteindrücken“ zusammenfügen kann. Je nachdem, welche Art von Input eine Region erhält, entwickeln sich die NervenzellenNervenzellen und ihre Verbindungen unterschiedlich. Aber nicht nur das Eingangssignal hat Einfluss auf die Funktion eines Hirngebietes. Es ist auch notwendig, dass das Ergebnis der Arbeit einer Nervenzelle sozusagen einen Empfänger hat, der etwas damit anfangen kann. Dieser Empfänger ist eine andere Nervenzelle, entweder im selben Hirngebiet oder in einer anderen, sogenannten nachgeschalteten Hirnregion, die die Ausgangssignale der ersten Hirnregion erhält. Die groben Verbindungen zu der Region, die das Ausgangssignal erhält, sind durch GeneGene und die darauf aufbauenden Entwicklungsprozesse bereits festgelegt (vgl. Infobox 2.3). Wie aber weiß eine Nervenzelle, dass ihre Botschaft empfangen wurde?
Der gesamte Vorgang lässt sich am einfachsten an einem Beispiel erklären: Angenommen, eine NervenzelleNervenzellen im primären visuellenvisuell CortexCortex, also in der Sehrinde, erhält über den ThalamusThalamus ein Eingangssignal von einer Sinneszelle des Auges. Sie reagiert beispielsweise auf rotes Licht. Auf ein einzelnes Eingangssignal reagiert unsere Nervenzelle zunächst noch nicht.4 Wenn aber gleichzeitig oder auch kurz nacheinander mehrere Impulse eintreffen, ist das ein Hinweis darauf, dass „da draußen etwas ist“. Unser NeuronNeuronen erzeugt daraufhin selbst einen elektrischen Impuls, den es als Signal „rotes Licht gesehen“ über das AxonAxone an andere, nachgeschaltete Nervenzellen weiterschickt.
Der NervenzelleNervenzellen ist, bildlich gesprochen, natürlich nicht bewusst, dass sie gewissermaßen eine Entscheidung gefällt hat. Vielmehr haben die Eingangssignale dazu geführt, dass ein AktionspotentialAktionspotential gebildet wurde, das über das AxonAxone der Nervenzelle u.a. an die benachbarten Neurone weitergeleitet wird (vgl. Infobox 2.1). Dieses Aktionspotential ist ein Signal für die benachbarten Neurone, die möglicherweise ebenfalls auf rotes Licht reagieren. Auf diese Weise bestätigen benachbarte Zellen sich gegenseitig, dass