Paulusstudien. Friedrich W. Horn

Paulusstudien - Friedrich W. Horn


Скачать книгу
bleibt spekulativ. Die nachhinkende Zuordnung des Timotheus zu Γάϊος Δερβαῖος mag an dieser Stelle wohl dadurch veranlasst worden sein, dass Timotheus aus Lystra in Lykaonien stammt. Allerdings kann er wohl kaum als Delegat der Gemeinde in Betracht kommen, da er seit seiner Christwerdung beständiger Reisebegleiter des Paulus ist (Apg 16,3; 17,14f.; 18,5; 19,22). Daher wird gelegentlich vermutet, dass eine Erwähnung des Timotheus nicht in der Vorlage des Kollektenberichts zu lesen war, sondern erst von Lukas zugefügt wurde. Ein Gaius aus Derbe ist im Übrigen nicht bekannt, wohl aber ein Gaius aus Makedonien, der zudem in Apg 19,29 neben Aristarch, dem thessalonischen Delegaten, erwähnt wird. Die von D (gig) bezeugte Herkunftsbezeichnung Δουβ(ε)ριος hat möglicherweise eine Sachkorrektur vorgenommen und an die westnordwestlich von Philippi gelegene Stadt Doberos angeglichen, wenn nicht gar Lukas eine entgegengesetzte, aber fälschliche Korrektur seiner Vorlage vorgenommen hat.6 Es ist daher denkbar, dass auch Gaius zu den makedonischen Delegaten gehörte. Damit aber ist auch gegeben, dass sehr wohl makedonische, aber keinesfalls achaische Vertreter der Kollektendelegation angehören.7 Die Liste wird abgeschlossen durch die Erwähnung von Tychikos und Trophimos als Vertretern der Asia.8 Die Anwesenheit des Letzteren in Jerusalem wird sodann, ausgelöst durch asiatische Juden, einen Vorwand zum Vorgehen gegen Paulus hergeben (Apg 21,29; vgl. aber auch die nachträgliche Korrektur in 2Tim 4,20). Es ist nicht unwichtig, dass die Zusammensetzung dieser Delegation neben eindeutig heidenchristlichen Vertretern (auf jeden Fall Trophimos) auch judenchristliche Mitglieder kennt. Sopater zählt nach Röm 16,21 gemeinsam mit Loukios und Jason zu den Judenchristen9, außerdem auch Timotheus (Apg 16,1–3). Paulus hatte unmittelbar vor Antritt der Reise in Röm 15,26f.$Röm 15,26f. die Kollekte der makedonischen und achaischen Gemeinden betont als Gabe der Heidenchristen angesprochen. In dem gleichen Maß, in dem die Gesandtschaft des unbeschnittenen Titus zum Apostelkonvent (Gal 2,3) einen demonstrativen Charakter für die Legitimität des Heidenchristentums hat, repräsentiert nach Lukas die Delegation durch ihre Mitglieder die Einheit der Kirche aus Heiden- und Judenchristen.

      Weder der vermutete Einsatz des Kollektenberichts in Apg 20,4 noch sein Inhalt und Abschluss in Apg 21,18 geben auch nur an einer Stelle etwas zu erkennen über die Funktion dieser Delegation und den Zweck der Reise. Es werden die Reisestationen und auch jeweilige Zeitpunkte durchgehend festgehalten. Auch werden die Gefahren, die mit der Ankunft in Jerusalem verbunden sind, mehrfach betont (außerhalb der redaktionell eingeflochtenen Miletrede in Apg 20,18–35 und ihres Rahmens noch in Apg 21,4.11.12–14). Die Stilisierung der Reise zu einem MartyriumMartyrium ist die lukanische Interpretation, die vom faktischen Ausgang des Geschehens her denkt. Die Leser werden hingegen über den wirklichen Zweck der Reise im Unklaren gelassen. Die Zusammensetzung der Delegation aus makedonischen, asiatischen und lykaonischen Christen lässt eher an eine Begleitung aus den wesentlichen paulinischen Missionsgebieten denken als an eine Kollektendelegation, die letztlich nach Röm 15,26 und nach 2Kor 8–9$2Kor 8–9 ausschließlich auf Achaia und Makedonien hätte zurückgreifen können. Wenn Lukas wirklich einen Kollektenbericht verwendet, dann hat dieser Bericht sich also darauf beschränkt, nicht mehr als eben Stationen, Zeiten und Namen festzuhalten. Über Anlass, Durchführung und Abschluss der Kollekte hat er geschwiegen. Oder Lukas hat jeglichen Hinweis darauf aus diesem Bericht entfernt? Das Missverhältnis zwischen den klaren Angaben zu den Delegationsteilnehmern und ihrer Funktionslosigkeit im Folgenden lässt vermuten, dass Lukas sich von den Aussagen seiner Quelle wegbewegt. Die Vorkommnisse um den asiatischen Delegationsteilnehmer Trophimus (Apg 21,29) deuten katastrophale Umstände für die Kollektenübergabe an.

      5. Der Verbleib der Kollekte

      Der in Apg 20,5–21,17$Apg 20,5–21,17 vorliegende Umfang des Kollektenberichts enthält keine Aussagen zur Kollekte. Ob in einer erweiterten Fassung über 21,17 hinaus etwas zu ihrer Übergabe gesagt war und ob Lukas diese Informationen zugänglich waren, entzieht sich unserer Kenntnis. Auch wenn Lukas bisher beharrlich zur Kollektenthematik im Kontext der paulinischen Mission geschwiegen hat und selbst die Existenz einer sich aus den Gemeinden zusammensetzenden Kollektendelegation zu einer Reisebegleitung des zum Martyrium schreitenden Paulus uminterpretiert hat, so geben doch wenige Hinweise im Kontext der Darstellung des Aufenthalts des Paulus in Jerusalem und Caesarea Anlass für die Vermutung, dass ihm rudimentäre Kenntnisse gegenwärtig waren. Es wird an drei Stellen festgehalten oder zumindest vorausgesetzt, dass Paulus in Jerusalem mit einer größeren Geldsumme eingetroffen ist. Ein Bezug zur Kollekte wird allerdings an keiner der Stellen hergestellt.

      Am klarsten spricht Apg 24,26$Apg 24,26 diesen Sachverhalt an. Der Statthalter Felix verzögert den Prozess in Caesarea auch, weil er hofft, von Paulus Geld zu erhalten. Hiermit wird einerseits der traditionelle Topos der Bestechlichkeit der Beamten aufgerufen. Andererseits aber liegt es Lukas fern, römische Beamte ohne Not in schlechtem Licht darzustellen. Ganz ohne Anhalt an einer Tradition kann dieser Vers daher schlecht erklärt werden. Nicht auszuschließen ist, dass die langwierige Prozessverschiebung gerade im Blick auf das Vorhandensein der Kollekte einerseits und auf den Topos der Bestechlichkeit andererseits hier eine Erklärung gefunden hat.1

      In der Verteidigungsrede vor dem Statthalter Felix erklärt Paulus in Apg 24,17$Apg 24,17: δι᾽ ἐτῶν δὲ πλειόνων ἐλεημοσύνας ποιήσων εἰς τὸ ἔθνος μου παρεγενόμην καὶ προσφοράς. Hinsichtlich der korrekten Übersetzung gehen die Vorschläge bezüglich der Zuordnung des εἰς τὸ ἔθνος μου auseinander. Καὶ προσφοράς hinkt zudem merkwürdig nach und scheint an Apg 21,26 erinnern zu wollen. Geläufig ist die Übersetzung: „Nach vielen Jahren bin ich gekommen, um Almosen für mein Volk zu bringen und Opfer“.2 Daneben wird übersetzt: „Nach vielen Jahren bin ich zu meinem Volk gekommen, um Almosen zu bringen und Opfer.“3 Nur wer die paulinischen Briefe und die Selbstverpflichtung des Apostelkonvents (Gal 2,10b) kennt, wird durch die Zeitbestimmung δι᾽ ἐτῶν δὲ πλειόνων an den Sachverhalt erinnert, dass Paulus die Kollekte mit erheblicher Verzögerung überbringt und in der Tat nach einem Zeitraum von etlichen Jahren Jerusalem erstmals wieder aufsucht.4 Hingegen besitzt die Wendung ἐλεημοσύνας ποιήσων … καὶ προσφοράς sprachlich keine Übereinstimmung mit denjenigen Begriffen, die Paulus für die Kollekte einsetzt (διακονία, λειτουργία, λογεία, κοινωνία, χάρις). Bezieht man hingegen beide Glieder ἐλεημοσύνας ποιήσων … καὶ προσφοράς deutlicher aufeinander, dann dienen sie dazu, Paulus als frommen jüdischen Wallfahrer zu kennzeichnen.5 Auch ist die Adressatengruppe εἰς τὸ ἔθνος μου, wenn man der zuerst genannten Übersetzung folgt, nicht mehr identisch mit derjenigen in den paulinischen Briefen, nach denen nämlich die Armen unter den Heiligen in Jerusalem, also Judenchristen Empfänger der Kollekte sind. So bleibt mit Sicherheit allein der Sachverhalt, dass Paulus mit einer größeren Geldsumme nach Jahren nach Jerusalem kommt, der an die Kollekte denken lässt. Von Lukas ist dieser Bezug allerdings nicht hergestellt worden.

      Schließlich setzt der von Jakobus unterbreitete Vorschlag der Auslösung der vier NasiräerNasiräer und seine Akzeptanz durch Paulus (Apg 21,18–26) notwendig voraus, dass Paulus als im Besitz größerer Geldmittel befindlich vorgestellt wird. Die Übernahme der Auslösungskosten für vier Nasiräer sind beträchtlich, da in diesem Fall u.a. vier einjährige Schafe als Brandopfer, vier einjährige Schafe als Sündopfer und vier Widder als Dankopfer hätten dargebracht werden müssen.6 Daher wird gelegentlich vermutet, Paulus habe die Kollekte oder zumindest einen Teil derselben für die Auslösung dieser Judenchristen verwendet.7 Unter allen diskutierten Möglichkeiten zur Beantwortung der Frage nach dem Verbleib der Kollekte kann diese Vermutung immerhin für sich beanspruchen, dass sie einen gewissen Anhalt am Quellenbefund der Apostelgeschichte hat und mit der paulinischen Zielsetzung, den Armen unter den Heiligen in Jerusalem zu dienen (Röm 15,31$Röm 15,31), entspricht.8 Freilich gilt auch hier festzuhalten, dass Lukas wiederum keinen Hinweis auf die Kollekte bietet, ihm vielmehr daran gelegen ist, Paulus als frommen Wallfahrer zu kennzeichnen, der jüdische Sitten respektiert.

      Die Beantwortung der Frage, welchen Ausgang die Kollektenreise denn wirklich gehabt hat, hängt nicht unwesentlich von der Überzeugungskraft der Hypothese eines Lukas


Скачать книгу