Redeflüssigkeit und Dolmetschqualität. Sylvi Rennert

Redeflüssigkeit und Dolmetschqualität - Sylvi Rennert


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2012) zum Einsatz kommen.

      In einem Pilotversuch untersucht Grübl (2010) den Einfluss der Stimmlage auf die Verständlichkeit von Dolmetschungen und vergleicht das Verständnis der Dolmetschungen mit dem des AT (siehe 3.3.2). Diese Methodik wird im QuaSI-Projekt weiterentwickelt und für die Studie zu Simultandolmetschen vs. Englisch als Lingua Franca (Reithofer 2014) sowie die Untersuchung des Einflusses der Parameter Intonation (Holub 2010) und Flüssigkeit (Rennert 2010, 2013, vorliegende Arbeit) auf die kognitive Wirkung der Dolmetschung verwendet.

      Wie besprochen soll zusätzlich zu diesem produktbezogenen Qualitätsbegriff auch die kundInnenseitig wahrgenommene Qualität erhoben werden. Beim im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführten Experiment ist ein Ratingformat gut geeignet, um die subjektive Bewertung des Versuchsmaterials durch die ProbandInnen zu erheben. Die Ratingfragen können ebenso wie der Hörverständnistest in schriftlicher Form administriert werden. Diese subjektiven Bewertungen können dann den Ergebnissen des Hörverständnistests gegenübergestellt werden, um so ein mehrdimensionales Bild der Qualität zu erhalten und gleichzeitig festzustellen, ob und in welcher Weise die beiden Qualitätsperspektiven auseinandergehen.

      Beispiele für die hier besprochenen und andere Methoden der Qualitätsforschung in der Dolmetschwissenschaft finden sich in Kapitel 3, in dem ausgewählte Studien vorgestellt werden, die sich mit Redeflüssigkeit als Qualitätsmerkmal befassen. Der Begriff der Redeflüssigkeit wird nachfolgend definiert.

      2.2 Redeflüssigkeit

      Wie bei der Qualität ist auch die Definition von Redeflüssigkeit nicht einfach. Bei der Bewertung von Gesprochenem – seien es Dolmetschungen, öffentliche Ansprachen oder der Fremdsprachenunterricht – wird häufig die Flüssigkeit der Rede als wichtiges Kriterium genannt, das die Qualität der Darbietung mit ausmacht. Angesichts der großen Bedeutung, die der Flüssigkeit in vielen Bereichen beigemessen wird, erscheint es erstaunlich, dass eine eindeutige und allgemein anerkannte Definition des Begriffes bislang ausständig ist. Zwar wird der Begriff in der Fachliteratur vieler Disziplinen häufig verwendet, oft jedoch ohne nähere Definition. Auch wenn die meisten Menschen sagen können, ob sie etwas Gehörtes als „flüssig“ oder „unflüssig“ empfinden, so sind diese Einschätzungen keinesfalls einheitlich, sodass der Begriff der Flüssigkeit nicht als allgemein eindeutig definiert vorausgesetzt werden kann.

      Dieser Abschnitt widmet sich daher zunächst in 2.2.1 eingehend der Problematik der Begriffsbestimmung. Danach werden in 2.2.2 verschiedene Ansätze besprochen und es wird eine Definition von Flüssigkeit für den Bereich der Dolmetschwissenschaft aufgestellt, deren Komponenten anschließend näher beschrieben werden. Die Begriffe Flüssigkeit und Redeflüssigkeit werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet.

      2.2.1 Problematik der Definition

      Eine grundsätzliche Schwierigkeit liegt in den vielfältigen Bedeutungen und vor allem auch in der alltagssprachlichen Verwendung des Begriffs (vgl. Aguado Padilla 2002: 14, Guillot 1999: vii, Koponen & Riggenbach 2000: 19). Sowohl die deutschen Ausdrücke „Flüssigkeit der Rede“, „Sprechflüssigkeit“, „Redeflüs­sigkeit“ oder „fließend“ als auch das englische „fluency“ bzw. „fluent“ haben in unterschiedlichen Disziplinen verschiedene Bedeutungen.

      Zu den Disziplinen, die sich unter diversen Gesichtspunkten mit Flüssigkeit beschäftigen, zählen u.a. Psychologie, Psycholinguistik, Soziolinguistik, Sprachpathologie und Fremdsprachendidaktik (vgl. Aguado Padilla 2002: 12f.). Diese enorme Bandbreite an verschiedenen Perspektiven und unterschiedlichen Weisen, in denen „Flüssigkeit“ verstanden wird, erklärt zum Teil das Fehlen einer einheitlichen Definition. Doch auch innerhalb der einzelnen Fachgebiete hat sich bislang keine allgemein akzeptierte Definition herausgebildet, und es herrscht allenfalls Einigkeit darüber, dass es sich um ein komplexes Phänomen handelt, für das es keine einheitliche Definition gibt (vgl. Aguado Padilla 2002: 14, Freed 2000: 245, Guillot 1999: vii, Koponen & Riggenbach 2000: 19). Guillot (1999: vii) stellt fest, dass der Begriff der Flüssigkeit trotz des Fehlens einer klaren Definition von ExpertInnen wie auch Laien mit einer Selbstverständlichkeit verwendet wird, die angesichts der intuitiven Herangehensweise kaum gerechtfertigt erscheint:

      Fluency is an elusive notion. It has a foot in almost every language-related discipline, without being the province of any one in particular, and crosses over boundaries in a way which has made it resistant to analysis and rationalisation, even within applied linguistics. Yet it is peculiarly available to all, language specialists and non-specialists, as a measure of oral performance, and is used with a confidence which hardly seems justified in view of the scarcity of accounts governed by anything other than intuition. (Guillot 1999: vii)

      Allgemeinsprachlich wird der Begriff der Flüssigkeit vor allem im Zusammenhang mit der Beherrschung von Fremdsprachen verwendet, etwa in „fließend Französisch sprechen“. In diesem Sinne ist Flüssigkeit das höchste erreichbare Niveau auf einer Skala, die aus Abstufungen wie „Grundkenntnisse“, „gute Kenntnisse“ und „fließend in Wort und Schrift“ besteht. (vgl. Lennon 1990: 389) Flüssigkeit wird aber manchmal auch mit Eloquenz, geistreicher oder witziger Konversation oder auch Geschwätzigkeit gleichgesetzt (vgl. Fillmore 1979: 93). Andere wiederum sehen grammatikalische Korrektheit als Bestandteil flüssiger Rede an (vgl. Freed 2000: 254), während vor allem im englischen Sprachraum im Bereich der Fremdsprachendidaktik „fluency“ (im Sinne von „ohne Unterbrechungen sprechen“) in Opposition zu „accuracy“ gestellt wird (vgl. Brumfit 2000, Freed 2000: 244).

      Neben dieser allgemeinen Ebene gibt es das engere Verständnis von Flüssigkeit als Komponente der mündlichen Sprachkompetenz. Dies ist vor allem im Fremdsprachunterricht der Fall, wo mündliche Leistungen nach Kriterien wie Aussprache, Grammatik, Wortschatz, idiomatischer Ausdruck und Flüssigkeit der Rede beurteilt werden. Hier gibt es oft auch verschiedene Abstufungen von „Flüssigkeit“. (vgl. Lennon 1990: 389) Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen etwa beschreibt Flüssigkeit allgemein als „the ability to articulate, to keep going, and to cope when one lands in a dead end“ (COE 2000: 128). Flüssigkeit ist dort in eine 6-stufige Skala unterteilt, deren höchste Stufe lautet: „Can express him/herself at length with a natural, effortless, unhesitating flow. Pauses only to reflect on precisely the right words to express his/her thoughts or to find an appropriate example or explanation“ (COE 2000: 129).

      Neben diesen zwei Bedeutungen, die sich vor allem auf die Sprachbeherrschung und die Ausdrucksweise beziehen, ist Flüssigkeit aber auch ein prosodisches Merkmal der gesprochenen Sprache, das wie Intonation, Lautstärke und Rhythmus jede Äußerung begleitet und prägt (vgl. Ahrens 2004: 76f.). In diesem Sinne, in dem sie vor allem in der Linguistik und in jüngerer Zeit auch in der Dolmetschwissenschaft behandelt wird, soll Flüssigkeit in der vorliegenden Arbeit verstanden werden.

      2.2.2 Flüssigkeit als Funktion temporaler Variablen

      Wie bereits einleitend erwähnt, ist Flüssigkeit aufgrund der Vielfalt an Bedeutungen ein schwer fassbarer Begriff. Problematisch ist dabei nicht nur, dass es sehr viele verschiedene Definitionen gibt, sondern auch, dass oft überhaupt auf eine nähere Definition verzichtet wird oder diese implizit vorausgesetzt wird, wie Guillot (1999) feststellt:

      [W]hile references to it in applied linguistics are frequent, attempts to circumscribe it and get to grips with what is involved are few, in a field otherwise so punctilious in defining its concepts.(…) Although the question of fluency is sometimes signalled as a problem area (…), its meaning on the whole tends to be simply assumed, taken for granted, or elusively defined – explicitly or implicitly – as something like ‘ease of communication’ or ‘smoothness of expression’, that is to say in ways reminiscent of general dictionary definitions. (Guillot 1999: 3)

      Nicht selten wird von einem intuitiven Gefühl für Flüssigkeit ausgegangen (vgl. Aguado Padilla 2002: 14), oder es werden „schwer zu operationalisierende, subjektive und intuitive Begriffe“ (Aguado Padilla 2002: 13) ins Treffen geführt, wie hier von Ejzenberg, die von „unnatürlichen“ Unterbrechungen des Redeflusses spricht:

      Oral fluency


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