Bruder Tier. Karl König

Bruder Tier - Karl König


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Lebens durchdrungen ist, betrachtet Karl König das Tierreich, woraus der Titel Bruder Tier hervorgeht. Es handelt sich um ein uraltes, aber von uns heute in neuer Form zu erringendes Mysterienprinzip, an dem Karl König von den allerverschiedensten Seiten lebenslang gearbeitet hat. Hier steht das Tier in der Mitte zwischen Mensch und Pflanze. Eine knappe Beschreibung dieses Mysterienprinzips, von Rudolf Steiner geschildert, sei hier angeführt. Ausgehend von der Fortpflanzung im Bereich der Pflanzen beschreibt er:

      Wer in die tieferen Beziehungen eindringt, betrachtet die Pflanze als einen umgekehrten Menschen. Sie hat unten die Wurzel, dann nach oben den Stängel, Blätter, Staubgefäße und Stempel; die Stempel enthalten die weiblichen, die Staubgefäße die männlichen Befruchtungsorgane. In naiver Unschuld streckt die Pflanze die Befruchtungsorgane der Sonne entgegen, denn die Sonne ist die Befruchtungskraft. Die Wurzel ist in Wahrheit das Haupt der Pflanze, welche die Befruchtungsorgane in den Weltenraum hinausstreckt und deren Kopf von dem Innern des Erdzentrums angezogen wird. Der Mensch ist umgekehrt, er hat das Haupt oben und die Organe, die die Pflanze zur Sonne hinaufstreckt, unten. Das Tier steht in der Mitte, es hat den Leib horizontal. Wird die Pflanze halb gedreht, so ergibt sich die Stellung des Tieres, wird sie ganz umgedreht, die des Menschen. Das hat die alte Geheimwissenschaft in einem uralten Symbol ausgedrückt, im Kreuz, und hat gesagt, wie Plato es nach den alten Mysterien ausdrückt: Die Weltenseele ist ans Kreuz des Weltenleibes geschlagen. – Das heißt, die Weltenseele ist in allem enthalten, aber sie muss sich hinaufarbeiten durch diese drei Stufen hindurch; sie macht ihre Reise am Kreuz des Weltenleibes durch.10

      Erdenkreuz der Weltenseele, nach einer Zeichnung Rudolf Steiners11

      Diesen Zusammenhang behandelte Rudolf Steiner in der Zeit 1905/06 öfter; zum Beispiel auch in einem Vortragszyklus in Paris über Kosmogonie.12 Hier kann uns eine Formulierung besonders interessieren:

      Nehmen wir einmal an, wir sähen zwei Brüder, von denen der eine intelligent und schön, der andere hässlich und beschränkt ist. Was würde man von einem Menschen sagen, der glauben würde, dass der intelligente Bruder von dem idiotischen abstamme? Auf dieser Linie liegt der Irrtum des Darwinismus in Bezug auf die Rassen. Der Mensch und das Tier haben einen gemeinsamen Ursprung. Die Tiere sind eine Dekadenzerscheinung von einem gemeinsamen Vorfahren, von dem der Mensch den höheren Entwicklungsgrad darstellt.

      Das braucht uns nicht hoffärtig zu machen, denn nur den niederen Reichen ist es zu danken, dass die höheren sich entwickeln konnten.13

      Anschließend stellt Rudolf Steiner diese Tatsache in einen Zusammenhang mit der Demut des Christus bei der Fußwaschung (Joh. 13). Diese Haltung ist es, die wir bei Karl König erleben können und die zu der Formulierung «Bruder Pferd» im letzten der Aufsätze führte, woraus der Freund und Verleger Fritz Götte den Buchtitel Bruder Tier ableitete. Im gesamten Werk finden wir immer wieder Textstellen, in denen Karl König das Tier als vom ätherischen Weltenwesen durchzogenes Geschöpf schildert. Auf diese Zusammenhänge ist er bereits durch Goethes Metamorphoselehre aufmerksam geworden, die von diesem Strom des Lebens handelt, der in seinen typischen Ausprägungen – als «Typus» bezeichnet – von der Urpflanze zum Urtier bis herauf zum Menschen in drei Stufen aufsteigt, von denen Goethe einmal sagt:

      Ich war völlig überzeugt, ein allgemeiner, durch Metamorphose sich erhebender Typus gehe durch die sämtlichen organischen Geschöpfe durch, lasse sich in allen seinen Teilen auf gewissen mittleren Stufen gar wohl beobachten, und müsse auch noch da anerkannt werden, wenn er sich auf der höchsten Stufe der Menschheit ins Verborgene bescheiden zurückzieht.14

      Damit ist das innerste Wesen des naturforscherischen Goetheanismus gekennzeichnet, den König als junger Student zu erfassen vermochte und an dessen Entfaltung er zeitlebens arbeitete. Die große Aufmerksamkeit, die er dabei der Zoologie widmete, bezeugt seine noch heute vorhandene Bibliothek, in der sich mehr als 190 wissenschaftliche Werke befinden, die mit zahlreichen Randbemerkungen versehen sind.

      Das Hauptwerk seines Lebens aber besteht nicht in gedruckten Texten, sondern in dem Aufbau der als «Camphill» bekannt gewordenen therapeutischen Gemeinschaft, die in Schottland begann und inzwischen weltweit gewachsen ist. Hier widmet man sich der Therapie Seelenpflege-bedürftiger Kinder und Jugendlicher sowie der sozialtherapeutischen Arbeit mit erwachsenen Menschen. Dabei kommt es zu einer therapeutischen Gemeinschaftsbildung, die mit dem Suchen und dem Aufbau einer wahrhaft geist- und naturgemäßen Sozialordnung verbunden ist. Den Aufbau dieser Arbeit nimmt der fünfunddreißigjährige König in Zusammenarbeit mit zwei Jugendgruppen in Angriff. Bei dieser Unternehmung wird er besonders von Dr. Ita Wegman begleitet, der ärztlichen Mitarbeiterin Rudolf Steiners, bei der er in der klinischen und heilpädagogischen Arbeit assistiert hatte. Unter den vielen Freunden der damaligen Zeit sei der Arzt Eugen Kolisko hervorgehoben. Kolisko kannte König bereits aus der gemeinsamen Jugendzeit in Wien. Er wurde von Rudolf Steiner als Schularzt an die erste Waldorfschule nach Stuttgart berufen und bekam von ihm auch entscheidende Hinweise zur kosmischen Gliederung des Tierreiches.15

      Die Freunde verband das Interesse für Medizin und Zoologie sowie das gemeinsame Anliegen im Hinblick auf die Ernährung, die Landwirtschaft und das soziale Leben. So wirkten sie immer wieder an Tagungen zusammen und trafen sich 1938 im britischen Exil wieder, wo aber die Hoffnungen auf eine konkretere Zusammenarbeit 1939 durch Koliskos frühen Tod abbrachen. 1930 hatte Kolisko über Die zwölf Gruppen der Tiere in Zusammenhang mit dem Tierkreis publiziert. Das ist direkt auch für die Entstehung von Bruder Tier wichtig, denn Karl König knüpfte daran an: Obwohl er gerade erst nach Schottland gekommen war, mit der Gründung der kleinen Gemeinschaft und ihren alltäglichen Pflichten sehr beschäftigt war, schrieb er 1939 und 1940 ausführlich über die Tiere und den Tierkreis.16 Die vorbereitenden Notizen nehmen fast hundert Seiten in seinem Notizbuch ein, die er wohl hauptsächlich auf der wöchentlichen Zugfahrt nach Dundee schrieb, denn er musste regelmäßig zur Universität, weil sein deutschsprachiges medizinisches Studium in der Kriegszeit nicht anerkannt wurde. Trotz allem war es ihm wichtig, diese umfassende Arbeit fertig zu stellen; eine Arbeit, die er über viele Jahre vertiefte und in verschiedenen Kursen, Vorträgen und Seminaren – später auch für Ärzte und Künstler – darstellte. Zusammen mit Bruder Tier zeugen sie davon, dass König, getragen von einem umfassenden Wissen, durch seine bildhafte Art des Betrachtens,17 die nur aus dem im Herzen erwachten Denken gegründet ist, tiefere Schichten des Tierreichs erschließt, was für alle Menschen, besonders aber auch für Lehrer wegweisend ist. Von Zuhörern seiner damaligen Vorträge erfahren wir, wie diese Bildhaftigkeit unmittelbar wirkte und auf das Publikum übersprang. Seine Darstellungsart vermittelte reichhaltige innere Bilder, doch wenn er über Tiere sprach, reichten wenige Gesten oder ein kurzer, schaukelnder Gang und man erlebte den Elefanten vor sich.

      In der seit 2007 erscheinenden Karl König Werkausgabe sind bereits einige Ausführungen über Tiere erschienen, die König für Landwirte gab.18 Aus der Fülle seiner Arbeiten werden weitere Schriften zum Thema zu publizieren sein. Bruder Tier erschien erstmals als Aufsatzreihe in der Zeitschrift Die Drei; 1956 die Beiträge über «Die Wanderungen der Aale und Lachse» und «Die Taube als heiliger Vogel». Fritz Götte, Mitbegründer des Verlag Freies Geistesleben und ab 1953 Redakteur der Zeitschrift, hat die elf Aufsätze kurz nach Königs Tod als Buch zusammengefasst. Allerdings war der letzte Teil – über das Pferd – noch nicht ganz fertiggestellt, denn an diesem Aufsatz schrieb König im wahrsten Sinne des Wortes noch in seinen letzten Tagen. Auf Seite 48 des Manuskriptes stand als letzte Überschrift: «Epilog». Wir haben es dem einfühlsamen Verleger Götte zu verdanken, der ein enger Freund Königs geworden war, dass wir heute etwas davon erahnen können, wie König den Abschluss wohl hätte gestalten wollen. Unter Verwendung der Vorbereitungsnotizen rundete Fritz Götte den Epilog und somit das Buch selbst ab. Im Geleitwort zur ersten Auflage 1967 berichtet Götte von dem Gespräch mit König im Jahr 1959, in dem beschlossen wurde, die Reihe fortzusetzen:

      Hierbei fiel das Wort, wir sollten versuchen, immer mehr Tiere aus ihrer heutigen Gefährdung, ja Ausrottung durch den Menschen in eine Arche Noah, welche sich in der Menschenseele selber bilden sollte, hineinzuretten.

      Diese


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