Die Mito-Medizin. Lee Know
und Krankheit ist – der Grund, weshalb Sie dieses Buch lesen –, müssen wir an dieser Stelle jedoch weiter in die Tiefe gehen.
Beginnen wir mit den Ausgangsstadien des Glukosestoffwechsels, der Glykolyse, die im Zytosol abläuft. Hier wird die Glukose (also der Zucker) über eine bestimmte Abfolge chemischer Reaktionen in das Molekül Pyruvat umgewandelt. Das Pyruvat wird anschließend in die Matrix der Mitochondrien transportiert, wo es über eine weitere Reaktionskette zu Acetyl-Coenzym A (Acetyl-CoA) wird. Danach beginnt die eigentliche Magie, denn Acetyl-CoA ist das Ausgangsprodukt für den Zitronensäurezyklus, in dem die abschließende Energiegewinnung aus der Nahrung optimiert wird. Bei diesem Schritt entsteht Kohlendioxid (CO2), das wir ausatmen, sowie zwei Energiemoleküle: NADH und FADH2. Auch beim Abbau von Fettsäuren entsteht Acetyl-CoA, das gleichfalls den Zitronensäurezyklus durchläuft.
Die nächste Phase nennt sich oxidative Phosphorylierung und findet in der inneren Mitochondrienmembran statt. Die reaktionsfreudigen Elektronen aus NADH und FADH2 werden über diverse Carrier in der Transportkette weitergereicht und reagieren letztlich mit Sauerstoff. Dabei entsteht Wasser. Bei jedem Schritt in der Atmungskette pumpt die Energie, die bei diesen Transferreaktionen von den Elektronen abgegeben wird, Protonen (Wasserstoffatome) aus der Matrix in den Intermembranraum. Dabei entsteht eine hohe Protonenkonzentration zwischen den Membranen und eine niedrige Konzentration in der Matrix. Dieser Konzentrationsunterschied (der Gradient) ist gespeicherte potenzielle Energie. Die hohe Protonenkonzentration im Intermembranraum will „stromabwärts“ in die Matrix fließen. Das erfolgt über spezialisierte Kanäle, die dann Adenosintriphosphat (ATP) erzeugen, die universelle Energiewährung, die alle Zellen verwenden, um ihren Aufgaben nachzugehen. Dieser Vorgang entspricht einem Reservoir (Intermembranraum) hinter einem Staudamm (innere Membran), in das Wasser (Protonen) gepumpt wird. Wenn das Wasser über einen Kanal im Damm abgeleitet wird, treibt es die Turbinen an, die hydroelektrische Energie produzieren (siehe Abbildung 1.2).
Abbildung 1.2 Der Prozess der Energieproduktion in den Mitochondrien entspricht den Grundprinzipien eines Wasserkraftwerks. Wenn Wasser (Protonen) in ein Reservoir (Intermembranraum) läuft, das von einem Damm (innere Membran) abgesperrt ist, baut sich Druck auf. Dieser Druck bringt das Wasser dazu, durch einen Kanal im Damm abzufließen, wobei es die Turbinen antreibt, damit hydroelektrische Energie entsteht.
Das ist ein sehr effizienter Weg, die in der Nahrung gespeicherte Energie zur ATP-Produktion zu nutzen. Letztlich dienen all die unverzichtbaren Prozesse, über die sich der Körper am Leben hält (z. B. Atmen und Essen), dem Zweck, die Mitochondrien mit den Substanzen zu versorgen, aus denen sie Energie erzeugen. Aus etwas ernüchternder, reduktionistischer Sicht könnte man auch behaupten, wir wären nur dazu da, um unsere Mitochondrien am Leben zu erhalten.
Wie eine heiße Kartoffel: Die Elektronentransportkette
In den Mitochondrien wurden vier membrangebundene Komplexe identifiziert. Drei davon werden als Protonenpumpen bezeichnet. Jeder dieser Komplexe ist eine ungemein komplizierte Struktur, die in die innere Membran eingebettet ist. Die verschiedenen Komponenten der Elektronentransportkette – auch Atmungskette – sind in der folgenden Abbildung 1.3 dargestellt. Man erkennt, wohin die Protonen (H+) gepumpt werden, wenn man den Fluss der Elektronen (e–) entlang der Elektronentransportkette verfolgt. Komplex I nimmt Elektronen von NADH auf und gibt sie an Coenzym Q10 weiter (CoQ10, in der Abbildung als Q gekennzeichnet). CoQ10 erhält auch über Komplex II Elektronen. Danach gibt CoQ10 diese Elektronen an Komplex III weiter, der sie an Cytochrom c abgibt. Cytochrom c gibt seinerseits Elektronen an Komplex IV weiter. Dieser Komplex übernimmt die Elektronen und zwei Wasserstoffionen (H+) und lässt sie mit Sauerstoff (O2) zu Wasser (H2O) reagieren.
Entscheidend ist an dieser Stelle, dass die Weitergabe der Elektronen entlang dieser Kette nicht immer hundertprozentig funktioniert. Einige Elektronen gehen bei diesem „Heiße-Kartoffel-Spiel“ verloren und treten in die Matrix über. Solche ungebundenen Elektronen reagieren dort vorzeitig mit Sauerstoff und erzeugen so Superoxid, ein potenziell gefährliches freies Radikal. Freie Radikale sind hoch reaktionsfreudige Moleküle, die zu oxidativem Stress beitragen. Dieser Prozess scheint an diversen Krankheiten und dem Alterungsprozess selbst beteiligt zu sein, was ich noch genauer darstellen werde.
Abbildung 1.3 Die Elektronentransportkette einschließlich ATP-Synthase: Der Zitronensäurezyklus erzeugt NADH und FADH2, die in Komplex I beziehungsweise Komplex II in die Elektronentransportkette eintreten. Beide Komplexe geben die entstehenden Elektronen (e–) an Coenzym Q10 (Q) ab. Diese Elektronen wandern weiter, bis sie am Ende mit Sauerstoff (O2) zu Wasser reagieren. In Komplex I, III und IV werden Protonen (H+) gepumpt, wodurch der Protonengradient entsteht. Über die ATP-Synthase fließen die Protonen zurück und bilden ATP.
Für alle, denen das Konzept der freien Radikale bereits vertraut ist, dürfte interessant sein, dass die endogenen freien Radikale (die wir selbst produzieren und die nicht aus anderen Quellen wie Umweltgiften stammen) in erster Linie der Elektronentransportkette entspringen. All dies wird gleich noch viel einleuchtender werden. Die Grundlagen der Elektronentransportkette und ihrer Bestandteile sind damit jedoch ausreichend erläutert.
Kohlenmonoxidvergiftung
Bei einer Kohlenmonoxidvergiftung ersetzt dieses Gift den Sauerstoff, der am Ende der Atmungskette die Elektronen aufnehmen sollte. Da diese Endabnahme nicht mehr möglich ist, kommt die Zellatmung zum Stillstand, denn die Elektronen können nicht entsorgt werden. Wird das Kohlenmonoxid nicht ausgeleitet, sterben die Mitochondrien. Das wiederum führt zum Zelltod und tötet am Ende den Menschen, der dem Kohlenmonoxid ausgesetzt war.
Komplex I: Die erste Stufe der Elektronentransportkette
Komplex I, die NADH-Dehydrogenase, ist ein großes Molekül, das sich aus 46 Proteinuntereinheiten zusammensetzt. Er spaltet zwei Elektronen von NADH ab und überträgt sie auf ein fettlösliches Carrier-Molekül, Ubiquinon. Ubiquinon ist oxidiertes CoQ10 oder „Q“. Über zwei Schritte wird CoQ10 zu Ubiquinol (QH2) reduziert, wobei vier Protonen (H+) durch die Membran gepumpt werden und einen Protonengradienten erzeugen. An dieser Stelle in der Elektronentransportkette kommen die meisten Elektronen abhanden, die dann schädliche Superoxid-Radikale erzeugen.
Komplex II: Die zweite Stufe und eine Abkürzung zur Elektronentransportkette
Dieser einzigartige Komplex, auch als Succinat-Dehydrogenase bezeichnet, ist unmittelbar am Zitronensäurezyklus und der Elektronentransportkette beteiligt. Es handelt sich um einen kleinen Komplex aus nur vier Proteinuntereinheiten. In der Elektronentransportkette ist er der einzige Komplex, der keine Protonen pumpt. Er dient dazu, über FADH2 weitere Elektronen aus Succinat an das CoQ10 weiterzugeben. Über FADH2 kann Komplex II auch weitere Elektronendonatoren (z. B. Fettsäuren) in die Elektronentransportkette einspeisen.
Komplex III: Die Zwillinge und Meisterjongleure
Komplex III ist die Cytochrom-c-Reduktase, auch als Cytochrom-bc1-Komplex bezeichnet. Es handelt sich um ein Dimer, also einen Komplex, der aus zwei identischen, einfacheren Komplexen besteht. Jeder Teil des Dimers setzt sich aus elf Proteinuntereinheiten zusammen; insgesamt enthält Komplex III also 22 dieser Untereinheiten.
Abbildung 1.4 Komplex I übernimmt Elektronen von NADH