Vernunft und Offenbarung. Micha Brumlik

Vernunft und Offenbarung - Micha Brumlik


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sich entweder mit vernünftigen Argumenten auf einen Disput mit der Philosophie einzulassen – und dabei stets von anderem Gebrauch zu machen denn alleine von Glaubenswahrheiten, und so schließlich den Glauben verraten zu haben – oder aber den Disput an irgendeiner Stelle mit dem Hinweis zu beenden, daß über diese oder jene Wahrheiten des Glaubens nicht mehr debattiert werden könne. Argumentativer Glaube oszilliert stets zwischen der Skylla der Selbstaufgabe an die Vernunft und der Charybdis törichten Beharrens. Aus dieser Schwierigkeit führen zwei Wege heraus, deren ersten die scholastische Theologie beschritten hat, nämlich der Versuch, die menschliche Vernunft in der Übereinstimmung mit der biblischen Wahrheit zu verkünden, also gleichsam die Parallelität von Weltvernunft und Glauben zu konstruieren. Der zweite Weg ist uns nach Immanuel Kant vertraut, er besteht „lapidar gesagt“ darin, Vernunft und Glauben zu entwirren und beiden je ihr eigenes, nicht miteinander konkurrierendes Recht einzuräumen. Unter einem anderen Gesichtspunkt wird sich freilich diese Entzerrung von Vernunft und Glauben als besonders vernünftig erweisen. Dies nachzuweisen, war das Lebenswerk Salomon Ludwig Steinheims, des positivistisch gesonnenen Arztes, dem die Versuchung des Übertritts zum Christentum, der eine ganze Generation deutscher Juden erlag, nicht fremd war. Sein zwischen 1835 und 1865 verfaßtes theologisches Lebenswerk Die Offenbarung nach dem Lehrbegriffe der Synagoge entfaltet in vier Bänden in immer neuen Durchgängen und Erweiterungen die These von der Vernünftigkeit der Trennung zwischen Vernunft und Offenbarung und ist dabei um den Nachweis bemüht, daß im rechtverstandenen rabbinischen Judentum diese Differenz konstitutiv geworden sei; gerade so, wie das historisch entstandene Christentum diese Differenz spätestens seit dem Johannesevangelium zugunsten einer Vermengung von philosophischer Spekulation und messianischem Glauben aufgegeben habe.

      Nichts könnte darum auch falscher sein, denn Steinheim als den Philo des neunzehnten Jahrhunderts zu bezeichnen. Denn so sehr Steinheim in Bezug auf Kant das gewesen sein mag, was Philo hinsichtlich Platos war, so sehr nimmt Steinheim gegen Philos Spekulation Stellung, gerade so, wie Kant in der Kritik der reinen Vernunft gegen die rationale Psychologie und Metaphysik des Platonismus Stellung nahm. Mehr noch: Steinheim sah in den großen rationalistischen jüdischen Religionsphilosophen, in Philo von Alexandrien und Baruch Spinoza seine eigentlichen Antipoden, jene Denker, die erst – in der Antike – das Christentum vorbereiteten und dann – im Zeitalter der Aufklärung – die jüdischen Grundideen der Freiheit und Verantwortlichkeit der Menschen verdunkelten. Denn Freiheit und Moralität – so weiß Steinheim von Kant – sind Fakten, die wissenschaftlich und philosophisch nicht beweisbar, sondern als vorgegebene allenfalls zu begreifen sind. Die Freiheit des Menschen aber hängt von Gottes freiem und persönlichem Handeln in der Schöpfung ab; jede Vorstellung von einer an sich ewigen Materie, die der Gott nur gestaltet, oder einer Identität zwischen Gott und Materie zerstört die Grundlagen des sittlichen Lebens. Dieser Umstand war – so Steinheim – Descartes und Kant noch geläufig, während er schon von den jüdischen Hellenisten Aristobul und Philo sowie von Spinoza systematisch verleugnet wurde.

      „Das Dasein der Materie war also diesen beiden Denkern [Descartes und Kant, M.B.] dem Vater und dem Reiniger der modernen Philosophie, das Wunder aller Wunder, die Tat des unbegreiflichen, geoffenbarten Gottes. Dies verkennen, oder verdunkeln, oder endlich gar verleugnen, wie es die drei Judenphilosophen, namentlich Philo und Spinoza getan, heißt ‚Gott‘ nicht kennen, sondern nur den schlechten, ohnmächtigen Götzen, der mit dem schwachen Menschen auf einer Linie steht, und der eisernen Notwendigkeit des Faktums und an das Mögliche, was die gleich ihm ewige Materie zuläßt, gebunden, den blinden Mächten des Naturgesetzes unterworfen ist. Wir erblicken in dieser Philosophenlehre mora mathematico den verhüllten Apisdienst, den des goldenen Kalbes, indem sich das zeugend-ordnende Naturferment versinnlicht findet, ein weltordnender Phallus, der nur zeugen, nicht erschaffen kann.“35

      Steinheim verbindet in seinem theologischen Werk Motive einer offensiven Polemik frühneukantianischer Art gegen die spekulativen Überlegungen des „Deutschen Idealismus“ auf der Linie Fichte-Hegel-Schelling mit einer soliden geführten Apologetik des Judentums wider rationalistische Religionsphilosophie und romantisch inspirierte Religionsgeschichte. Steinheim hat früh erahnt und richtig gesehen, daß ein sich argumentativ gebender Antijudaismus hier seine stärksten Stützen finden würde. Hier warnte nicht nur das Beispiel Spinoza, sondern auch die unverblümte antijüdische Polemik, wie sie sich im Werk etwa Ferdinand Christian Baurs oder Ignaz von Döllingers, zweier bedeutender Religionswissenschaftler seiner Zeit, findet.36 Und tatsächlich: es war die Religionsphilosophie des Deutschen Idealismus in Verbindung mit Einsichten der religionsgeschichtlichen Schule, die den prononciertesten Antijudaismus nationalsozialistischer Christen, etwa Gerhard Kittels oder Emanuel Hirschs, inspirierte.37

      Die Argumentationslinie scheint zwingend: Vor dem Richterstuhl einer aufgeklärten Vernunft gerät nicht nur die Zuverlässigkeit der biblischen Zeugnisse in Beweisnot, sondern auch ihr Inhalt. Wie soll es vernünftig begründet sein, daß Gott sich partikular einem kleinen Hirtenvolk zuwandte und nur ihm die Botschaft von Freiheit und Erlösung vermittelte, nicht aber allen Menschen? Endlich: wenn Vernunft autonom geworden ist, so wird sie sich nicht mehr der Vorgegebenheit eines Textes unterwerfen, sondern das, was sie allein als Gott begreifen kann, nämlich das Absolute, aus eigener Kraft konstruieren. Zudem: historische Forschung schien zu zeigen, daß das Judentum weder die älteste, noch gar die erhabenste Religion war. Die entstehende Orientalistik entdeckte den Glauben Alt-Irans ebenso wie die Systeme etwa des alten Babyloniens, und einem vorurteilsfreien Blick mußten sofort Ähnlichkeiten zwischen diesen Bildungen und dem Judentum auffallen. Schließlich erscheint das Judentum als ein ephemeres Resultat altorientalischer Religionsentwicklung, als doch eher begrenztes Durchgangsstadium zum Christentum, in dem durch den Einfluß der griechischen Philosophie die spekulative Vernunft schon immer ihr Recht hatte. Endlich wirkt das Judentum als bornierte Religion, die weder die Tiefe der Menschheitsgeschichte noch die Höhe des spekulativen, vernünftigen Gedankens zu akzeptieren bereit ist. Unter diesen – im neunzehnten Jahrhundert tatsächlich so verlaufenden – geistespolitischen Fronten konnte im Gegenzug zwischen Historismus und Spekulation nur der Rückgriff auf positive (Natur)-Wissenschaft, auf autonome Moral und eben „Offenbarung“ helfen! An diesem Zentralbegriff eines autonom gewordenen, von jeder menschlichen Vermittlung freien Glaubens muß sich erweisen, ob die Tradition biblischen Denkens nach der Aufklärung noch eine Chance haben kann. Wenn sich zeigen läßt, daß die Selbstoffenbarung des biblischen Gottes am Sinai wenigstens nicht im Widerspruch zum empirischen und kausalitätsgebundenen Denken der modernen Naturwissenschaft steht, dann mag es nicht nur möglich, sondern geradezu geboten sein, diesem Gott zu glauben, wenn anders Freiheit, Moral und Menschenwürde nicht verspielt werden sollen. So sehr nun die Geschichte eines idealistisch instrumentierten Christentums und seiner antisemitischen Konsequenzen Steinheim recht gegeben haben mag, so wenig ist der Sache nach entschieden. Denn zwar gilt auch vom Denken, daß man es an seinen Früchten erkennen solle, gleichwohl muß sich ein argumentativ auftretendes Denken auch an der Güte seiner Argumente prüfen lassen. Da Steinheim, anders als die jüdische Altorthodoxie, nicht schlicht auf dem Glauben beharrt, sondern die Vernünftigkeit des Festhaltens an ihm diskursiv begründen möchte, sind diese Argumente selbst diskursiv zu überprüfen. Zudem ist zu fragen, ob der Gegner, gegen den er sich richtet, nämlich die von ihm so genannten „Mythophilosopheme“, die in der von Steinheim eher peripher erwähnten Philosophie Schellings ihren deutlichsten Ausdruck gefunden haben, von ihm angemessen bekämpft wird.38 Tatsächlich war die geistespolitische Lage komplizierter, als sie sich bisher darstellte. Denn die große idealistische Philosophie der Fichte, Hegel und Schelling war keineswegs bereit, der sich erneuernden orthodoxen Religion, sei sie nun jüdischer oder christlicher Provenienz, den Begriff der „Offenbarung“ kampflos abzutreten, im Gegenteil: die spekulative Durchdringung der menschlichen Geschichte überbot Spinozas Gedanken eines mit der Natur identischen Gottes durch die Idee eines sich durch die Geschichte entfaltenden und somit offenbarenden Gottes. Eine den biblischen Glauben verteidigende Position muß also nicht nur den Begriff „Offenbarung“ als vernünftig rekonstruierbar ausweisen, sondern zudem noch die Position behaupten, daß diese Offenbarung sich als punktuelles Ereignis in der Geschichte und nicht als der geschichtliche Prozeß selbst abgespielt habe. Im Werk des späten Schelling schießen jene Elemente, die Steinheim wechselseitig bekämpft hatte, nämlich eine rationalistische Gottesspekulation sowie eine Geschichte


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