Die Rentenberatung. Wolfgang Wehowsky
Den bislang nicht versicherungspflichtigen Selbständigen wurde die Möglichkeit eingeräumt, auf Antrag versicherungspflichtig zu werden. Außerdem konnten sie von einer äußerst vorteilhaften Beitragsnachentrichtung bis zum 01.01.1956 zur Schließung vorhandener Beitragslücken Gebrauch machen. Die dabei erzielbare Rendite des eingezahlten Beitrages betrug dabei zum Teil mehr als 30 bzw. 40 Prozent pro anno.
Einführung flexibler AltersgrenzenDie starre Regelaltersgrenze mit 65 Jahren gehörte ab 01.01.1973 der Vergangenheit an. Wer die besondere Wartezeit von 35 Versicherungsjahren (Beitrags-, Ersatz- und Ausfallzeiten sowie der Zurechnungszeit) erfüllte, konnte die „flexible“ Altersrente – abschlagsfrei – bereits ab dem 63. Lebensjahr beziehen. Bis zur Änderung durch den neugewählten Bundestag war der Rentenbezug sogar ohne jegliche Einschränkungen neben dem vollen Arbeitsverdienst zugelassen. Erst ab 01.04.1973 wurden die Hinzuverdienstmöglichkeiten neben der flexiblen Altersrente auf 30 Prozent der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze festgelegt.Schwerbeschädigte Versicherte (heute: Schwerbehinderte) erhielten diese flexible Altersrente – auf Antrag – bereits ab dem 62. Lebensjahr.
Rente „nach Mindesteinkommen“Dadurch wurden Kleinstrenten langjährig pflichtversicherter Arbeitnehmer deutlich angehoben. Wer mindestens 25 anrechnungsfähige Versicherungsjahre ohne freiwillige Beiträge und Ausfallzeiten zurückgelegt hatte, erhielt einen Zuschlag an Werteinheiten in der Rentenberechnung (dies aber begrenzt auf die Pflichtbeiträge bis zum 31.12.1972). Die Werte für die Pflichtbeiträge wurden um die Hälfte – höchstens aber auf 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten – angehoben.Die Rente nach Mindesteinkommen führte allein zur Anhebung von mehr als 12 Prozent aller Renten, wobei in 4 von 5 Fällen diese Erhöhung Frauen zugutekam. Dadurch wurde das vom Gesetzgeber anvisierte Ziel erfüllt, die geschlechterspezifisch bedingte Lohnminderung langjährig erwerbstätiger Frauen zu beseitigen.
1.3 Gesetzliche Änderungen von 1972 bis 1992
Es fällt schwer, sich für diesen Zeitraum auf die wichtigsten Rechtsänderungen zu beschränken. So viel hat sich in diesem 20-Jahreszeitraum mit konjunkturellen Schwierigkeiten (bedingt durch die Ölkrise) und gesellschaftlichen Umbrüchen ereignet.
Gesetzliche Änderungen von 1972–1992
Konsolidierungsmaßnahmen in den 70er Jahren
1.07.1977 – Rentenanpassungsgesetz (RAG) –Verschiebung der Rentenanpassung (9,9 Prozent) um sechs Monate vom 1.07.1977 auf 1.01.1978Einführung der Versicherungs- u. Beitragspflicht für Arbeitslosgengeld- und hilfebezieher (ab 1.07.1978 bis 31.12.1982)
1.07.1978 – 21. RAG –Abkoppelung der Rentenanpassung von der Lohndynamikfeste Anpassungssätzezum 1.01.1979 4,5 Prozent (anstatt 7,2 Prozent)zum 1.01.1980 4,0 Prozent (anstatt 6,2 Prozent)zum 1.01.1981 4,1 Prozent (anstatt 6,0 Prozent)
Auf die im Alten Testament verkündeten „sieben fetten Jahre“ folgten nun auch in der Sozialpolitik „sieben magere Jahre“, wobei man sich an der Exaktheit der Zeitrechnung nicht festhalten sollte.
Verschiebung der Rentenanpassung im Jahr 1977 um 6 Monate
Feste Anpassungssätze von 1979 bis 1981
Die mit der Rentenreform 1972 prognostizierten hohen Einnahmeüberschüsse von mehr als 210 Milliarden DM bis 1986 ließen sich aufgrund der weltweiten Rezession durch den Ölpreisschock (1973/1974) nicht mehr realisieren. Deshalb waren 1977 (20. RAG) und 1978 (21. RAG) drastische Konsolidierungsmaßnahmen notwendig, mit der die Rentenanpassungsdynamik der bruttolohnbezogenen Rente deutlich gebremst wurde.
Als leistungssteigernde Neuregelung entpuppte sich dagegen die
Einführung der Versicherungs- und Beitragspflicht für Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfebezieher (01.07.1978 bis 31.12.1982).Sie hatte ihre Ursache in arbeitsmarkt-, sozial- und finanzpolitischen Beweggründen. Die steigende Zahl der Arbeitslosen führte zu Einnahmeausfällen in der Rentenversicherung, während die Bundesanstalt für Arbeit über ein hohes Rücklagenpolster verfügte. Diese vom Bundesarbeitsminister Ehrenberg betriebene Einbindung der Arbeitslosen in die Versicherungspflicht der Rentenversicherung hat politisch unter der Bezeichnung „Verschiebebahnhof“ zwischen den Trägern der Sozialversicherung einen symbolischen Prägestempel erhalten.
Mit der Neuregelung des Scheidungsrechtes und dem Wechsel vom Verschuldens- zum Zerrüttungsprinzip folgte der Gesetzgeber ab 1977 langjährigen gesellschafts- und familienpolitischen Forderungen – vor allem mit Blick auf den Aufbau einer eigenständigen Alterssicherung für Frauen.
Gesetzliche Änderungen von 1972–1992
Einführung des Versorgungsausgleichs bei Ehescheidungen nach dem 30.06.1977 (Reform des Ehe- und Familienrechts in Kraft ab 1.07.1977)
Erschwerung der Anspruchsvoraussetzungen für BU/EU-Renten ab 1.01.1984 (+ 36 Pflichtbeiträge in den letzten 60 Kalendermonaten)
Hinterbliebenenrenten- u. Erziehungszeiten – Reform vom 1.01.1986 anEinführung von Kindererziehungszeiten als Versichungszeiten in der Rentenversicherung (heute Pflichtbeitragszeiten!)Unbedingte Witwen- u. Witwerrente mit Einkommensanrechnung
Einführung des Versorgungsausgleichs bei Ehescheidungen nach dem 30.06.1977Der Versorgungsausgleich löste einen nur unter erschwerten Voraussetzungen zu erwerbenden Rentenanspruch auf sog. Geschiedenenwitwenrente ab. Die in der Ehezeit erworbenen gemeinsamen Rentenansprüche werden zusammengerechnet und beiden Eheleuten zu gleichen Teilen zugeordnet. Der betragsmäßige Wertausgleich erfolgt im Wesentlichen in der Rentenversicherung über den vom Familiengericht festgestellten Versorgungsausgleich.
Erschwerung der Anspruchsvoraussetzungen für Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrenten (BU/EU)Bei Leistungsfällen ab 01.01.1984 wird die heute als Erwerbsminderungsrente bezeichnete Rentenart nur noch bei vorheriger versicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit bewilligt. Neben der normalen Wartezeit von 60 Monaten Versicherungszeit müssen in einem Zeitraum, der die letzten 60 Kalendermonate vor der Erwerbsminderung umfasst, mindestens 36 Kalendermonate an Pflichtbeiträgen nachgewiesen werden.Damit zusammenhängend wurde im Haushaltsbegleitgesetz 1984 auch die Wartezeit für die Regelaltersrente ab 65 von 180 auf 60 Kalendermonate Versicherungszeit reduziert. Übrigens für Neurentner ab 01.01.1984 ist der Kinderzuschuss zur Versichertenrente weggefallen. Er betrug zuletzt 152,90 DM monatlich. Die Bruttoanpassung der Renten wurde mit der Einführung eines – sukzessiv steigenden – Eigenbetrages der Rentner zu ihrer Krankenversicherung abgeschwächt.
Hinterbliebenenrenten und Erziehungszeiten – Reform ab 01.01.1986Durch die Neuordnung des Hinterbliebenenrentenrechts sind seit 1986 Männer und Frauen bei der Gewährung von Hinterbliebenenrente gleichgestellt. Eine unabdingbare Witwen- und Witwerrente wurde aber mit der Anrechnung von Erwerbs- bzw. Erwerbsersatzeinkommen des Hinterbliebenenrentners verknüpft.Einen wichtigen Baustein zur eigenständigen sozialen Sicherung der Frauen stellt die Einführung der Kindererziehungszeit von einem Jahr pro Kind dar.
1.4 Die Rentenreform 1992Rentenreform 1992
Mit dem dritten großen Reformwerk sollten „Beständigkeit und Verlässlichkeit“, restituiert, die sich „laufend ändernden“ – ökonomischen, sozialen, demografischen – Bedingungen integriert, rechts- und sozialpolitische Fehlentwicklungen korrigiert, der Vertrauensschutz garantiert und die Finanzen konsolidiert werden (BT-Drs. 11/4124, S. 138–145).
Die Rentenreform 1992 wurde gekleidet in das neue Sozialgesetzbuch VI. Buch (SGB VI). Im SGB VI wird das gesamte materielle Recht der gesetzlichen Rentenversicherung für alle Versicherungszweige zusammengefasst. Damit traten zum 01.01.1992 die Reichsversicherungsordnung, das Angestelltenversicherungsgesetz und das Reichsknappschaftsgesetz im Rentenrecht außer Kraft.
Die Rentenreform 1992
Die wichtigsten Grundsätze sind:
Nettoanpassung der Renten
stufenweise Heraufsetzung der vorzeitigen und flexiblen Altersgrenzen