Gesammelte Werke. Sinclair Lewis

Gesammelte Werke - Sinclair Lewis


Скачать книгу
hübsch, so zu reden. Auch wenn einer nicht selber tut, was recht ist, so ist das noch keine Entschuldigung dafür, Leute auszulachen, die 's tun, wie Prediger … Da liegt bei Jim der Fehler.«

      »Ich bin nicht würdig, Prediger zu sein. Aber wenn Jim Lefferts auch nur eine einzige Sekunde meint, daß ich Angst davor hab', Prediger zu werden, weil er 'ne Menge Blödsinn daherredet – ich glaub', ich weiß am besten, wie mir war, wie ich aufgestanden bin und die ganzen Leute gerufen und sich gefreut haben – ich glaub', ich weiß am besten, ob ich 'ne Erweckung durchgemacht hab' oder nicht! Und ich brauch' auch gar keinen James Blaine Lefferts, der mir das sagt!«

      So ging es eine ganze Stunde auf dem erschöpfenden Weg weiter; bald war ihm kälter vom Zweifeln als vom Präriewind, bald gewann er sich wieder ein wenig von der Verzückung seines geistlichen Abenteuers wieder, aber immer hatte er vor Augen, daß er einem unerbittlichen Jim Rede stehen müßte.

      4

      Es war nach eins. Sicherlich würde Jim schon schlafen, und am nächsten Tag konnte ein Wunder geschehen. Der Morgen verspricht immer Wunder.

      Behutsam öffnete er die Tür, sie mit vorsichtiger Hand festhaltend. Auf dem Waschtisch neben Jims Bett war Licht, aber es war eine kleine, heruntergeschraubte Petroleumlampe. Er ging auf den Zehenspitzen hinein, seine Schuhe knarrten fürchterlich.

      Plötzlich setzte Jim sich auf und drehte den Docht höher. Er hatte eine rote Nase und rote Augen und hustete. Er starrte, und regungslos, vom Tisch, starrte Elmer zurück.

      Mit einemmal redete Jim:

      »Du Lumpenhund! Du hast's also doch gemacht! Du bist gerettet worden! Du hast dich dazu bemogeln lassen, ein baptistischer Medizinmann zu werden! Ich bin fertig! Von mir aus kannst du – in den Himmel gehn!«

      »Ach, geh, Jim, hör doch!«

      »Ich hab' genug gehört. Ich will auch gar nichts mehr sagen. Und jetzt hör' du mich an!« sagte Jim und redete sich drei Minuten lang voll Feuer alles vom Herzen. Den größten Teil der Nacht kämpften sie um die Freiheit von Elmers Seele, wobei Jim nie ganz unterlag und doch nicht siegte. Wie Jims Gesicht bei dem Meeting zwischen ihm und dem Evangelisten geschwebt und die Vision vom Kreuze ausgelöscht hatte, so hingen jetzt seiner Mutter und Judsons Gesichter bekümmert und verschwommen vor ihm, ein Schleier vor Jims Plädieren.

      Elmer schlief vier Stunden und ging dann aus, vor Müdigkeit taumelnd, um Zimtkuchen, ein Sandwich und ein Kännchen dünnen Kaffee für Jims Frühstück zu holen. Sie stritten stürmisch weiter, Jim ein wenig hartnäckiger, Elmer immer gereizter, als kein geringerer Würdenträger als der Rektor, Rev. Dr. Willoughby Quarles, Fliege, gestärktes Hemd, gerundete Weste und so weiter, unter den fetten, weichen Fittichen der Wirtin hereinkam.

      Der Rektor tauschte mit allen einige Händedrucke, er winkte die Wirtin mit den Augen aus dem Zimmer und rief in seiner kehligen Kanzelstimme, mit aus dem Bauch kommenden Tönen und langgezogenen R's und L's, einer sehr tiefen, umdüsterten Stimme, die höchst heilig war und in den durch seine bloße Gegenwart geschaffenen Tempel paßte, die sich Leichtfertigkeiten, Gekicher und die kindlichen Zynismen der Jim Leffertse verbat – ein Geräusch, das irgendwo zwischen den abendlichen Glocken und dem Morgenruf des Esels lag:

      »Oh, Bruder Elmer, das war wacker, was Sie getan haben! Ich habe noch nie etwas Wackereres gesehen! Daß ein großer, starker Mann mit Ihren Gladiatorenkräften keine Angst hat, sich zu demütigen! Und Ihr Beispiel wird riesig viel Gutes wirken, rrrrriesig viel Gutes! Das müssen wir ergreifen und festhalten. Sie werden heute abend in der Y.M.C.A. sprechen – in einem Spezialmeeting zur Befestigung der Resultate, die unsere wundervolle Gebetswoche gezeitigt hat.«

      »Ach, je, Rektor, ich kann nicht!« greinte Elmer.

      »Oh ja, Bruder, Sie müssen, Sie müssen! Es ist schon angekündigt. Wenn Sie in der nächsten Stunde auf die Straße kommen, werden Sie die Freude haben, Anschläge zu sehen, die es in der ganzen Stadt ankündigen!«

      »Aber ich kann keine Rede halten!«

      »Der Herr wird Ihnen die Worte eingeben, wenn Sie den guten Willen mitbringen! Ich werde Sie selbst um Viertelacht abholen. Gott befohlen!«

      Er war gegangen.

      Elmer war völlig erschreckt, völlig abgeneigt und vor Entzücken geschwollen, daß er nach langen dunklen Stunden, in denen Jim, ein nicht Graduierter, ihn übel behandelt und seinen Verstand mit Schmutz beworfen hatte, vom Rektor der Terwillinger-Colleges als Mitapostel an den gestärkten Busen gezogen wurde.

      Während Elmer sich zu etwas entschloß, wozu er sich schon entschlossen hatte, kroch Jim ins Bett und haderte in leisen, giftigen Tönen mit dem Herrn.

      Elmer ging aus, um sich die Anschläge anzusehen. Sein Name war in lieblich großen Lettern gedruckt.

      Am späten Nachmittag, nach einigen Vorlesungen, bei denen ihn jedermann respektvoll betrachtet hatte, versuchte Elmer eine Stunde lang seine Ansprache für die Y.M.C.A. und die angeschlossenen Damen vorzubereiten. Jim schlief, sein Schnarchen hörte sich an wie das Fauchen eines Leoparden.

      Bei seinen Übungen im öffentlichen Sprechen, einem Kurs, der dazu bestimmt war, Kongreßmitglieder, Bischöfe und Verkaufsdirektoren zu erziehen, hatte Elmer Abhandlungen vortragen müssen über das Steuerwesen, die Ziele Gottes in der Geschichte, über unseren Freund den Hund und über die Herrlichkeit der amerikanischen Verfassung. Aber seine monatlichen Redeübungen waren nicht allzu anstrengend gewesen; niemand hatte sich darum gekümmert, ob er alle seine Gedanken und den größten Teil seiner Phraseologie aus dem Lexikon stahl. Der wichtigste Teil der Vorbereitung war das Ölen seiner polierten Mahagonistimme mit Pastillen gewesen, da er ziemlich unentwegt dem verbotenen Rauchen gefröhnt hatte. Er hatte nichts gelernt, als seine Stimme nach vorne zu bringen. Es war nie wichtig erschienen, auf die neunzehn Jünger der Redekunst Eindruck zu machen, oder auf den Lehrer, einen unordinierten, zugelassenen Prediger, der früher Steuerbeamter in Oklahoma gewesen war. Er hatte im öffentlichen Sprechen nie versagt, aber nie auch nur eine Sekunde lang interessiert.

      Jetzt begriff er heftig schwitzend, daß man von ihm erwartete, er solle denken, den merkwürdigen Trieben und Wünschen, durch die Elmer Gantry sich von allen anderen menschlichen Wesen ein wenig unterscheide, Ausdruck verleihen und Ideen aussprechen, die nicht von jedem Halleluja-Strom fortgeschwemmt werden könnten.

      Er versuchte sich auf die Predigten zu besinnen, die er gehört hatte. Aber die Prediger waren so voll Behagen von ihrer Autorität überzeugt, so sehr mit gewichtigen Botschaften ausgerüstet gewesen, und er selbst, er konnte im Augenblick keine Klarheit darüber gewinnen, ob er ein Missionar wäre, der seine überraschenden neuen Erleuchtungen der Menge weiterzugeben hatte, oder ganz einfach ein Sünder, der –

      Ganz einfach ein Sünder! Und ob! Nichts anderes! Der Teufel sollte ihn holen, wenn er dem alten Jim untreu würde! O nein! Oder Juanita untreu werden, die zu ihm hielt und nett zu ihm war, wie grob und roh und großmäulig er auch sein mochte! Sie umarmen. Die Art, wie sie immer die dämliche Tante von Nell los wurde; sie blinzelte ihm nur zu, machte Tantchen irgendwas vor und schickte sie weg, Essen holen –

      Gott! Wenn nur Juanita da wäre! Sie würde das Richtige wissen. Sie würde ihn beraten, ob er dem Alten und der Y. M. sagen sollte, sie möchten sich zum Teufel scheren, oder ob er diese Gelegenheit ergreifen sollte, Eddie Fislinger und allen den Y. M.-Klugscheißern zu zeigen, daß er nicht so vernagelt war –

      Nein! Hier hatte ihm der Alte gesagt, daß er die Hauptsache wäre; für ihn hatte man ein großes Meeting einberufen. Quarles und Juanita! Nein, nein! Die Beiden konnte er nie zusammenbringen! Und der Alte hatte ihn beschworen –

      Angenommen, es käme in die Zeitungen! Wie er einen zähen Kunden gerettet hatte, genau so gut wie Judson Roberts. Juanita – Unterröcke wie sie waren überall zu finden, aber wo konnte man einen Kerl finden, der anfangen und auch schon Seelen retten konnte?

      Weg mit diesen blödsinnigen Gedanken, jetzt wo Jim schlief, und die Sache zusammenstellen.


Скачать книгу