Das Wesen des Christentums . Feuerbach Ludwig
Gesetze der Kristallonomie. Der Vernunft ist nur das Vernünftige Gegenstand. Alles daher, was im Sinne der übermenschlichen Spekulation und Religion nur die Bedeutung des Abgeleite-ten, des Subjekti-ven oder Menschlichen, des Mittels, des Organs hat, das hat im Sinne der Wahrheit die Bedeutung des Ursprünglichen, des Göttlichen, des Wesens, des Gegenstandes selbst. Ist z. B. das Gefühl das wesentliche Organ der Religion, so drückt das Wesen Gottes nichts andres aus, als das Wesen des Gefühls. Der wahre, aber verborgene Sinn der Rede: »das Gefühl ist das Organ des Göttlichen«, lautet: das Gefühl ist das Nobelste, Trefflichste, d. h. Göttliche im Menschen. Wie könntest du das Göttliche vernehmen durch das Gefühl, wenn das Gefühl nicht selbst göttlicher Natur wäre? Das Göttliche wird ja nur durch das Göttliche, »Gott nur durch sich selbst erkannt«. Das göttliche Wesen, welches das Gefühl vernimmt, ist in der Tat nichts als das von sich selbst entzückte und bezauberte Wesen des Gefühls – das wonnetrunkene, in sich selige Gefühl.
Es erhellt dies schon daraus, daß da, wo das Gefühl zum Organ des Unendlichen, zum subjektiven Wesen der Religion gemacht wird, der Gegen stand derselben seinen objektiven Wert verliert. So ist, seitdem man das Gefühl zur Hauptsache der Religion gemacht, der sonst so heilige Glaubensinhalt des Christentums gleichgültig geworden. Wird auch auf dem Standpunkt des Gefühls dem Gegenstand noch Wert eingeräumt, so hat er doch diesen nur um des Gefühls willen, welches sich vielleicht nur aus zufälligen Gründen mit ihm verknüpft; würde ein anderer Gegenstand dieselben Gefühle erregen, so wäre er ebenso willkommen. Der Gegenstand des Gefühls wird aber eben nur deswegen gleichgültig, weil, wo einmal das Gefühl als das subjektive Wesen der Religion ausgesprochen wird, es in der Tat auch das objektive Wesen derselben ist, wenn es gleich nicht als solches, wenigstens direkt, ausgesprochen wird. Direkt sage ich, denn indirekt wird dies allerdings dadurch eingestanden, daß das Gefühl als solches für religiös erklärt, also der Unterschied zwischen eigentümlich religiösen und irreligiösen oder wenigstens nicht religiösen Gefühlen aufgehoben wird – eine notwendige Konsequenz von dem Standpunkt, wo nur das Gefühl für das Organ des Göttlichen gilt. Denn warum anders als wegen seines Wesens, seiner Natur machst du das Gefühl zum Organ des unendlichen, des göttlichen Wesens? Ist aber nicht die Natur des Gefühls überhaupt auch die Natur jedes speziellen Gefühls, sein Gegenstand sei nun welcher er wolle? Was macht also dieses Gefühl zum religiösen? der bestimmte Gegenstand? Mitnichten, denn dieser Gegenstand ist selbst nur ein religiöser, wenn er nicht ein Gegenstand des kalten Verstandes oder Gedächtnisses, sondern des Gefühls ist. Was also? die Natur des Gefühls, an der jedes Gefühl, ohne Unterschied des Gegenstandes, teilhat. Das Gefühl ist also heiliggesprochen, lediglich weil es Gefühl ist; der Grund seiner Religiosität ist die Natur des Gefühls, liegt in ihm selbst. Ist aber dadurch nicht das Gefühl als das Absolute, als das Göttliche selbst ausgesprochen? Wenn das Gefühl durch sich selbst gut, religiös, d.h. heilig, göttlich ist, hat das Gefühl seinen Gott nicht in sich selbst?
Wenn du aber dennoch ein Objekt des Gefühls festsetzen, zugleich aber dein Gefühl wahrhaft auslegen willst, ohne mit deiner Reflexion etwas Fremdartiges hineinzulegen, was bleibt dir übrig, als zu unterscheiden zwischen deinen individuellen Gefühlen und zwischen dem allgemeinen Wesen, der Natur des Gefühls, als abzusondern das Wesen des Gefühls von den störenden, verunreinigenden Einflüssen, an welche in dir, dem bedingten Individuum, das Gefühl gebunden ist? Was du daher allein vergegenständlichen, als das Unendliche aussprechen, als dessen Wesen bestimmen kannst, das ist nur die Natur des Gefühls. Du hast hier keine andere Bestimmung für Gott als diese: Gott ist das reine, das unbeschränkte, das freie Gefühl. Jeder andre Gott, den du hier setzest, ist ein von außen deinem Gefühl aufgedrungener Gott. Das Gefühl ist atheistisch im Sinne des orthodoxen Glaubens, als welcher die Religion an einen äußern Gegenstand anknüpft; es leugnet einen gegenständlichen Gott – es ist sich selbst Gott. Die Verneinung des Gefühls nur ist auf dem Standpunkt des Gefühls die Verneinung Gottes. Du bist nur zu feige oder zu beschränkt, um mit Worten einzugestehen, was dein Gefühl im Stillen bejaht. Gebunden an äußere Rücksichten, unfähig, die Seelengröße des Gefühls zu begreifen, erschrickst du vor dem religiösen Atheismus deines Herzens und zerstörst in diesem Schrecken die Einheit deines Gefühls mit sich selbst, indem du dir ein vom Gefühl unterschiednes, gegenständliches Wesen vorspiegelst, und dich so notwendig wieder zurückwirfst in die alten Fragen und Zweifel: ob ein Gott ist oder nicht ist? – Fragen und Zweifel, die doch da verschwunden, ja unmöglich sind, wo das Gefühl als das Wesen der Religion bestimmt wird. Das Gefühl ist deine innigste und doch zugleich eine von dir unterschiedene, unabhängige Macht, es ist in dir über dir: es ist dein eigenstes Wesen, das dich aber als und wie ein anderes Wesen ergreift, kurz, dein Gott – wie willst du also von diesem Wesen in dir noch ein anderes gegenständliches Wesen unterscheiden? wie über dein Gefühl hinaus?
Das Gefühl wurde aber hier nur als Beispiel hervorgehoben. Dieselbe Bewandtnis hat es mit jeder andern Kraft, Fähigkeit, Potenz, Realität, Tätigkeit – der Name ist gleichgültig –, welche man als das wesentliche Organ eines Gegenstandes bestimmt. Was subjektiv oder auf seiten des Menschen die Bedeutung des Wesens, das hat eben damit auch objektiv oder auf seiten des Gegenstands die Bedeutung des Wesens. Der Mensch kann nun einmal nicht über sein wahres Wesen hinaus. Wohl mag er sich vermittelst der Phantasie Individuen anderer, angeblich höherer Art vorstellen, aber von seiner Gattung, seinem Wesen kann er nimmermehr abstrahieren; die Wesensbestimmungen, die er diesen andern Individuen gibt, sind immer aus seinem eignen Wesen geschöpfte Bestimmungen – Bestimmungen, in denen er in Wahrheit nur sich selbst abbildet und vergegenständlicht. Wohl gibt es gewiß noch außer dem Menschen denkende Wesen auf den Himmelskörpern, aber durch die Annahme solcher Wesen verändern wir nicht unsern Standpunkt – wir bereichern ihn nur quantitativ, nicht qualitativ; denn so gut dort dieselben Gesetze der Bewegung, so gut gelten auch dort dieselben Gesetze des Empfindens und Denkens, wie hier. Wir beleben auch in der Tat die Sterne keineswegs dazu, daß dort andere Wesen als wir, sondern nur dazu, daß mehr solche oder ähnliche Wesen wie wir sind.
Zweites Kapitel: Das Wesen der Religion im allgemeinen
Was im Allgemeinen, selbst in Beziehung auf die sinnlichen Gegenstände, von dem Verhältnis des Menschen zum Gegenstand bisher behauptet wurde, das gilt insbesondere von dem Verhältnis desselben zum religiösen Gegenstande.
Im Verhältnis zu den sinnlichen Gegenständen ist das Bewußtsein des Gegenstandes wohl unterscheidbar vom Selbstbewußtsein; aber bei dem religiösen Gegenstand fällt das Bewußtsein mit dem Selbstbewußtsein unmittelbar zusammen. Der sinnliche Gegenstand ist außer dem Menschen da, der religiöse in ihm, ein selbst innerlicher – darum ein Gegenstand, der ihn ebensowenig verläßt, als ihn sein Selbstbewußtsein, sein Gewissen verläßt –, ein intimer, ja der allerintimste, der allernächste Gegenstand. »Gott«, sagt z. B. Augustin, »ist uns näher, verwandter und daher auch leichter erkennbar, als die sinnlichen, körperlichen Dinge.« Der sinnliche Gegenstand ist an sich ein gleichgültiger, unabhängig von der Gesinnung, von der Urteilskraft; der Gegenstand der Religion aber ist ein auserlesener Gegenstand: das vorzüglichste, das erste, das höchste Wesen; er setzt wesentlich ein kritisches Urteil voraus, den Unterschied zwischen dem Göttlichen und Nichtgöttlichen, dem Anbetungswürdigen und Nichtanbetungswürdigen. Und hier gilt daher ohne alle Einschränkung der Satz: der Gegenstand des Menschen ist nichts andres als sein gegenständliches Wesen selbst. Wie der Mensch denkt, wie er gesinnt ist, so ist sein Gott: so viel Wert der Mensch hat, so viel Wert und nicht mehr hat sein Gott. Das Bewußtsein Gottes ist das Selbstbewußtsein des Menschen, die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen. Aus seinem Gotte erkennst du den Menschen, und wiederum aus dem Menschen seinen Gott; beides ist eins. Was dem Menschen Gott ist, das ist sein Geist, seine Seele, und was des Menschen Geist, seine Seele, sein Herz, das ist sein Gott: Gott ist das offenbare Innere, das ausgesprochne Selbst des Menschen; die Religion die feierliche Enthüllung der verborgnen Schätze des Menschen, das Eingeständnis seiner innersten Gedanken,