Die Bewusstseinsrevolution. Sebastian Siegel

Die Bewusstseinsrevolution - Sebastian Siegel


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des Auf-die-Welt-Kommens. Was in einem nicht linearen Traumzustand oder im Zustand meditativer Versunkenheit geschieht, kann wunderbar unbeschreiblich sein. Das Göttliche ist ohnehin nicht in Worten ausdrückbar. Aber auch das Greifbare, das Erfahren und Erleben bringen Wachstum, Schmerzen und viel Schönheit.

      Du kennst diesen Moment, wenn du im völligen Wachzustand auf den Mond schaust, der die unsichtbare Sonne hell reflektiert, und du den Mann siehst und dann den Hasen, wenn dann urplötzlich diese Ahnung aus deinem Inneren aufsteigt und du das Selbst siehst, das ewige Selbst, das jenseits deiner selbst ist und alles Selbst durchdringt.

      Die Wahrnehmung der Zeit ist ein Produkt der Evolution, ein im Entstehen begriffener, funktionaler Aspekt der linearen Organisationsweise des menschlichen Geistes. Ihr Zweck ist es, das Überleben in dieser relativen Welt zu ermöglichen. Das Sterben ist also nicht so tragisch, wie nicht wiedergeboren zu werden. Und da bin ich, da bist du – da ist die glorreiche Wiedergeburt von allem, genau dort im Licht des Mondes, der Tod und die Wiedergeburt, von Augenblick zu Augenblick. Es ist so, als folge man einem Stern, dessen Funktion es ist, dich gerade so weit in die Irre zu führen, dass du wiedergefunden werden kannst. Das genau ist der Telefonanruf Gottes.

      Was die menschliche Kognitionsfähigkeit angeht, so ist die Ironie ja die Tatsache, dass der Verstand beständig versucht, etwas zu »fassen«, und zu be-«greifen«, was außerhalb seiner Reichweite liegt. Der Verstand ist eine außerordentliche Maschine, machtvoll, aber gleichzeitig beschränkt. Der Verstand ist allenfalls in der Lage, eine Straßenkarte zu erstellen, auf der die Pforten in eine andere Welt markiert sind. Jenseits dieser Pforten gibt es keine Straßen mehr, nur noch unbefahrenes Gelände. Erfahre die Gesamtheit der Existenz, indem du sie mit dir selbst füllst. Und da du selbst ein Teil dieser Existenz bist, füllt sie gleichzeitig auch dich. Alles ein und dasselbe.

      Das Bewusstsein geht der Realität voraus. Die materielle Welt entsteht aus dem einen, einzigen Bewusstsein, aus dem nichtdualen So-Sein. Es wächst und entwickelt sich … um sich dann erneut selbst zu transzendieren. Die Physikalität der Existenz ist nur ein Aspekt dieses Entwicklungsprozesses. Und da ist es: Es deutet auf etwas hin, was im Jenseits liegt und gleichzeitig alles durchdringt. Genau hier, im tiefen Purpur eines Blütenblattes, dem Dunkelblau des weiten Ozeans, der Elektrizität, die freigesetzt wird, wenn man in ein lächelndes Auge schaut – genau hier, im Mondlicht.

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      Die Formeln der Physik können den Verstand durchaus in die Welt jenseits der Wahrnehmung hinausführen. Um allerdings die Majestät der himmlischen, ewigen und unsäglichen Weiten aufzuzeigen, braucht man die Ausdrucksmittel der Künstler und Dichter, die über den beschränkten Verstand hinausreichen. Solche Mittel sind die Poesie, das Filmemachen, die Kunst, die Mutterschaft und die Gartenarbeit. Oder einfach das Sich-selbst-Sein, sein eigenes wundervoll lächerliches Selbst. Der Traum geht weiter. Und du bist da, für immer.

      KAPITEL 3

      Als ich drei Jahre alt war, zog unsere Familie von Oxford in England nach Hawaii. Mein Vater trat eine Professorenstelle in Vergleichender Religionswissenschaft an, mit den Religionen Indiens als Spezialgebiet. Zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen gehören seine Vorlesungen, in die ich mitgehen durfte. Eines Morgens sprach er über den Taoismus und über Zen. Sein Thema war der chinesische Begriff des Wu Wei – Handeln, ohne etwas zu erzwingen. Das Wort »Wu« bedeutet»nicht« oder »ohne«, und »Wei« kann mit »handeln« oder »tun« übersetzt werden. Der Begriff bezieht sich also sowohl auf das Nichthandeln als auch auf das Handeln im Einklang mit der Natur, ohne jeden Zwang.

      Stell dir vor, du hältst die Blüte einer Blume in der Hand. Wenn dein Griff zu leicht ist, fliegen die Blütenblätter davon. Wenn er zu fest ist, zerdrückst du sie. Wu Wei, Handeln ohne Zwang, ist ein Beispiel für Anmut. Es veranschaulicht außerdem ein Paradox, das eigentlich jeder Aktivität innewohnt. Wenn du dich in einer Beziehung nicht genug deinem Partner zuwendest, läuft sie Gefahr, schwächer zu werden und zu zerbrechen. Wenn du hingegen deinem Partner nicht genug Raum lässt und sie oder ihn erdrückst, auch dann zerstörst du die Beziehung. Das gilt auch für unwillkürliche und unbewusste alltägliche Handlungen, wie eine Unterschrift leisten, küssen, schlucken, atmen, sexuelle Erregung, jemanden zu grüßen oder sogar beim täglichen Stuhlgang. Wenn du willst, dass eine Katze zu dir kommt, musst du ihr schmeicheln und gut zureden.

      Mein Vater wollte dieses Paradox in seiner Vorlesung vor etwa zweihundert Studenten demonstrieren. Er nahm dazu ein Blatt Papier und zerknüllte es. Dann erklärte er, dass er nun versuchen werde, es in den Papierkorb zu werfen, der sich am anderen Ende der Bühne des Auditoriums befand. Er zielte genau, warf das Knäuel in Richtung Papierkorb und verpasste ihn, wie nicht anders zu erwarten war, um einen oder zwei Meter. Er hob das Papier wieder auf, ging an seinen Ausgangspunkt zurück und sagte: »Jetzt versuche ich es noch einmal, aber diesmal im Sinne des Wu Wei. Das heißt, ich muss mich nur völlig entspannt auf den Moment einlassen und präsent sein. Ob ich treffe oder nicht, ist dabei belanglos.« Dann drehte er sich herum und sagte: »Natürlich wird es wahrscheinlich nicht klappen, aber …« Und wie absichtslos warf er das Papierknäuel über seinen Rücken in Richtung Papierkorb hoch durch die Luft.

      Hast du jemals das Gefühl, dass ein gerade vergangenes Ereignis unbedingt genauso eintreten musste, wie es passiert ist, dass es aber, falls es sich eine Million Mal wiederholen würde, in Millionen Varianten dieses Universums, jedes Mal eine leicht veränderte Version des Geschehens geben würde, allerdings mit genau demselben Ergebnis? Ähnlich wie am Beispiel des Schicksals und der Hand, die sich dir entgegenstreckt, gelingt es auch hier der lebendigen Schöpferkraft, eine Furche der Schönheit in den Acker der Zeit zu graben. Das ist die Natur der Schöpferkraft. Sie kann sich beim Backen eines leckeren Kuchens ausdrücken oder in der anmutigen Landung eines Vogels auf einem Zweig. Mit ihrer Hilfe werden Babys gezeugt und sie ist der Prozess, durch den sich der universale Geist manifestiert, in dir und durch dich.

      Die Papierkugel landete im Papierkorb. Von den Studenten war kein Ton zu hören. Es war, als sei der Wurf einer ewigen Schleife der Unvermeidlichkeit gefolgt. Mein Vater reagierte verwundert auf diese Ironie: »Mein Gott, es ist wirklich passiert.« Er und ich hatten für einen Moment Blickkontakt. Das war mein zweites Satori.

      Satori ist ein buddhistischer Begriff, der aus dem japanischen Wort »satoru – verstehen« abgeleitet ist. Der Ausdruck bezieht sich auf einen Moment des Erwachens, eines plötzlichen und totalen Verständnisses. Wenn der Boden eines Eimers durchfällt, verliert der Eimer das ganze Wasser auf einmal. Plötzlich verstehst du, so wie dich die Pointe eines Witzes trifft. Du verstehst, ohne darüber nachdenken zu müssen. Alles wird klar in diesem Augenblick, wie in einem Aha-Erlebnis. Es kommt plötzlich und unerwartet. Es ist, als werde ein elektrischer Schaltkreis geschlossen.

      Wenn sich dieser eine Augenblick in unzähligen Variationen und in einer unendlich großen Anzahl von möglichen Universen wiederholen würde, dann wäre Satori die sofortige und unmittelbare Erkenntnis der einen Wahrheit, die gleichzeitig in all diesen Varianten sichtbar wird. Äußerlich nehmen alle Varianten eine andere Form an. Das Erwachen jedoch, also der Prozess, durch den der Geist sich selbst anerkennt, klingt durch alle auf identische Weise hindurch. Diese Erkenntnis ist das Satori.

      In der Grundschule und dann auch später auf dem Gymnasium fühlte ich mich stark zum Theater hingezogen. Mir gefielen sowohl die Aufwärmübungen als auch das Theaterspielen selbst, da beides mir erlaubte, tiefere Muster des Werdens zu entdecken. Die Übungspraxis in der Theaterwerkstatt bot mir zum allerersten Mal die Gelegenheit, so etwas wie eine gemeinschaftliche Meditation zu erleben. Wenn die üblichen Schranken fallen – Alter, Klassenunterschiede, Geschlecht, Rasse, Religion und Nationalität –, dann kann man sich selbst in einer Atmosphäre größerer Freiheit besser kennenlernen und man braucht weniger Angst davor zu haben, dass man von anderen verurteilt wird.

      Charakteristisch für diese Atmosphäre ist, dass man sich einander


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