Esta Sola. Sind Sie allein?. Elke Weickelt
welche Gipfel sie schon in Südamerika bestiegen haben. Aber was wissen sie über das Land? Oft nicht viel und oft interessiert es sie auch nicht. Zumindest nicht das, was nicht toll und fantastisch ist.
Reisen ist Bildung! Die Befreiung von Vorurteilen gelingt nur, wenn man selbst hingeht in andere Länder und wenn man dann auch hinsieht.
In dieser Nacht habe ich viel über die Träume und Wünsche der argentinischen Jugendlichen erfahren.
Der andere Wartende hat in El Chalten Arbeit gefunden und fährt auch nachts, weil ein Hotel für ihn einfach zu teuer ist.
Endlich kommt der Bus, ich bin todmüde und schlafe gleich ein, aber nur zwei Stunden, dann ist Stopp in der Pampa um vier Uhr nachts. Eine grauenhafte Kälte zieht sich durch alle Glieder. Alle müssen raus aus dem Bus. Sie fangen an, das gesamte Gepäck auszuladen. Ich bin benommen und sauer: Drogenkontrolle. Der Argentinier sagt mir: Die Zollbeamten, sie mögen keine Backpacker, deswegen machen sie das. Finden werden sie hier sowieso nichts, was sich auch bestätigt.
Jeder muss seinen Koffer identifizieren. Alle Koffer werden von den Drogenhunden beschnüffelt und das Handgepäck muss geöffnet werden und wird durchsucht.
Mir kommt der Begriff „Schikane“ in den Kopf. Das Ganze dauert bestimmt zwei Stunden und alle sind bis auf die Knochen durchgefroren.
Mit aufgehender Sonne fährt der Bus dann endlich weiter, Stunden über Stunden geradeaus durch diese traumhafte Steppe in die Anden. Rechts und links weiden Guanakos. Sie sind scheu, nicht domestiziert, zarte Tiere. Sie können sehr schnell sein. Es gibt verschiedene Tiere, die den Kamelarten zuzuordnen sind in Südamerika. Die Guanakos sind die Stammform des domestizierten Lamas. Dann gibt es noch die Vikunjas, die den Guanakos ähneln, aber kleiner und schlanker sind. Die Wolle der Vikunjas gilt als die seltenste und teuerste der Welt. Die Alpakas sind eine domestizierte Kamelform, die vorwiegend wegen ihrer Wolle gezüchtet werden. Sie stammen von den Vikunjas ab.
El Chalten ist für mich einer der schönsten Orte in Patagonien, auch wenn es hier – aber wen wundert das – recht viele Touristen gibt. Zum Ausgleich genieße ich dann die komfortable touristische Infrastruktur, schöne Restaurants, Bars, die Möglichkeit, draußen zu sitzen, hervorragendes Essen, viele Kontaktmöglichkeiten und Reiseaustausch. Und vor allem auch die gefahrlose Möglichkeit, abends mal später bei einem Bier abzuhängen.
El Chalten liegt am nördlichen Rande des Nationalparks Los Glaciares nahe der chilenischen Grenze. Ich wohne in einer einfachen Herberge und bin hier bei Weitem die Älteste. Sehr junge Leute und leider ist es dann auch sehr laut bis spät in die Nacht. Aber mein Zimmer ist groß, sauber und billig und ich habe Oropax. Das Beste sind die Besitzer: eine indigene Großfamilie, die sich rührend um alles kümmert, sowie zwei göttliche Hunde: ein großer alter und ein kleiner völlig verfilzter. Der sieht aus wie ein Teddy. Beide liegen tagein, tagaus eng beieinander vor der Tür und beobachten die vielen Gäste neugierig. Da bleibt es dann nicht aus, dass auch immer mal ein Leckerbissen abfällt.
Da die günstigen Hostelbetten im Ort begrenzt sind und doch immer viele Touristen da sind, kann es auch mal eng werden mit den freien Betten. So bin ich einige Nächte morgens über einen mit einem Traveller gefüllten Schlafsack gestolpert, der sonst kein Bett gefunden hätte. Der Hostelbesitzer lässt jeden in so einem Fall auf dem Boden schlafen.
El Chalten ist das Trekking-Paradies im Nationalpark los Glaciares. An wunderschönen Wanderwegen mangelt es nicht. Es liegt zu Füßen der berühmten patagonischen Berge Cerro Torre mit 3.128 Metern und Fitz Roy mit 3.406 Metern an der Grenze zu Chile. Der Blick auf diese Berge vom Ort aus ist grandios. Patagonien ist hier teuer. Es gibt nur wenig Armut und das Land ist sehr dünn besiedelt.
Viele Backpacker sind noch sehr jung. Welche Trekkingtouren man gemacht hat und welche Berge man erklettert hat, ist ein wesentliches Kennzeichen von Größe und Sportlichkeit. Ich kann nicht viel mit ihnen anfangen. Sie scheinen nicht besonders kontaktfreudig oder neugierig mit dem direkten Gegenüber. Sie erledigen alles mit ihrem Smartphone.
Smartphone-Kommunikation verhindert Nähe. Manchmal, wenn ich sie so beobachte, denke ich, sie sind nicht in der Lage, mal nichts zu tun. Sie sind irgendwie gehemmt, wenn sie nicht in Verbindung mit dem Smartphone stehen. Einfach nur da zu sitzen und in die Welt zu schauen – das tun sie nicht. Als ob sie gar nicht existieren könnten ohne das Ding.
Ich habe ein Smartphone – also bin ich. Ich habe ein Smartphone – also werde ich geliebt, weil mir schließlich Leute Nachrichten schicken oder diese Likes auf meine Selfies. Ich bin ein Teil dieser Welt, weil ich ein Smartphone habe. Aber das sind böse Gedanken einer alten Frau, die letztlich von diesen Dingen nicht viel versteht. Diese Entwicklung hat mich überrollt. Das ist nicht mehr meine Welt. Man hat nicht das Recht, etwas zu bewerten, was man nicht wirklich versteht oder kennt.
Ich unternehme viel hier. Mein ganzer Stolz ist eine Trekkingtour von 20 Kilometern. Das ist dann aber auch schon grenzwertig. Da ich langsam wandere, so ein junger Mensch würde sagen in Zeitlupe, kann ich mich leider keiner Gruppe anschließen. Die sind alle schneller und die meisten betreiben es hier sportlich. Dafür sehen sie nicht mal ein Viertel von dem, was ich sehe oder beobachte. Es gibt hier nämlich viele aufregende Vögel. Kondore kreisen über den Bergen.
Ich treffe auf ein Gürteltier. Es ist nicht besonders scheu.
Es hat mich aber doch etwas geschockt, als ich zweimal gefragt wurde, ob es mir gut geht oder ob man mir helfen könne oder gar meinen kleinen Minirucksack tragen solle. Entweder wirke ich so gebrechlich oder keiner kann sich vorstellen, dass jemand gerne so langsam geht.
Ich laufe zur Laguna Capri mit einem traumhaften Ausblick auf den Fitz Roy, zum Glacier Marconi und zu den Wasserfällen. Ich besuche die Laguna y Glacier Huemul und unternehme eine Expedition zum Lago del Desierto. Dort gibt es Bootstouren. Von der anderen Seite des Sees kommt man nach Chile.
Das ist hier wieder alles wie im Bilderbuch, und so schicke ich viele Fotos an meine Freunde. Abends kommen mir Zweifel, ob es nicht zu viele sind. Ich möchte sie weder nerven noch neidisch machen. Es hat viele Reaktionen von Freunden auf meine Reise gegeben. Das beschäftigt mich immer wieder. Meine Reise ist ja aber nur der Anstoß für solche Überlegungen, die sie dann in Bezug auf ihr eigenes Leben anstellen. Aber interessant ist das schon, weil mir einige dieser Gedanken nie gekommen wären. Eine Freundin hat immer wieder überlegt, wie man nur als Frau alleine so weit wegfahren kann und vor allem dann noch ohne Zeitplan. Oder die Angst mancher vor Einsamkeit. Diese Angst hatte ich nie. Aber ich bin wohl auch eher – wie soll ich sagen – progressiv kontaktfreudig. Ich kann mir schon vorstellen, dass Menschen mit mehr Zurückhaltung sich da schwer tun.
Und Neid wurde auch geäußert. Ich versuche, ihn nicht zu verstärken. Schließlich hat alles seine Vor-und Nachteile und so eine Reise ist schon auch immer wieder recht anstrengend. Ich fahre ja nicht in ein Paradies, nur in eine fremde Welt.
Das Fremde muss einen natürlich faszinieren und anziehen. Sonst geht das gar nicht. Und die Neugier muss unermesslich sein. Ich kenne auch Menschen, die sind eben nicht neugierig und es geht ihnen gut damit, mit dem Gewohnten, das ja auch Sicherheit vermittelt.
Für manche ist es ausgesprochen ungemütlich, wenn immer wieder jeden Tag alles neu und relativ unberechenbar ist und man nie weiß, wo man landet, auch innerlich, sozial, psychisch. Für mich ist das wahnsinnig spannend.
Auch fahre ich praktisch niemals an denselben Ort ein zweites Mal. Dazu ist die Welt zu groß. Meine besten Freunde fahren seit 40 Jahren jedes Jahr an dieselben Orte in den Urlaub – und sie lieben es.
Maria hat mir geschrieben: „Wie gut, dass du fährst! Du hast den Frauen dort und uns hier die Möglichkeit einer großen Unternehmung, einer Expedition gezeigt, als Frau und alleine. Du machst damit auch Mut für kleine Expeditionen, hier, wo ich bin, rausgehen, auch alleine.“
Das hat mich sehr gefreut.
Touristen in meinem Alter habe ich hier jetzt noch gar nicht getroffen. Die meisten sind dann doch wohl eher mit einer Reisegruppe unterwegs oder auf einer Kreuzfahrt anzutreffen.
Die jungen Leute sind unbedarft. Gestern haben zwei Deutsche Gleitschirme ausgeliehen