Aktien für Dummies. Christine Bortenlänger
Geld »arbeiten« zu lassen und nicht einfach auf die Bank zu legen, dieser Gedanke kam schon in früheren Jahrhunderten auf – ganz konkret im Jahr 1602. Damals entstand die Idee, dass sich Anleger direkt an Unternehmen beteiligen können, ohne den Umweg über die Fremdfinanzierung via Bank. Als Gegenleistung profitieren sie als Eigenkapitalgeber und Miteigentümer vom Erfolg des Unternehmens. Die ersten verbürgten Aktiengesellschaften finanzierten damit kostspielige und riskante Fernhandelsreisen.
Die Niederländische Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie), deren Gründung am 20. März 1602 erfolgte, gilt als erste Aktiengesellschaft. Sie benötigte für ihre abenteuerlichen und gefährlichen Überseefahrten nach Indien und die dortigen Einkäufe einen hohen Kapitaleinsatz. Stürme, Seeräuber, Epidemien an Bord und viele andere Gefahren machten aus jeder Fahrt ein schwer kalkulierbares Wagnis. Daher gründeten Kaufleute sogenannte Wagnisgesellschaften, an denen sich Bürger in Form von käuflichen Anteilsscheinen beteiligen konnten. Allerdings waren die Aktionäre, die damals »Participanten« hießen, dazu verpflichtet, ihre Anteile zehn Jahre zu halten – dann konnten sie entscheiden, ob sie weitere zehn Jahre investiert sein wollten oder nicht. Zusätzlich zu möglichen Kursgewinnen gab es bereits Dividendenzahlungen. Eine Partizipation beziehungsweise Mitsprachemöglichkeit etwa auf einer Art Hauptversammlung gab es allerdings nicht, so weit gingen die Rechte der »Participanten« noch nicht.
In Deutschland waren es vor allem Bergbaugesellschaften, die einen hohen Kapitalbedarf mit dem hohen Risiko verbanden, überhaupt ausreichend Rohstoffe, meist Erz, zu finden. Hier wurden einzelne Genossenschaften oder »Gewerkschaften« gegründet, die Anteile ausgaben, die allerdings nicht Aktien, sondern Kuxe genannt wurden. Anfänglich ausschließlich Geschäftspartnern vorbehalten, beteiligten sich später auch Kaufleute oder sogar Klöster daran, außerdem stieg beziehungsweise fiel der Wert der Kuxe je nach Erfolg der Schürfenden.
Tatsächlich an Börsen gehandelt werden Aktien erst seit dem 18. Jahrhundert – während das offizielle Gründungsdatum für »Börsen« weitaus älter ist und mit dem ersten festen Börsengebäude in Brügge aus dem Jahr 1531 verbunden wird. Dort wurden anfänglich aber überwiegend Schuldscheine und Staatsanleihen gehandelt. Aber dazu mehr in Kapitel 2!
Einen gewaltigen Entwicklungsschub der Anlageform »Aktie« und vice versa Gründung von Aktiengesellschaften gab es während der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Man könnte es auch umgekehrt formulieren: Ohne die Idee der Aktiengesellschaft mit ihrer breit gestreuten Finanzierungsform hätte es die Industrialisierung in diesem Ausmaß und in dieser Geschwindigkeit mit Sicherheit nicht gegeben. Und ohne die Risikobereitschaft der Anleger würde es viele technische Entwicklungen, von der Dampfmaschine bis zum Maggi-Brühwürfel, nicht geben.
Nehmen wir das Beispiel Eisenbahnbau als besonders kapitalintensive Branche, die überdies große Auswirkungen auch auf etwa den Bergbau (Kohle) und die Stahlindustrie nahm. Um Hunderte Kilometer Schienen durch oftmals unwegsames Gelände bauen und die Lokomotiven und Waggons kaufen zu können, war sehr viel Kapital notwendig. Schon damals waren die meisten Regierungen notorisch klamm oder investierten ihr Kapital lieber in glänzende Uniformen und glitzernde Waffen. So bildeten sich überall in Großbritannien, Kontinentaleuropa und Nordamerika Eisenbahnunternehmen in Form von Aktiengesellschaften. Bereits zehn Jahre nach der Jungfernfahrt der Adler im Jahr 1835 zwischen Nürnberg und Fürth waren in Deutschland mehr als 2.000 Kilometer Schienenstrecke verlegt, einschließlich des Baus teurer Tunnel und Brücken. Möglich war dies nur durch die Verteilung des Kapitals auf viele Schultern, also mittels Börsengängen. Die Euphorie vieler Anleger von damals glich derjenigen des Börsenhypes um die Jahrtausendwende. Kein Wunder, damals waren Eisenbahnen schließlich auch in etwa so zukunftsweisend – und in großen Teilen der Bevölkerung so umstritten – wie Internetfirmen in den 2000er-Jahren.
Die Beliebtheit von Aktiengesellschaften und die Liebe zur Aktie hielten in Deutschland lange an, wenn dies auch zahlenmäßig einer eher kleinen Gruppe vorbehalten war. Allerdings wurden dieser Liebe durch einige Crashs immer wieder empfindliche Dämpfer versetzt. Wie es zu solchen heftigen Kursrutschen kommt und ob es Vorzeichen gibt, wann sie eintreten könnten, dazu später mehr (siehe Kapitel 6). Für die »Aktienkultur« in Deutschland war das nicht sehr förderlich, da immer dann, wenn viele eher unbedarfte Bürger Aktien kauften, prompt die Kursrückschläge einsetzten.
Der Weg aufs Parkett in drei Buchstaben: IPO
Warum und wie kommt eine Aktiengesellschaft oder ganz allgemein ein Unternehmen überhaupt an die Börse? Warum ist einfach gesagt: Damit Sie Aktien kaufen können, jederzeit und zu einem sekündlich ausgewiesenen Preis. Das »Wie« ist schwerer zu beantworten. Dazu muss das Unternehmen gewisse Voraussetzungen erfüllen, die auch noch von Börse zu Börse verschieden sind. Und auch der Gesetzgeber redet viele Wörtchen mit, schließlich wendet sich das Unternehmen ja nicht nur an professionelle Investoren, sondern auch an Sie als Privatanleger – und für Ihren besonderen Schutz fühlt sich der Staat verantwortlich. Er beziehungsweise seine Repräsentanten wollen schließlich von Ihnen gewählt werden. Nur so viel an dieser Stelle, Sie wollen ja Aktien kaufen und keine Aktiengesellschaft aufs Parkett führen. Vielleicht gäbe es mehr Börsengänge und mehr Aktiengesellschaften in Deutschland, wenn es dafür ein eigenes … für Dummies-Buch gäbe?
Der Sprung aufs Parkett
Meist wird bereits eine Aktiengesellschaft als Unternehmensform gegründet, die dann in einem zweiten Schritt an die Börse gebracht wird. Bei solchen nicht börsennotierten Aktiengesellschaften halten meist die Gründer und ein enger Kreis um sie die Aktien – Sie als Privatanleger kommen da nicht ran. Erst nach einem Börsengang oder Initial Public Offering (IPO), wie es im Englischen heißt. Denn ein solcher IPO ist nichts anderes als ein Angebot an die Öffentlichkeit, Aktien eines Unternehmens zu kaufen. Das nennt man in der Sprache der Börsianer allerdings nicht kaufen, sondern zeichnen.
In der Zeit des Börsenbooms um das Jahr 2000 gab es fast wöchentlich Meldungen über große und kleinere Börsengänge. Und viele Bürgerinnen und Bürger, die noch nie im Leben eine Aktie besessen hatten, wollten plötzlich in aufstrebende Unternehmen investieren, deren Geschäftsmodelle sie oft nicht verstanden und die sie manchmal auch gar nicht interessierten. So kamen im Jahr 2000 allein an der Frankfurter Börse 142 Unternehmen »aufs Parkett« – wie es an der Börse noch heute heißt – und sammelten insgesamt fast 27 Milliarden Euro frisches Kapital ein. Man spricht dann – bezogen auf das einzelne Unternehmen – vom erzielten Emissionsvolumen.
Leider wirtschafteten nicht alle Unternehmen mit diesem Kapital sehr sinnvoll. Es kam, wie es kommen musste: Die Dotcom-Blase platzte. Das Internet steckte noch in den Kinderschuhen und viele der neuen Firmen wurden nicht erwachsen. Nach dem Crash, dem unerwartet heftigen Einbruch der Kurse, traute sich 2003 kein einziges Unternehmen mehr an die Börse. Als das Vertrauen langsam wiedergewonnen war und sich 2006 schon 30 Unternehmen aufs Parkett schwangen, schlug die Finanzkrise zu, sodass 2008 wieder Sendepause war. Trotz Pandemie gingen in den Jahren 2020 und 2021 einige Unternehmen an die Börse, in den USA etwa Airbnb, Snowflake, CureVac aus Deutschland (alle 2020) sowie die Kryptobörse Coinbase oder About You 2021. In Deutschland wagten sich Siemens Healthineers und Siemens Energy, Knorr Bremse, Auto1 oder TeamViewer aufs Börsenparkett.
Das bedeutet also: Auch wenn Unternehmen Kapital benötigen, können sie nicht einfach an die Börse gehen, es kommt in ganz besonderem Maße auf die herrschende Stimmung an. So manches Mal werden Börsengänge sogar kurzfristig wieder abgesagt, weil sich nicht genügend Interessenten zum Zeichnen der Aktie auftreiben lassen – wenigstens nicht zu dem Preis, den das Unternehmen erzielen möchte.
Die wichtigste Frage für das Management eines Unternehmens wie für den potenziellen Anleger vor einem Börsengang