Stimmen für die Zukunft. Liz Mohn

Stimmen für die Zukunft - Liz  Mohn


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des Ausprobierens, des Sich-Erneuerns – auch nach furchtbaren Katastrophen wie dem Weltkrieg. Sein Credo lautete: »Immer dann, wenn man spürt, dass Routine sich einschleicht, sollte man etwas Neues machen.«

      Aus all diesen Überlegungen wurde der Salzburger Trilog geboren: ein Zusammentreffen von Persönlichkeiten aus Kultur, Wirtschaft und Politik, aus möglichst vielen Ländern und Regionen der Welt, um abseits des täglichen Hamsterrads und angeregt durch grandiose Darbietungen im Rahmen der Salzburger Festspiele gemeinsam zu diskutieren und nachzudenken. Die Idee war, Impulse aus allen drei Bereichen – daher auch der Name Trilog – miteinander zu verbinden und etwas Neues daraus entstehen zu lassen.

      Die Bedeutung von Kunst und Kultur war und ist auch beim Trilog spürbar: Künstlerinnen und Künstler tragen Entscheidendes zu Versöhnung, Verständigung und Frieden bei, aber auch zu Innovation. Kunst rührt uns an und rüttelt uns auf – »Eispickel gegen das gefrorene Meer in uns« nannte das Franz Kafka. Der Trilog bietet eine gleichberechtigte Plattform für die Kunst, die sich auch immer wieder gegen Vereinnahmung zur Wehr setzen muss. Unvergesslich etwa die Teilnahme der Regisseurin Andrea Breth, die mit großer Skepsis nach Salzburg gekommen war, sich dann aber begeistert auf dieses Format und das interdisziplinäre Denken einließ und es mit ihren Kommentaren bereicherte. Wunderbare Musiker wie Thomas Hampson, Franz Welser-Möst, Clemens Hellsberg, Valery Gergiev, großartige Regisseure wie Jürgen Flimm, brillante Autoren wie Marc Elsberg oder die Drehbuchautorin Joan Xu nahmen am Trilog teil – der natürlich nicht realisierbar gewesen wäre ohne das tatkräftige Mitwirken der Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, die es sich nie nehmen ließ, die Trilog-Teilnehmenden persönlich auf die jeweils bevorstehende Aufführung einzustimmen.

      Die Themen, die wir in der 20-jährigen Geschichte des Trilogs behandelt haben, dienten nie der Vergangenheitsbewältigung, sondern waren immer auf die Zukunft gerichtet, getreu dem Motto von Albert Einstein: »Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.« Der Bogen der Diskussionen war weit gespannt, je nachdem, was aus der damaligen Sicht die Zukunft gerade in sich hatte und wo es lohnenswert war, einen genaueren Blick darauf zu werfen. Von der Suche nach der eigenen Identität über die Frage nach nachhaltigem und qualitativem Wirtschaftswachstum, dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit bis hin zu den unterschiedlichen Facetten von Globalisierung, dem Aufstieg Asiens und gelungener Nachbarschaftspolitik, der Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit reichte die Themenpalette.

      Der Salzburger Trilog sollte keine L’art-pour-l’art-Veranstaltung sein. Die Intention war und ist, als Ideengeber und Anstifter zu fungieren – für Wirtschaft und Politik in Deutschland und Österreich, aber vor allem auch in Europa. Die Stadt Salzburg lag an keiner Seidenstraße, aber dafür an einer Salzstraße, die schon früh Wohlstand brachte. Salzburgs wohl berühmtester Künstler, Wolfgang Amadeus Mozart, wurde hier geboren und trug dazu bei, dass Salzburg auch ein kulturelles Zentrum wurde. Es gibt kaum einen geeigneteren Ort im Herzen Europas, um nachzudenken und in neuen Bahnen zu denken. Dieses starke Herz – Mitteleuropa eben – bietet enormes Potenzial und dazu noch die Brückenfunktion nach Osten und Fernost. Auch das spiegelt sich im Trilog wider.

      Beim Trilog treffen unterschiedliche Perspektiven aufeinander, nicht nur im Hinblick auf die jeweilige Profession; auch regionale Unterschiede eröffnen neue Sichtweisen. Das Spannungsverhältnis zwischen Selbst- und Fremdbild ist gerade bei Europa besonders groß: Oft wird ein Bild des Verfalls, des Zerfalls vermittelt – die EU als kranker Mann, als sinkendes Schiff oder zerstrittene Familie, Blockaden, Intrigen, kleinlicher Streit. Natürlich kann niemand bestreiten, dass es Probleme und Auseinandersetzungen gibt. Doch auch das Gegenteil ist wahr: Die EU setzt Standards, die von den USA bis nach China als vorbildhaft gelten. Die EU hilft und unterstützt, schafft Sicherheit und Stabilität mit Friedensmissionen und verantwortungsvoller Entwicklungshilfe. Seit der Wende 1989 flossen 400 Milliarden Euro in einer gewaltigen Solidaritätsanstrengung in die neuen Mitgliedsländer – ein Mehrfaches der amerikanischen Marshallplan-Hilfe nach dem Zweiten Weltkrieg. Der sanfte Riese EU macht unseren Planeten lebenswerter, nachhaltiger, offener und sicherer – auch wenn er sich seiner großen Kraft nicht immer bewusst ist.

      In seinem Essay »Europadämmerung« analysiert der bulgarische Politologe und Trilog-Teilnehmer Ivan Krastev, wie sich Demokratie und Globalisierung verändert haben: »Was bis vor kurzem ein Wettstreit zwischen zwei verschiedenen Staatsformen – Demokratie und autoritärer Herrschaft – war, hat sich im Gefolge der globalen Finanzkrise zu einem Wettstreit zwischen zwei Varianten derselben Behauptung entwickelt: ›Es gibt keine alternative Politik.‹« Krastev kritisiert, dass auch in Demokratien politische Entscheidungen zunehmend als alternativlos dargestellt werden – widerspricht dies doch dem grundsätzlichen Wesen der Demokratie. Auch der Trilog war und ist eine Suche nach möglichen Alternativen, nach Best Practices, nach neuen Wegen – als Quintessenz jeder Demokratie, als Lebensmittel für selbstständige und freie Bürgerinnen und Bürger.

      Apropos Freiheit: Sie hat wohl am meisten unter der Corona-Pandemie gelitten. Nicht nur wegen der offensichtlichen Einengung von Bewegungsmöglichkeit, durch Distanzgebote und Lockdowns. Die staatsväterliche Bevormundung zeigt sich weit über das Pandemiemanagement hinaus. Kein Europapolitiker bewirbt die EU dieser Tage als Kraft der Öffnung und der Offenheit, die auf dem Kontinent selbst Grenzen überwindet und in der weiteren Welt für Liberalisierung eintritt, für Freihandel und politischen Fortschritt. Ganz Europa bunkert sich ein und schottet sich ab. Die EU erscheint jetzt in erster Linie als Verteidigungsinstanz und Bollwerk: gegen chinesische Unternehmenskäufe und amerikanische Digitalkonzerne, gegen illegale Migrantinnen und Migranten und gegen die drohende Dumpingkonkurrenz aus Brexit-Britannien. Ein Europa, das sich wie ein Igel einrollt und die Stacheln ausspreizt, ist nicht unser Bild von Europa. Wer vor Freiheit Angst hat, sollte an die Worte des früheren US-Präsidenten Thomas Jefferson denken: »Freiheit ist ein stürmisches Meer. Ängstliche Naturen bevorzugen die Stille des Despotismus.«

      Jean Monnet sagte einmal, er würde das Projekt Europa beim zweiten Versuch über die Kultur begründen. Das ist ein interessanter und zugleich verstörender Gedanke. Gerade die Vielfalt macht ja die Einzigartigkeit unseres europäischen Lebensmodells aus. Das gilt noch viel mehr für die globale Menschheit. Vielleicht ließe sich tatsächlich über Kulturaustausch, Übersetzungen, Vermittlung, Kontakte, gemeinsame Festivals – ohne Hegemonie und Zentralisierungswahn – ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben der Völker erreichen. Das war es schließlich, was Monnet mit der europäischen Idee verfolgte: »Wir vereinigen keine Staaten, wir bringen Menschen einander näher.«

      Wenn es in den 20 Jahren, in denen der Salzburger Trilog veranstaltet wird, gelungen ist, zumindest ein paar Menschen einander nähergebracht und einige neue Ideen entzündet zu haben, sind das wunderbare Mut-Injektionen für die Zukunft – was auch immer diese bringen wird.

       Mut in mutarmen Zeiten – Ein Plädoyer

       Helga Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festspiele

      »Unser Salzburger Festspielhaus soll ein Symbol sein. Es ist keine Theatergründung, nicht das Projekt einiger träumerischer Phantasten und nicht die Angelegenheit einer Provinzstadt. Es ist eine Angelegenheit der europäischen Kultur. Und von eminenter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung.« So selbstbewusst, so dringlich, so unvergleichlich formulierte der Dichter und Festspielgründer Hugo von Hofmannsthal vor 100 Jahren die Aufgabe Salzburgs.

      Und sein kongenialer Partner, der Regisseur Max Reinhardt, schrieb mitten in »den Stürmen des Krieges« in seiner Denkschrift 1917 von der »furchtbaren Wirklichkeit dieser Tage«, vom »ungeheuren Weltenbrand«, dem die Salzburger Festspiele trotzen könnten und sollten. Ein Festspiel zu gründen, sollte »eines der ersten Friedenswerke sein«. Diesem festen Glauben an die Kraft der Kunst und den Kraft-Ort Salzburg verdanken die Festspiele ihre Existenz.

      Dass in diesem »Herz vom Herzen Europas« (so Hofmannsthals Definition meiner Heimatstadt) der Trilog am Beginn des neuen Jahrtausends gegründet wurde, scheint mir geradezu logisch. Ich danke vor allem Liz Mohn, dass sie die ganze intellektuelle und organisatorische Kraft der Bertelsmann Stiftung aufgeboten hat und weiter zu Verfügung stellt. Ich


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